Das hat jetzt nichts mit Mathematik zu tun, aber muß mal gesagt werden. Ich verfolge ja natürlich auch hier in Korea regelmäßig die Nachrichtenseiten deutscher Medien und nehme mit Erstaunen zur Kenntnis, wie dort seit Tagen (oder Wochen?) über die Ereignisse (besser gesagt die täglichen Ankündigungen) aus dem Norden des Landes berichtet wird. Der Focus schreibt über einen drohenden Kriegsausbruch, laut WELT gerät die Krise in Nordkorea außer Kontrolle, der FAZ zufolge sollten Ausländer das Land verlassen (gemeint ist nicht etwa der Norden, sondern Südkorea), und im Stern steht: “Kim Jong Un will es wissen”. Nicht zu reden von diesem peinlichen Beitrag auf Spiegel Online. Eine positive Ausnahme ist dieser Artikel der Badischen Zeitung – dessen Autorin war im Gegensatz zu den anderen auch wirklich vor Ort. (Das Bild im Artikel zeigt übrigens den Gwanghwamun-Platz.)
Hier in Südkorea, wo man ja von einer etwaigen Gefahr eigentlich viel direkter betroffen wäre, ist von der ganzen Aufregung wenig zu spüren. In den Fernsehnachrichten nehmen Berichte über Unwetter und Verkehrsunfälle mehr Platz ein als die täglichen Drohungen aus dem Norden. (Mit einer Ausnahme: die Schließung der Sonderwirtschaftszone Kaesong ist tatsächlich ein empfindlicher Schlag für die koreanische Wirtschaft, über den in den Medien natürlich auch entsprechend berichtet wird.) Und mir ist auch noch niemand begegnet, der Vorräte an Reis und Nudeln kaufen oder sich nach Notunterkünften erkundigen würde. (Wobei es grundsätzlich schon eine durchorganisierte Katastrophenvorsorge gibt und z.B. auch regelmäßige Katastrophenschutzübungen stattfinden. Aber jedenfalls gibt es aktuell keine verstärkten Aktivitäten in dieser Richtung.)
Anscheinend reicht schon die reine Ankündigung angeblicher Aktivitäten, um es in Deutschland auf die Titelseiten sämtlicher Zeitungen zu bringen. Und anscheinend macht sich niemand die Mühe, die täglich absurder werdenden Drohungen auch nur im Ansatz auf ihre Plausibilität zu überprüfen.
Angefangen mit der offensichtlichen Sinnlosigkeit eines angekündigten Erstschlages (wer einen Angriffskrieg führen will, wird diesen kaum vorher wochenlang ankündigen) über die allseits bekannte Tatsache, daß Nordkoreas Armee im Frühling schon deshalb keinen Krieg führen kann, weil sie während des Aprils in der Landwirtschaft aushelfen muß (woran sich auch dieses Jahr nichts geändert hat, wie die für gewöhnlich gut unterrichtete Immigranten-Zeitung “Daily NK” berichtet) bis zur naheliegenden Frage nach den Aussichten eines solchen Unterfangens. Anders als etwa palästinensische Selbstmordattentäter hat die Elite Nordkoreas durchaus etwas zu verlieren und auch in KP-Kreisen dürfte jedem klar sein, daß ein atomarer oder konventioneller Erstschlag das sofortige Ende des gegenwärtigen Herrschaftssystems zur Folge hätte. (Spannend wäre allenfalls die Frage, ob dann Chinesen oder Amerikaner als erste das Land besetzen. Ersteres wäre vielleicht nicht die bessere, aber wohl die stabilere Lösung.)
Die ganze Geschichte verrät wohl eher etwas über den Erregungszyklus deutscher Medien als über irgendetwas sonst. Großspurige Ankündigungen, wenn sie auch noch so absurd sind, taugen eher für eine Schlagzeile als Tatsachen und ernstzunehmende Analysen.
Wer nichts auf die Reihe kriegt, kann immer noch Aufmerksamkeit bekommen und Bedeutung vortäuschen, indem er anderen maximal auf die Nerven geht. In einer weltweit vernetzten Mediengesellschaft reicht dafür schon eine tägliche Presseerklärung. Auch wenn man damit sonst nichts erreicht außer der Gegenseite ein paar Touristen oder mittelfristig vielleicht auch Geschäftspartner zu vertreiben – man bekommt jedenfalls die Aufmerksamkeit, die man gerne möchte und am Ende vielleicht noch eine Belohnung, nur damit endlich Ruhe ist.
Am Freitag beginnt übrigens das Kirschblütenfestival auf der Insel Yeouido in Seoul. Falls jemand am Wochenende noch nichts vor hat.
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