Ein Leser hat mich per Mail auf diesen Artikel zum vorletzten Video der Numberphile-Reihe
hingewiesen, in dem die angeblich in der Stringtheorie verwendete (?) Identität “bewiesen” wird.
Wer schon mal eine Erstsemestervorlesung zur Mathematik gehört (oder solche Definitionen noch im Abitur gelernt hat) wird natürlich den Fehler im Beweis sofort erkennen: es ist das Herumrechnen mit divergenten Reihen, mit dem man, wenn man sich (un)geschickt anstellt, praktisch jeden Unsinn beweisen kann – was im Video leider zu erklären versäumt wurde. Zum Beispiel kann man eine konvergente, aber nicht absolut konvergente, Reihe wie durch passende Umordnung der Summanden jeden reellen Wert annehmen lassen.
Nun haben in der Geschichte Mathematiker durchaus solche Rechnungen benutzt, um damit völlig richtige Ergebnisse zu erhalten, Leonhard Euler etwa galt als Meister im Rechnen mit divergenten Reihen, der offenbar immer genau wußte, welche Rechnungen zu korrekten Ergebnissen führen und welche nicht. Anfang des 19. Jahrhunderts begann man solche Beweise in Zweifel zu ziehen, exemplifiziert am Zitat von Niels Henrik Abel
The divergent series are the invention of the devil, and it is a shame to base on them any demonstration whatsoever. By using them, one may draw any conclusion he pleases and that is why these series have produced so many fallacies and so many paradoxes …
In den 1820er Jahren wurde dann das Rechnen mit unendlichen Reihen auf eine klar definierte mathematische Grundlage gestellt, wie man sie heute im Analysis-Grundkurs lernt, und die Mathematiker verlernten das Rechnen mit divergenten Reihen. (Ausnahme: Ramanujan.)
Wie gesagt kann man durch geschicktes Umordnen divergenter Reihen praktisch jede mathematische Identität beweisen. Warum die “Identität” trotzdem eine besondere Rolle spielt, das hat eine andere Ursache: die Riemannsche Zeta-Funktion.
Riemannsche Zeta-Funktion
Wenn s eine komplexe Zahl mit Realteil ist, dann konvergiert die unendliche Reihe
,
zum Beispiel ist (siehe Mathematische Hausnummer).
Man kann zeigen, dass die Funktion komplex differenzierbar ist (im Bereich ).
Nun ist es ein allgemeines Prinzip, dass man eine auf einer offenen Teilmenge der Ebene definierte komplex-differenzierbare Funktion (unter gewissen Voraussetzungen) analytisch fortsetzen kann, so dass man eine auf der ganzen Ebene (mit Ausnahme einzelner isolierter Singularitäten) definierte komplex-differenzierbare Funktion erhält. Im Fall von definiert diese analytische Fortsetzung die sogenannte Riemannsche Zeta-Funktion, für die sich Riemann seinerzeit wegen ihrer Anwendungen auf die Primzahlverteilung interessiert hatte (siehe 150 Jahre Riemann-Vermutung).
Wie die Reliefkarte (aus der Sammlung des Göttinger Mathematischen Instituts) zeigt, hat die Zeta-Funktion eine einzige Singularität in , Nullstellen in -2,-4,-6,… und wahrscheinlich liegen alle weiteren Nullstellen auf der Geraden
. (Letzteres ist die berühmte Riemann-Vermutung, eines der Millenium-Probleme, auf deren Lösung das Clay-Institut 1 Million Dollar ausgesetzt hat.)
1+2+3+4+5+… = -1/12
Den Wert der Riemannschen Zeta-Funktion für s=-1 kann man ausrechnen. Es gibt nämlich eine Funktionalgleichung
(wobei Γ die Gamma-Funktion ist).
Wenn man s= -1 einsetzt, erhält man
.
Wegen (Basler Problem) und
, also
, folgt daraus
Nun war ja die Riemannsche Zeta-Funktion eigentlich (für Re(s)>1) mal definiert als
und wenn man da formal s=-1 einsetzt, bekommt man
.
Der Punkt ist natürlich, dass ζ(s) eben nur für Re(s)>1 auf diese Weise definiert war, für andere Werte von s divergiert die Reihe und der Wert der analytischen Fortsetzung hat nichts mit dem (nicht existenten) Wert der unendlichen Reihe zu tun.
Mit Dank an Roland K. für den Hinweis auf das Video
Kommentare (68)