Die abc-Vermutung ist so etwas wie der gegenwärtige heilige Gral der Zahlentheorie, so wie früher mal die Fermat-Vermutung oder die Taniyama-Shimura-Vermutung

Es geht ganz banal um Lösungen der Gleichung
a+b=c
in ganzen Zahlen a,b,c, die man (nach Herauskürzen eines gemeinsamen Teilers) als teilerfremd annehmen kann. Die Behauptung der abc-Vermutung ist dann für teilerfremde a,b,c:

wobei Cε von ε abhängt. (Soll heissen: für jedes ε>0 gibt es ein Cε, so dass für alle teilerfremden Lösungen von a+b=c die obige Ungleichung gilt.)

Aus der abc-Vermutung folgt die Fermat-Vermutung zumindest für grosse Exponenten: wenn man eine (positive ganzzahlige) Lösung der Fermat-Gleichung An+Bn=Cn hat, setzt man a=An, b=Bn,c=Cn und kann dann leicht nachrechnen, dass c grösser als das Produkt aller pn/3 über die Primteiler von abc ist. Für grosse n ist das natürlich ein Widerspruch zu obiger Ungleichung.

Diese und andere Folgerungen (u.a. einen Beweis der ursprünglich von Faltings bewiesenen Mordell-Vermutung) sowie die Verbindungen zu elliptischen Kurven und Modulformen findet man in diesem Übersichtsartikel von Mazur. (Wikipedia listet noch eine Reihe weiterer offener Vermutungen, die aus abc folgen würden.)

Die abc-Vermutung ist jetzt vielleicht von Shinichi Mochizuki bewiesen worden. Gerüchte darüber hatte es schon seit 3 Monaten gegeben, seit Dienstag ist nun der Preprint INTER-UNIVERSAL TEICHMÜLLER THEORY IV: LOG-VOLUME COMPUTATIONS AND SET-THEORETIC FOUNDATIONS online.

Das Paper wirkt (vom rein äusserlichen Eindruck her) zunächst ziemlich ungewöhnlich, beginnend mit dem Titel, ein Eindruck, der sich noch verstärkt, wenn man die Erläuterungen auf der Webseite des Autors anschaut:

The starting point of “IUTeich” (i.e., Inter-universal Teichmüller Theory) lies in the image of a
sequence of nested universes.
This sort of image apparently goes back to ancient times and appears not only in the “Sokkuri Hausu” (i.e., “Identical House”) animation discussed here, but in various stories and myths all over the world. In the case of IUTeich, the various universes correspond to
“classical arithmetic geometry theaters in which conventional ring theory/scheme theory is valid”.
In the “Sokkuri animation”, these universes are represented by “houses”. Within each classical arithmetic geometry theater, one has a theta function; it is this theta function that plays the role of “Frobenioid-theoretic” (i.e., non-scheme-theoretic! — cf. Frobenioids I, II; ´Etale Theta) “bridge” to the “next universe”. In the “Sokkuri animation”, this link furnished by the
theta function corresponds to the gaze of the little girl into the “small house”.
Indeed, the large eyes of the little girl look somewhat like thetas Θ! In IUTeich, Galois groups and arithmetic fundamental groups behave as though they are made of a “mysterious substance” that allows them to pass freely, in an isomorphic fashion, between the various universes without being subject to expansion or contraction. In the “Sokkuri animation”, this “mysterious substance” corresponds to the “mysterious stars” that form the link between the “small” and “large” houses. The
rotation of these “mysterious stars”
may be thought of, relative to IUTeich, as representing the nature of the “´etalelike structures” that occur in the theory of Frobenioids (cf. Frobenioids I, II) or, alternatively, as corresponding to the rotation of addition and multiplication that occurs in the mono-anabelian theory of Topics III. The deepest and most pivotal portion of IUTeich consists of a certain canonical splitting of the sequence of nested universes, a splitting which is constructed by means of the
mono-anabelian theory of Topics III and the various rigidity properties of the ´etale theta function
(cf. ´Etale Theta for more on the latter). This canonical splitting corresponds to the canonical liftings of pTeich (i.e., p-adic Teichmüller theory) or, at a more elementary level, the Teichmüller representatives of a Witt ring. (Incidentally, in the p-adic theory, the various “universes” of IUTeich correspond to the various positive characteristic algebraic geometries contained in the various subquotients “pn/pn+1”.)

(Die “Sokkuri Animation” ist hier.)

Aber nach allem, was sich im Netz dazu findet, scheint es sich um einen ziemlich revolutionären neuen Zugang zur arithmetischen Geometrie, der Theorie der Schemata über Spec(Z), zu handeln, siehe zum Beispiel den Beitrag von Minhyong Kim auf Math Overflow. Weil es sich um eine völlig neu entwickelte Theorie handelt, wird die Überprüfung sicher noch eine Weile dauern.

Kommentare (35)

  1. #1 Wiener
    10. September 2012

    Ab “ganz banal” bin ich ausgestiegen. Aber ist bestimmt spannend…..

  2. #2 Anti_Spam
    10. September 2012

    klaro… banal 🙂

  3. #3 Thilo
    10. September 2012

    was in der mathematik ist banal wenn nicht die Gleichung “a+b=c” ?

  4. #4 Wiener
    10. September 2012

    Nachdem ich mich ganz (ganz!) dunkel an “teilerfremd” erinnere, bleibt mir dann nur noch der Rest der Vermutung ein Raetsel. Gemerkt hab ich mir, dass es irgendwann auf Fermat zurueckfuehrt. Und DAS hatte ich mal fuer 5 Minuten verstanden nachdem ich Singh gelesen hatte….

  5. #5 Wiener
    10. September 2012

    Ich hab jetzt doch tatsaechlich mal den englischen Text durchgearbeitet: “Indeed, the large eyes of the little girl look somewhat like thetas Θ!”
    Ist das Mathematikerstil oder vom 1. April? Oder sone Art mathematischer Essaygenerator? Treibst du hier grausame Scherze auf Kosten von nicht-Mathematikern?

  6. #6 Thilo
    10. September 2012

    Der englische Text ist ja nicht von mir und ich hatte darauf hingewiesen, dass er ziemlich ungewöhnlich ist. Es ist wohl ein Versuch, auch denjenigen, die mit den Fachbegriffen nichts anfangen können (wozu ich in diesem Fall auch gehöre) noch einen Eindruck von der doch sehr abgehobenen Mathematik zu vermitteln.

  7. #7 Wiener
    10. September 2012

    ahja – der Text war sozusagen fuer Leute wie mich! Das zeigt mir in deprimierender Weise meine Grenzen auf….

  8. #8 sax
    nirgens
    11. September 2012

    Habe ich die Vermutung richtig Verstanden?

    Die größte derdrei Zahlen a,b,c ist immer kleiner als das Produckt der Primzahlen in die sich a,b und c zerlegen lassen zur Potenz 1+epsilon ?

    Also als Beispiel: a=3, b=5 c=8
    max(a,b,c)=8
    Primfaktoren a: 3 b: 5 c: 2,2,2
    3+5=8 also a+b=c
    Epsiolon = 0.1
    3^1.1*5^1.1*2^1.1*2^1.1*2^1.1=193.6865086>8
    das ist größer als acht, also passt die Vermutung.
    Ich glaub die Mathematiche Notation oben versteht kaum jemand 😉

    Was ist mit epsilon=0? Gibt es dafür gegenbeispiele?

  9. #9 Thilo
    11. September 2012

    @ sax: Der Punkt ist, dass die Primzahlen im Produkt nur EINMAL vorkommen sollen.
    In deinem Beispiel 3+5=2x2x2 nimmt man also auf der rechten Seite der Ungleichung nur das Produkt der Potenzen von 3,5 und 2 (nicht von 3,5 und 8, das wäre zu einfach).
    Ausserdem gibt es noch diesen Faktor C_epsilon.

  10. #10 sax
    11. September 2012

    Danke, den ersten Teil habe ich jetzt verstanden, aber dafür eine neue Frage:

    Es heißt ja es existiert ein C_epsilon. Ist dieser Faktor frei wählbar? Wenn ja könnte man die Ungleichung doch immer erfüllen, indem man ein beliebig großes C_epsilon wählt?

  11. #11 sax
    11. September 2012

    oder muß es ein beliebiges c_epsilon geben, dass für jede beliebige mögliche Kombination von a,b,c die Ungleichung erfüllt?

  12. #12 Thilo
    11. September 2012

    Ja, das c_epsilon haengt nur von epsilon ab und dann soll fur jede Kombination von a,b,c (mit a+b=c) die Ungleichung gelten.

  13. #13 rank zero
    12. September 2012

    Ich denke, die endgültige Überprüfung wird recht lange dauern – schon seine Vorgängerarbeiten zur anabelschen Geometrie (eine der späten Grothendieck-Ideen) waren nicht einfach zugänglich. (Die meisten Reviewer haben auch aufgegeben und im wesentlichen aus dem Abstract zitiert, etwa hier und hier; W. Kleinert hat den Stand vor sechs Jahren einmal zusammengefasst). Es gibt aber definitiv kaum Kollegen, die Mochizuki auf dem sehr langen, sehr steinigem Weg begleitet haben – wenn er wirklich erfolgreich war, wäre es nach Wiles und Perelman die dritte große Vermutung, die wesentlich durch eine große Individualleistung gefallen ist (vier, wenn wir Ngô Bao Châu hinzurechnen). Ein doch recht deutliches Zeichen gegen den des öfteren beschworenen Trend zur stärkeren kollaborativen, vernetzten Entwicklung in Richtung polymath/mathematische Schwarmintelligenz.

  14. #14 Thilo
    28. September 2012

    Vesselin Dimitrov meint Probleme in mochizukis Beweis gefunden zu haben: https://mathoverflow.net/questions/106560/philosophy-behind-mochizukis-work-on-the-abc-conjecture/107279#107279 Bleibt abzuwarten wie relevant diese für den Beweis tatsächlich sind.

  15. #15 Thilo
    29. September 2012

    Ein Sammlung von Links zu Material (und Diskussionen) zu Mochizukis Beweis ist jetzt auf https://michaelnielsen.org/polymath1/index.php?title=ABC_conjecture#Mochizuki.27s_proof

  16. #16 volki
    17. Oktober 2012

    @Thilo: Es bleibt trotzdem spannend. Mochizuki ist auf die Kritik in einem Kommentar auf seiner HP eingegangen:
    https://www.kurims.kyoto-u.ac.jp/~motizuki/Inter-universal%20Teichmuller%20Theory%20IV%20%28comments%29.pdf

    Hier räumt Mochizuki einen Fehler bei der Berechnung einer Konstanten ein, glaubt aber selbst keinen “groben” Fehler gemacht zu haben.

  17. #17 heel pain pads
    https://www.deelsonheels.com/$999_Party_Feet_Gel_Heel_Pads_Inserts/p133745_317614.aspx
    22. April 2013

    A blog like yours should ensue earning much money from adsense.

  18. […] als Korollar aus der abc-Vermutung bekommen würde. Ein Beweis der abc-Vermutung wurde im vergangenen Jahr angekündigt, bisher gibt es aber weder eingereichte Arbeiten noch Vorträge auf Konferenzen oder Seminaren […]

  19. […] Es geht um den Beweis der abc-Vermutung, den Shinichi Mochizuki vor drei Jahren angekündigt hatte. […]

  20. […] Tagung ist der vor vier Jahren angekündigte Beweis der abc-Vermutung, über den wir damals hier geschrieben hatten und dessen Status auch nach einer großen Konferenz vergangenen Dezember in Oxford völlig […]

  21. […] die Entdeckung des damit verbundenen Bosons, das Auffinden von Exoplaneten, die lange gesuchte Lösung eines mathematischen Problems – das ist hohe Wissenschaft, Forschung vom Feinsten. Und die hat meinen tiefsten, […]

  22. #29 Thilo
    6. September 2017

    Ein Ping mit 5 Jahren Verspätung – seltsam …

  23. #31 Thilo
    18. Juli 2018

    Möglicherweise gibt es bald Neuigkeiten zum Beweis: https://www.math.columbia.edu/~woit/wordpress/?p=10436

  24. #32 Thilo
    21. September 2018
  25. #33 rolak
    22. September 2018

    indirekte Zitate:

    We do now have the ridiculous situation where ABC is a theorem in Kyoto but a conjecture everywhere else

    :•)

    No expert who claims to understand the arguments has succeeded in explaining them to any of the (very many) experts who remain mystified

    Liest sich wie die Definition von einer Erleuchtung, von hermetischem Wissen.

  26. #34 David Harmer
    11. Juli 2019

    Lol you may be right with that