Der Abelpreis (mit gut 106$ der höchstdotierte Mathematikpreis) geht dieses Jahr an Pierre Deligne.
Der Abelpreis wird jährlich von der Norwegischen Akademie der Wissenschaften vergeben. (Er gilt als eine Art Ersatz dafür, daß es keinen Nobelpreis für Mathematik gibt. Über die Gründe, warum Nobel keinen Mathematik-Nobelpreis stiftete, gibt es viele anekdotische Erklärungen, die aber nach allgemeiner Meinung alle in das Reich der Fabel gehören.)
Die Verleihung findet Ende Mai in Oslo statt.
In der Laudatio heute mittag in Oslo wurde vor allem Delignes Beweis der Weil-Vermutungen und der daraus folgenden Ramanujan-Vermutung erwähnt.
Über die Ramanujan-Vermutung hatten wir in Folge 130 und in Folge 100 der “Topologie von Flächen”-Reihe geschrieben. (Das Titelbild oben ist das Poster vom ICM 2010 mit dem Statement der Ramanujan-Vermutung und einer Zerlegung der hyperbolischen Ebene in Fundamentalbereiche von SL(2,Z).)
Bei der Ramanujan-Vermutung geht es um die Tau-Funktion τ(n). Für deren Definition betrachtet man zunächst die Dedekindsche Eta-Funktion
und dann die Potenzreihenentwicklung ihrer 24-ten Potenz:
mit Koeffizienten .
Ramanujan hatte vermutet, daß für Primzahlen
und allgemeiner für natürliche Zahlen
mit die Anzahl der Teiler von
.
Diese 1974 von Deligne als Korollar zu den Weil-Vermutungen bewiesene Vermutung sieht natürlich erstmal sehr speziell aus, hat aber viele Anwendungen in der Mathematik. Zunächst natürlich in verschiedenen Bereichen der reinen Mathematik, aber auch bei der Konstruktion von Ramanujan-Graphen (TvF 103), das sind Graphen (bestehend aus Ecken und Kanten, man denke an ein Telefon-Netzwerk oder auch einen Mikrochip) mit wenigen Kanten und guten Zusammenhangseigenschaften (d.h. auch nach Entfernen einer bestimmten Anzahl von Kanten bleibt der Graph zusammenhängend). Das Netzwerk ist sparsam und trotzdem stabil gegen den Ausfall einzelner Kanten – offensichtlich eine wichtige Eigenschaft von Telefonnetzen. Über den praktischen Nutzen solcher Graphen hatten wir in TvF 101 mal geschrieben.
Die Ramanujan-Vermutung war ein Korollar zu Delignes Beweis der Weil-Vermutungen. Diese sind ein Analog zur Riemann-Vermutung. Während es bei der Riemann-Vermutung um die mittels der natürlichen Zahlen definierte Riemannsche Zeta-Funktion
(bzw. deren analytische Fortsetzung) geht, geht es bei den Weil-Vermutungen um eine projektive Varietät über einem endlichen Körper
und deren Zeta-Funktion
,
wobei die Anzahl der Punkte von
über
ist. Die Vermutungen besagten, daß diese Zeta-Funktionen ähnliche Eigenschaften wie die Riemannsche Zeta-Funktion haben und insbesondere alle Nullstellen auf einer Geraden liegen. (Analog zur Riemann-Vermutung, deren Richtigkeit die optimalen Abschätzungen für den Fehler im Primzahlsatz liefern würde, liefern die Weil-Vermutungen optimale Abschätzungen für – so die Laudatio – alle möglichen Zählprobleme.)
Gowers’ Laudatio liefert einige allgemeinverständliche Informationen zu den Weil-Vermutungen und der Ramanujan-Vermutung. Die Weil-Vermutungen galten ursprünglich wohl als die spektakulärste Anwendung für den von Grothendieck entwickelten topologischen (kohomologischen) Zugang zur Arithmetik. Bewiesen wurden sie aber nicht von Grothendieck, der das zugrundeliegende Theoriegebäude geschaffen hatte, sondern eben von Deligne, der für den Beweis noch eine Reihe weiterer Ingredienzien benutzte. Gowers Laudatio listet “a theorem of Kazhdan and Margulis about monodromy groups of Lefschetz pencils, a method of Rankin for estimating Ramanujan’s tau function, a cohomology theory of Grothendieck for certain L-functions, the classical invariant theory of the symplectic group, a Leray spectral sequence argument, the tensor-power trick” als in Delignes Beweis verwendete Methoden.
Eine Darstellung von Delignes Beweis der Weil-Vermutungen (auf Deutsch) ist hier. Eher populärwissenschaftliche Informationen sind auf der Webseite zum Abelpreis.
Informationen zur Vorgeschichte des Abelpreises findet man hier. Die bisherigen Preisträger seit 2003 sind:
2003 Jean-Pierre Serre (Frankreich): Homotopietheorie, Algebraische Geometrie
2004 Michael Atiyah (GB), Isadore Singer (USA): Globale Analysis
2005 Peter Lax (USA): Partielle Differentialgleichungen, Streutheorie
2006 Lennart Carleson (Schweden): Harmonische Analysis, Dynamische Systeme
2007 Srinivasa Varadan (Indien): Wahrscheinlichkeitstheorie, Große Abweichungen
2008 Jacques Tits (Belgien), John Thompson (USA): Gruppentheorie
2009 Michael Gromov (Frankreich): Riemannsche und Symplektische Geometrie, Geometrische Gruppentheorie
2010 John Tate (USA): Algebraische Zahlentheorie, Elliptische Kurven
2011 John Milnor (USA): Differentialtopologie
2012 Endre Szemeredi (Ungarn): Graphentheorie
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