Wer eine bei Wikipedia unterrepräsentierte Minderheitenperspektive einbringen will, muss sich der Mehrheit gegenüber andienen oder wird entweder verfolgt und ständigen Provokationen ausgesetzt – nicht von allen und zum Teil aufrichtig gegen Angriffe verteidigt von Admins, aber doch so, dass keine normale Arbeit möglich ist – oder, wenn er oder sie diese Verfolgung durch wechselnde Identitäten erschweren will, gleich offiziell für vogelfrei erklärt. olag disk 22:13, 9. Jan. 2014 (CET)
Folgt man den dort angebenen Verlinkungen, dann erschließt sich die Geschichte eines Konflikts zwischen zwei Autoren, nennen wir sie AY und MM, von denen der eine seine Benutzerseite mit einer türkischen Flagge dekoriert, während des anderen Interesse an der Türkei eher akademischer Natur zu sein scheint.
Es geht, kurz gesagt, darum, dass MM häufig Änderungen von AY an die Türkei oder den Islam betreffenden Artikeln zurücksetzt oder korrigiert und sich dabei auf (oft akademische) Literatur beruft, gelegentlich auch recht deutlich seine Kritik an AYs Beiträgen äußert. Darauf bezieht sich der oben zitierte Beitrag, der – wie man auf verschiedenen Diskussionsseiten nachlesen kann – durchaus keine Einzelmeinung zu sein scheint und symptomatisch auch für andere WP-interne Debatten steht.
Die Abgrenzung des Buchwissens vom Erfahrungswissen, im akademischen (geisteswissenschaftlichen) Bereich ohnehin eine Selbstverständlichkeit, ist natürlich auch in den Wikipedia-Regularien klar geregelt durch Regeln, die genau solche Diskussionen vermeiden sollen, Regeln, die Theoriefindung, also das Einbringen eigener Erkenntnisse und Erfahrungen ausdrücklich verbieten und nur Wissen aus Sekundärliteratur erlauben.
Trotzdem, und da wird es mit Blick auf mein Dissertationsthema spannend, werden diese Diskussionen dort geführt, genauso oft wie in der nichtanonymen Offlinewelt, obwohl doch gerade im anonymen Internet niemand die Möglichkeit hat, die Authentizität des vorgeblichen Erfahrungswissens zu überprüfen. Ein Autor erhält Autorität einfach nur durch seine behauptete persönliche Affinität zu einem Thema, welche selbstverständlich niemand zu kontrollieren vermag.
Konkret zum oben beschriebenen Konflikt stellt sich die Frage, woraus – gerade in der Anonymität des Internets – eine “Perspektive auf Grundlage der eigenen Identität” ihre Glaubwürdigkeit gewinnen sollte, denn schließlich kennt ja überhaupt niemand den realen Hintergrund der beiden Autoren, kann also die akademischen Meriten des einen genauso wenig überprüfen wie die persönlichen Erfahrungen des anderen. AY’s Biographie könnte ohne Weiteres auch völlig anders aussehen als auf seiner Benutzerseite angegeben, etwa so: Jahrgang 1954, Deutscher, Besuch einer katholischen Eliteschule irgendwo im Alb-Donau-Kreis, schon als Schüler journalistisch in der Lokalpresse tätig. Nach einer Veranstaltung der FDP-Ortsgruppe schreibt er einen kirchenkritischen Artikel und wird deshalb der Schule verwiesen. (Sowas gab es noch in den frühen Siebzigern.) Er macht dann doch Abitur, studiert einige Jahre Musik ohne Abschluß, arbeitet lange Jahre in der Industrie und entdeckt schließlich Mitte der Nuller Jahre die Wikipedia, zunächst nur um in Artikeln über musiknahe Themen zu schreiben. Nach Erreichen des Vorruhestands wird er häufiger in der Wikipedia aktiv und legt sich für seine verschiedenen Interessensgebiete unterschiedliche Identitäten zu. Manche fliegen dank aufmerksamer Administratoren sofort auf, etwa als er sich unter dem Namen einer bekannten Wiener Prostituierten anmeldet, andere haben eine längere Lebensdauer, zum Beispiel die als Student der Heinrich-Heine-Universität. Wirklich erfolgreich ist aber nur eine seiner Identitäten, die als 34-jähriger türkischstämmiger Jungunternehmer mit Frau und 2 Töchtern, der in seiner knapp bemessenen Freizeit die deutschsprachige Wikipedia auf Vordermann bringen möchte. Wahrscheinlich macht es ihm Freude, das durch Film und Fernsehen transportierte Klischee, den immer etwas aufgeregt klingenden südländischen Redestil, bis zur Persiflage zu imitieren. Noch mehr Freude macht ihm vermutlich, nun zur Zielgruppe aller möglichen fremdenfeindlichen Angriffe zu werden. Rechtsextreme Webseiten spekulieren über seine Identität, halten ihn für einen türkischstämmigen taz-Autor und sehen in ihm den Anführer einer die deutsche Wikipedia unterwandernden linken Mafia. Dabei schreibt er in der Wikipedia überhaupt keine Artikel, allenfalls kurze Ergänzungen, hält sich hauptsächlich auf Diskussionsseiten auf und meldet vermeintliche oder tatsächliche Sockenpuppen. Als der Platzhirsch der Wikipedia von seinen Gespielinnen einen eigenen Personenartikel anlegen läßt, um sich – einen 50-jährigen Dauerstudenten – als einen der führenden deutschen Soziologen und Kollegen von Jürgen Habermas darstellen zu lassen, ist AY diensteifrig zur Stelle und verteidigt den Artikel gegen alle Lösch- und Änderungsversuche. Auch sonst unterstützt er gern Administratoren, vorzugsweise die mit viel Einfluß. Seine Beiträge garniert er oft mit türkischen Zitaten, mangels Sprachkenntnissen aus Wikiquote übernommen. Darüber hinaus untermauert er seine Legende durch Einbringen türkischsprachiger Quellen und Beteiligung an Debatten über die Türkei betreffende Artikel.
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