Kreise, Intervalle und Homotopien.

Letzte Woche hatten wir begonnen Abbildungen f:S2–>S2 der Sphäre S2 auf sich zu diskutieren.

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Wann lassen sich zwei Abbildungen der 2-Sphäre stetig ineinander deformieren? (Formal: wann sind sie homotop?)

Die Antwort wird sein: genau dann, wenn sie denselben Abbildungsgrad haben.
Den Abbildungsgrad hatten wir letzte Woche für (differenzierbare) Abbildungen so definiert: man nimmt einen der (regulären) Bildpunkte und zählt die Anzahl p bzw. n der Urbilder, in denen das Differential orientierungserhaltend bzw. orientierungsumdrehend ist. Den Abbildungsgrad definiert man dann als deg(f)=p-n.
(Man muß natürlich noch begründen, daß diese Definition nicht von der Wahl des regulären Wertes abhängt. Das ergibt sich nachher unten aus der Homotopie-Invarianz.)

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Beispiele: Jede konstante Abbildung hat Abbildungsgrad 0, jede Drehung (insbesondere die Identitätsabbildung) hat Abbildungsgrad 1, die oben veranschaulichte, in Kugelkoordinaten durch f(r,φ,θ)=(r,2φ,θ) gegebene Abbildung hat Abbildungsgrad 2.

Homotopien

Warum haben homotope Abbildungen denselben Abbildungsgrad?

Die formale Definition von “Homotopie zwischen zwei Abbildungen f,g:S2–>S2” ist ja, daß es eine Abbildung H:S2x[0,1]—>S2 gibt mit H(x,0)=f(x), H(x,1)=g(x) für alle x aus S2.

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Das Bild zeigt eine Homotopie H:[0,1]x[0,1]–>R2 zwischen zwei Abbildungen f,g:[0,1]–>R2

Man kann wieder annehmen, daß H differenzierbar ist. Man nehme sich einen regulären Wert y von H, dann ist das Urbild H-1(y) eine 1-dimensionale Mannigfaltigkeit. (Allgemein: wenn H:Mn+k—>Nn eine Abbildung einer n+k-dimensionalen auf eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit ist, dann sind die Urbilder regulärer Werte k-dimensionale Mannigfaltigkeiten. Das folgt letztlich aus dem Satz von der impliziten Funktion.)
Die 1-dimensionalen Mannigfaltigkeiten kann man klassifizieren (unten im letzten Abschnitt): jede kompakte 1-dimensionale Mannigfaltigkeit ist eine Vereinigung von Kreisen und Intervallen.
Die 1-dimensionale Untermannigfaltigkeit H-1(y) liegt in S2x[0,1], das folgende Bild ist eine Dimension tiefer, also in S1x[0,1].

Das 3-dimensionale Bild für S2x[0,1] ist nicht wirklich anschaulicher:

Nach Definition der Homotopie H sind f bzw. g die Einschränkungen von H auf Mx{0} bzw. Mx{1}. Man berechnet die Abbildungsgrade von f bzw. g indem man sich die jeweiligen Urbilder von y anschaut, also die Durchschnitte der 1-Mannigfaltigkeit H-1(y) mit Mx{0} bzw. Mx{1}.
Dieser Durchschnitt besteht aus den Randpunkten der Intervalle in H-1(y), denn die Kreise können den Rand nicht berühren. Für ein Intervall gibt es folgende Möglichkeiten: entweder die Randpunkte liegen beide in Mx{0} (oder beide in Mx{1}), dann sind die beiden Randpunkte aber entgegengesetzt orientiert, annulieren sich also und tragen zur Berechnung des Abbildungsgrades nichts bei. Bleibt die Möglichkeit: das Intervall verbindet Mx{0} mit Mx{1}. Dann tragen die beiden Randpunkte aber gleichermaßen zu deg(f) und deg(g) bei. Weil dies für jedes Intervall in H-1(y) gilt, muß also deg(f)=deg(g) für die homotopen Abbildungen f,g sein.

Das beweist die Homotopie-Invarianz des Abbildungsgrades und mit einem ähnlichen Argument bekommt man auch, daß deg(f) nicht vom regulären Wert y abhängt: wenn z ein anderer regulärer Wert in S2 ist, dann betrachtet man einfach eine Drehung der Sphäre, die y nach z dreht, diese Drehung ist homotop zur Identität und dann liefert dasselbe Homotopie-Argument wie oben, daß der Abbildungsgrad bzgl. y derselbe ist wie bzgl. z.

Homotope Abbildungen haben also denselben Abbildungsgrad und ein Satz von Hopf gibt für Abbildungen zwischen Sphären (gleicher Dimension) auch die Umkehrung, insbesondere sind also Abbildungen f,g:S2—>S2 homotop genau dann, wenn sie den gleichen Abbildungsgrad haben. (Man kann dies als Spezialfall der sehr viel allgemeineren Pontrjagin-Thom-Konstruktion ansehen.)

1-dimensionale Mannigfaltigkeiten

Noch der Beweis der oben benutzten Klassifikation von 1-Mannigfaltigkeiten.

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Satz: Jede kompakte, zusammenhängende (Hausdorffsche)1-Mannigfaltigkeit M ist homöomorph zum Kreis oder zum abgeschlossenen Intervall.
Beweis: Man sieht leicht, daß jede offene, zusammenhängende Teilmenge des R1 ein offenes Intervall (a,b) ist (evtl. Endpunkte in unendlich) und daß alle offenen Intervalle zueinander homöomorph sind. Deshalb ist für eine 1-Mannigfaltigkeit M jede Karte von der Form φ : U → (a, b) (bzw. mit Bild in [a, b) oder (a, b] für Randpunkte). Sei ψ: V → R1 eine zweite Karte (und V nicht in U enthalten), dann muß φ(U ∩ V ) = (a, x) ∪ (y, b) (evtl. a = x oder b = y) sein (bzw. (halb-)abgeschlossene Intervalle für Randpunkte). Begründung: wenn es in φ(U ∩ V ) ein Intervall der Form (x, y) mit a < x < y < b gäbe, dann wäre x oder y im Inneren von ψ(U ∩ V ), o.B.d.A. x. Dann gäbe es aber einen Punkt in V (nämlich den Grenzwert der Folge φ-1(xk) in V für irgendeine in φ(U ∩ V) gegen x konvergierende Folge), bei dem keine Umgebung zu einer Umgebung von φ-1(x) disjunkt ist, was der Hausdorff-Bedingung widerspricht.
Falls φ(U ∩ V ) = (a, x) oder φ(U ∩ V ) = (b, y), sieht man, dass es einen Diffeomorphismus U ∪ V → R1 gibt, man kann die beiden Karten also zu einer zusammenfassen.
Falls φ(U ∩ V ) = (a, x) ∪ (b, y), sieht man, dass es einen Diffeomoerphismus U ∪ V → S1 gibt. Jede weitere Karte muss dann in U ∪ V enthalten sein, weil man sonst wie oben einen Widerspruch zur Hausdorff-Bedingung bekäme.
Weil M kompakt ist, gibt es einen endlichen Atlas. Entweder ist M = S1 oder wir erhalten durch sukzessives Anwenden der obigen Reduktion schlussendlich, daß es nur eine Karte gibt. In diesem Fall ist M homöomorph zum abgeschlossenen Intervall.


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