Der Fundamentalsatz der Algebra und ein einfacher topologischer Beweis.
In der Schule lernt man die Lösungsformel für quadratische Gleichungen, aus der sich insbesondere ergibt, daß eine quadratische Gleichung a2x2+a1x+a0=0 zwar nicht unbedingt eine reelle, aber auf jeden Fall immer eine komplexe Lösung haben muß.
Der “Fundamentalsatz der Algebra” besagt, daß dies für jede Gleichung der Form
anzn+an-1zn-1+…+a1z+a0=0
gilt: es gibt immer eine komplexe Lösung (außer natürlich wenn an=…=a1=0 und a0≠0).
Stringenter formuliert: Jedes Polynom P vom Grad n≠0 hat eine Nullstelle in den komplexen Zahlen C.
Für den Fundamentalsatz gibt es viele Beweise, einige finden sich im Wikipedia-Artikel.
Der erste vollständige Beweis war 1799 von Gauß in seiner Dissertation veröffentlicht worden, dieser benutzt übrigens aus heutiger Sicht auch eine topologische Methode, nämlich die Windungszahl von Kurven in der punktierten Ebene.
(Soweit ich mich erinnern kann, war in “Die Vermessung der Welt” nie die Rede vom Dissertationsthema Fundamentalsatz, dort ging es immer nur um Primzahlen, ‘Disquisitiones Arithmeticae’ und die Methode der kleinsten Quadrate:
Das Buch wird übrigens zur Zeit gerade verfilmt.)
Einen sehr kurzen Beweis des Fundamentalsatzes mit Hilfe von Flächen-Topologie kann man geben, indem man π2S2=Z (und die Tatsache, daß dieser Isomorphismus durch den Abbildungsgrad gegeben wird – das hatten wir letzte Woche als Spezialfall des Pontrjagin-Thom-Theorems bewiesen) benutzt.
Polynome und Abbildungen zwischen Sphären
Zunächst: wie macht man aus P eine Abbildung der 2-Sphäre?
aus Dimensions
Die 2-Sphäre kann man mittels sphärischer Projektion (Bilder oben oder TvF 154) als 1-Punkt-Kompaktifizierung der Ebene, also als Vereinigung der Ebene mit einem Punkt im Unendlichen auffassen: S2=C∪{unendlich}, wobei C die komplexe Zahlenebene ist.
Ein Polynom P(z)=anzn+an-1zn-1+…+a1z+a0 ist zunächst eine Abbildung P:C–>C der komplexen Zahlenebene auf sich.
Wenn das Polynom nicht konstant ist, dann ist geht für z gegen unendlich auch P(z) gegen unendlich – das sieht man mit der Umformung P(z)=zn(an+n-1/z+…+a1/zn-1+a0/zn): der erste Faktor geht gegen unendlich, der zweite Faktor konvergiert gegen an≠0.
Deshalb kann man P durch P(unendlich)=unendlich zu einer stetigen Funktion P:S2–>S2 fortsetzen.
P ist sogar differenzierbar: das ist klar auf C, und im Punkt unendlich rechnet man es mit der Karte φ(z)=1/z leicht nach.
Beweis des Fundamentalsatzes
Wir wollen zeigen, daß P eine Nullstelle hat, daß also 0 im Bild von P liegt.
Dazu genügt es natürlich, Surjektivität zu beweisen, also daß jeder Punkt im Bild von P liegt.
Wenn eine Abbildung P:S2–>S2 nicht surjektiv ist, dann hat sie Abbildungsgrad 0. Das ergibt sich einfach aus der Definition des Abbildungsgrades: dieser zählt ja (mit Vorzeichen gemäß Orientierung) die Urbilder eines regulären Wertes. Wenn es keine Urbilder gibt, ist der Abbildungsgrad 0.
(Ein anderer Beweis ergibt sich aus der Homotopie-Invarianz des Abbildungsgrades: wenn P nicht surjektiv ist, also mindestens einen Punkt * nicht im Bild hat, dann kann man die offensichtliche Deformationsretraktion von S2-{*} auf den * antipodal gegenüberliegenden Punkt benutzen, um eine Homotopie von P zur konstanten Abbildung zu konstruieren. Weil der Abbildungsgrad der konstanten Abbildung 0 ist, hat dann auch P den Abbildungsgrad 0.)
Im Umkehrschluß: wenn der Abbildungsgrad nicht Null ist, dann ist die Abbildung surjektiv.
Der Abbildungsgrad eines Polynoms P ist aber gerade der Grad des Polynoms (also die höchste vorkommende Potenz), wie wir gleich beweisen werden. Wenn ein Polynom nicht konstant ist, dann ist sein Grad, und damit auch sein Abbildungsgrad, nicht Null, also ist P surjektiv. QED
Polynom-Grad = Abbildungsgrad
Bleibt noch zu beweisen, daß der Abbildungsgrad eines Polynoms gerade sein Grad ist.
Das ist offensichtlich richtig für P(z)=zn. Zum Beispiel 1 hat genau n Urbilder (in denen das Differential jeweils positiv ist), weil es bekanntlich n n-te Einheitswurzeln gibt.
Wie verallgemeinert man das auf beliebige Polynome P(z)=anzn+an-1zn-1+…+a1z+a0 vom Grad n?
Weil der Abbildungsgrad homotopie-invariant ist, liegt es nahe zu versuchen, eine Homotopie zwischen zn und P(z) zu konstruieren. Der offensichtliche Ansatz für eine Homotopie ist H(z,t)=tP(z)+(1-t)zn, fortgesetzt durch H(∞,t)=∞.
Man muß jetzt natürlich noch beweisen, daß die Homotopie auch in
∞ diffbar ist. (Differenzierbarkeit in allen anderen Punkten ist offensichtlich.)
Dies beweist man wie folgt:
Wähle einen Radius R groß genug, daß H(z,t) keine Nullstellen mit | z |≥ R hat. (Das ist möglich, weil H(z,t) = zn(1+…) mit einem für z–>∞ gegen 1 konvergierenden Ausdruck in der Klammer, der also insbesondere positiv ist für hinreichend große z.) Wähle dann | z |≥ R als Umgebung von ∞. In der Karte φ(z)=1/z ist φH(z,t)φ-1=1/(z1/m+r(1/z)), wobei r ein Polynom von Grad m-1 ist. Um Differenzierbarkeit zu überprüfen, bilden wir den Differenzenquotienten, dieser ist 0 für m>1 und 1 für m=1. Insbesondere existiert die Ableitung in 0, also ist H(z,t) diffbar in φ(0)=∞.
Aus der Homotopie-Invarianz des Abbildungsgrades folgt dann also, daß Polynome vom Grad n den Abbildungsgrad n haben. Insbesondere sind Polynome vom Grad n>0 immer surjektiv.
Ein anderer kurzer (komplex-geometrischer, aber irgendwie auch topologischer) Beweis wird noch im Wikipedia-Artikel angegeben: mit dem selben Beweis wie für die Differenzierbarkeit zeigt man, daß die Abbildung P sogar holomorph ist, nichtkonstante holomorphe Abbildungen haben offenes Bild, außerdem ist das Bild der kompakten Menge P1C wieder kompakt, insbesondere ist das Bild offen und abgeschlossen, also ganz P1C.
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