Letzte Woche hatten wir hier im Institut einen interessanten Vortrag eines japanischen Physikers über die Rolle von Cluster-Algebren bei der Berechnung von Volumen und Chern-Simons-Invariante hyperbolischer Mannigfaltigkeiten.
Cluster-Algebren
Cluster-Algebren sind ein gut 10 Jahre altes mathematisches Konstrukt mit einer ziemlich komplizierten Definition, das anscheinend in allen möglichen Zusammenhängen vorkommt. Die Entdecker, Fomin und Zelevinsky, hatten seinerzeit Anwendungen auf offene Vermutungen der Darstellungstheorie im Blick, die sich wohl so nicht erfüllt haben, stattdessen findet man diese Struktur nun aber in vielen anderen Gebieten der Mathematik. (Wenn auch bisher wohl ohne wirklich spektakuläre Anwendungen, das jedenfalls beim Eindruck nach Browsen einiger Mathscinet-Reviews.) Nun also auch in der Topologie von 3-Mannigfaltigkeiten.
Cluster-Algebren erhät man, indem man gewisse Mutationen auf n unabhängige Variablen anwendet. Die erlaubten Mutationen
ergeben sich aus einer schiefsymmetrischen, ganzzahligen Matrix
, welche sich durch die Mutationen ebenfalls verändert. Der Vollständigkeit halber kopiere ich mal aus dem Wikipedia-Artikel die genauen Formeln:
die Mutation μk ist definiert durch mit
$latex \tilde{x}_i=x_i\mbox{\ f\"ur\ } i \neq k\\
.
\tilde{x}_k=\frac{1}{x_k}\left(\prod_{\{j\colon b_{jk}>0\}}x_j^{b_{jk}}+\prod_{\{j\colon b_{jk}<0\}}x_j^{-b_{jk}}\right)\\
\tilde{b}_{ij}=b_{ij}+\frac{|b_{ik}| b_{kj}+b_{ik} |b_{kj}|}{2}\mbox{\ falls\ } i \neq k, j \neq k\\
\tilde{b}_{kj}=-b_{kj},\tilde{b}_{ik}=-b_{ik}$
Die Cluster-Algebra erhält man dann durch iterierte Anwendung aller möglichen Mutationen auf den Ausgangs-Cluster
. (A priori bekommt man so unendlich viele Cluster, es gibt aber viele interessante Fälle, in denen man nur endlich viele unterschiedliche Cluster erhält. Diese Cluster-Algebren endlichen Typs lassen sich durch Dynkin-Diagramme klassifizieren.)
Hyperbolisches Volumen
Viele 3-dimensionale Mannigfaltigkeiten, insbesondere viele Knotenkomplemente haben eine eindeutige hyperbolische Metrik und deren Volumen und Chern-Simons-Invariante sind wichtige 3-Mannigfaltigkeits-Invarianten. Man kann diese Invarianten berechnen, indem man die Mannigfaltigkeiten in ideale Tetraeder zerlegt. (Ideale Tetraeder sind Tetraeder im hyperbolischen Raum mit Ecken im Unendlichen.)
Ideale Tetraeder kann man durch ihre Kantenwinkel beschreiben oder, was für Rechnungen meist praktischer ist, durch einen komplexen Parameter z, das Doppelverhältnis der 4 Ecken. Wenn man die Mannigfaltigkeit in ideale Tetraeder zerlegt hat, kann man nach Parametern z1,...,zn für die idealen Tetraeder suchen, so dass diese sich zu einer hyperbolischen Mannigfaltigkeit zusammensetzen, d.h. man keine Singularitäten an den Kanten oder Ecken bekommt - diese Bedingung übersetzt sich in ein gewisses Gleichungssystem in den zi.
Das Volumen berechnet sich dann als Summe der Bloch-Wigner-Dilogarithmen der zi berechnen und auch für die Chern-Simons-Invariante erhält man eine analytische Formel.
Achterknoten
Das einfachste Beispiel einer hyperbolischen 3-Mannigfaltigkeit ist das Komplement des Achterknotens. Das kann man in zwei ideale Tetraeder zerlegen, wie das folgende Bild (aus Thurstons Lecture Notes) suggeriert:
.
Die Verklebungen erfolgen entsprechend dem Bild unten (v1 entspricht v1', A entspricht A' etc), Einzelheiten kann man auf dieser sehr schönen Webseite nachlesen.
In diesem Fall hat man also ein Gleichungssystem in zwei Unbekannten, das man leicht lösen kann. (Der Vollständigkeit halber: man bekommt hier an den Kanten die beiden äquivalenten Gleichungen und an den Ecken die Gleichungen
, die Lösung ist
.)
Der neue Ansatz mittels Cluster-Algebren ist nun eigentlich nur eine andere Beschreibung des zu lösenden Gleichungssystems: man führt andere Parameter ein (aus denen sich die Parameter
dann berechne lassen sollen) und stellt fest, dass es eine gewisse Cluster-Algebra gibt, in der eine gewisse Periodizitätsbedingung gerade zu Gleichungen in den
führen werden, die den oben erwähnten Gleichungen in den zi äquivalent sind.
Die Autoren realisieren diesen Ansatz für verschiedene Klassen von 3-Mannigfaltigkeiten: für Faserungen über dem Kreis, deren Faser ein Torus mit Loch ist, für Komplemente von 2-Brücken-Knoten und auch für Komplemente von Zöpfen (letzteres gibt bekanntlich alle Komplemente von Verschlingungen).
Hyperbolische Metriken auf Faserbündeln
Der am einfachsten zu verstehende Fall ist der von Faserbündeln. (Dazu gehört auch das Komplement des Achter-Knotens.)
Für Faserbündel über dem Kreis mit Torus-mit-Loch ("once-punctured-torus") als Faser kann man die idealen Triangulierungen explizit beschrieben (aus dieser Arbeit von Gueritaud und Futer).
Die Idee ist folgende: den Torus (mit einem herausgenommenen Punkt) kann man auf vielerlei Weise in zwei (ideale)Dreiecke zerlegen, zum Beispiel durch Longitude, Meridian und eine Diagonale, oder durch Longitude, Meridian und andere Diagonale, oder ganz allgemein durch jeweils 3 geschlossene Kurven, die sich nur im fehlenden Punkt (dem Loch) schneiden. Die geschlossenen Kurven werden durch eine rationale Zahl (ihren Anstieg) beschrieben, die Triangulierungen also durch Tripel rationaler Zahlen mit der zusätzlichen Bedingung, dass die entsprechenden Kurven auf dem Torus sich nicht schneiden ausser im Nullpunkt. Diese Menge veranschaulicht man durch die Farey-Triangulierung: die Dreiecke
im Bild unten entsprechen genau den zulässigen Tripeln rationaler Zahlen.
Wenn man nun eine solche Triangulierung des Torus hat, dann kann man sie "flippen", d.h. die eine Diagonale durch die andere ersetzen und bekommt eine neue Triangulierung. (Diese beiden Triangulierungen entsprechen Dreiecken mit einer gemeinsamen Kante in der oben abgebildeten Farey-Triangulierung.)
Und man kann dann (Bild unten) einen Homöomorphismus zwischen dem Produkt und einem einzelnen Tetraeder realisieren, so dass die beiden Triangulierungen (von denen die eine der "Flip" der anderen ist) als Triangulierungen von
und
bekommt.
Jedes Faserbündel über dem Kreis mit Faser T läßt sich so beschreiben, dass man nimmt und die Ränder
und
mittels eines Homöomorphismus
verklebt. Wenn die Faser ein Torus (mit Loch) T ist, dann ist die Abbildungsklassengruppe bekanntlich
erzeugt von den beiden Dehn-Twists
. Diese beiden Abbildungen haben nun den Effekt, dass sie in der obigen Farey-Triangulierung (wenn man Matrizen durch gebrochen-lineare Abildungen wirken lässt) jeweils Dreiecke auf ihre linken bzw. rechten Nachbarn abbilden.
Die Konstruktion einer hyperbolischen Metrik auf einem solchen Faserbündel mit Faser T funktioniert dann wie folgt: sei die Monodromie des Bündels. In der Farey-Triangulierung betrachtet man die die beiden Eigenwerte von A verbindende Geodäte (rot eingezeichnet im Bild der Farey-Triangulation oben), diese schneidet unendlich viele Dreiecke, man kann aber zeigen, dass sie modulo der Wirkung von A nur endlich viele Dreiecke schneidet. Die jeweils benachbarten Dreiecke bestimmen wie oben beschrieben einen idealen Tetraeder, man bekommt eine Folge von idealen Tetraedern, die modulo der Monodromie A periodisch ist, also eine ideale Triangulierung des Faserbündels. (Die Anzahl der Tetraeder entspricht der Anzahl der Faktoren L und R, wenn man die Matrix A in diesen beiden Erzeugenden ausdrückt.) Um die hyperbolische Metrik zu bekommen, muss man dann die durch die Triangulierung gegebenen Gleichungssysteme lösen. (Eine Lösung existiert, wenn A zwei unterschiedliche Eigenwerte hat, Beweis hier.)
Das Achterknoten-Knotenkomplement zum Beispiel ist ein Faserbündel mit Faser T und Monodromie , man erhält also eine Zerlegung in zwei ideale Tetraeder. (Die, wenig überraschend, mit der von Thurston angegebenen übereinstimmt.)
Cluster-Algebra des Faserbündels
Wie gesagt beschreiben Inoue und Hikami Ansätze zur Beschreibung hyperbolischer Metriken mittels Cluster-Algebren für verschiedene Klassen von 3-Mannigfaltigkeiten, der einfachste Fall sind wohl Faserbündel mit Faser T.
Für diesen Fall betrachten sie die Cluster-Algebra mit Variablen und Austauschmatrix
. Für diese hat man dann die im ersten Abschnitt oben angegebenen Mutationen
und - für ein Faserbündel mit Faser T, dessen Monodromie A in ein Produkt von L's und R's zerlegt ist - betrachtet man dann für jedes vorkommende L die Abbildung
(wobei s23 die Permutation der 2. und 3. Variablen bezeichnet) und für jedes vorkommende R die Abbildung
. Einsetzen in die Definition gibt für
und für
.
Der von Hikami und Inoue bewiesene Satz ist dann, dass man die Parameter z1,...,zn der idealen Tetraeder in der im vorigen Absatz beschriebenen idealen Triangulierung des Faserbündels berechnen kann aus den Lösungen einer Periodizitätsgleichung in der Cluster-Algebra, nämlich dass man - bei einem Faserbündel mit Monodromie - durch Anwendung der den L's und R's entsprechenden Operationen neue Cluster bekommt und dann fordert, dass nach dem letzten (n-ten) Schritt man wieder das Ausgangs-Cluster erhält. Das gibt ein Gleichungssystem, dessen Lösungen
die Berechnung des Parameters z1 des ersten Tetraeders nach der Formel
(wenn der entsprechende Faktor in A ein R ist) bzw. nach der Formel
(falls der entsprechende Faktor in A ein L war) erlauben. Analog bekommt man die Parameter
des 2.,3.,4.,... Tetraeders, wenn man in die Formeln statt der Variablen
aus dem 1.Cluster die entsprechenden Variablen aus dem 2.,3.,4.,... Cluster einsetzt.
Am anschaulichsten ist es wohl, sich das einmal an einem einfachen Beispiel anzuschauen, dem Achterknoten-Komplement. Hier war die Monodromie A=LR, die zugehörige Abbildung ist
,
man muss also das Gleichungssystem
lösen. Die Lösung ist
.
Den Parameter des ersten Tetraeders berechnet man dann als .
Der zweite Cluster ergibt sich als , der Parameter des zweiten Tetraeders ist
.
(Man beachte, dass die komplexen Parameter und
isometrische Tetraeder beschreiben, die durch eine Spiegelung ineinander überführt werden können. Wir haben also, wie es natürlich auch sein muss, die selbe Lösung bekommen wie unmittelbar aus den Gleichungen zur Triangulierung oben im 2.Abschnitt.)
Die Rechnung war jetzt eher komplizierter als wenn man die Gleichungen zwischen den Parametern zi direkt gelöst hätte, der Nutzen dieser neuen Beschreibung ist also wohl weniger eine einfachere Berechnung der hyperbolischen Metrik und ihrer Invarianten als eben das Entdecken einer auch anderswo vorkommenden mathematischen Struktur, der Cluster-Algebra, in (Umformulierungen der) Gleichungen, die die Parameter einer idealen Triangulierung einer hyperbolischen Mannigfaltigkeit beschreiben.
Kazuhiro Hikami, & Rei Inoue (2012). Cluster Algebra and Complex Volume of Once-Punctured Torus Bundles and
Two-Bridge Knots ArXiv arXiv: 1212.6042v2
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