Ein eher ungewöhnlicher Abstrakt findet sich heute über einem neuen Artikel auf dem ArXiv:
A 4-manifold is constructed with some curious metric properties; or maybe it is many 4-manifolds masquerading as one, which would explain why it looks curious. Anyway, knots in the 3-sphere with complete finite volume hyperbolic metrics on their complements play a role in this story.
Die flapsige Einleitung täuscht ein wenig: der Abstrakt gehört zu einer 150 Seiten langen ziemlich technischen neuen Arbeit. (Some 4-manifold geometry from hyperbolic knots in S3 von Clifford Taubes)
Es geht um Differentialstrukturen auf 4-dimensionalen Mannigfaltigkeiten, genauer um (potentiell) unterschiedliche Differentialstrukturen auf einer bestimmten 4-Mannigfaltigkeit.
Differentialstrukturen auf Mannigfaltigkeiten
Wir hatten hier nach dem Beweis der Kervaire-Vermutung und auch nach der Abelpreisverleihung an John Milnor mal über die Probleme mit der Differentialrechnung auf Sphären (und allgemeineren Mannigfaltigkeiten) geschrieben. Um das wichtigste noch mal kurz zu wiederholen:
Im ersten Semester oder schon in der Schule lernt man, daß es stetige Funktionen gibt, die nicht differenzierbar sind, z.B. die Betragsfuntion f(x)=IxI.
Andererseits läßt sich aber jede stetige Funktion durch eine beliebig kleine Änderung in eine differenzierbare Funktion “deformieren”, d.h. jede stetige Funktion ist homotop zu einer differenzierbaren. (Das ist allgemein bekannt, aber in der Literatur habe ich es nur an einer Stelle gefunden, nämlich als Hausaufgabe in Milnor’s bekanntem Buch “Topology from the differentiable viewpoint”.)
Eine Sphäre kann man bekanntlich durch Landkarten überdecken, so daß die “Koordinatenwechsel” zwischen den Karten stetig (und sogar differenzierbar) sind, vgl. TvF 10.
Das Bild zeigt eine Karte für die Einheits-Sphäre (mit Ausnahme des Nordpols).
Die Abbildung (die sogenannte stereographische Projektion) ist gegeben durch
φ1(x,y,z) = (x/(1-z),y/(1-z)).
Eine zweite Landkarte bekommt man für die Einheits-Sphäre (mit Ausnahme des Südpols) durch die Formel φ2(x,y,z) = (x/(1+z),y/(1+z)), d.h. man projiziert vom Südpol aus auf eine am Nordpol angebrachte Ebene.
(Diese beiden Landkarten überdecken die gesamte Sphäre.)
Wenn man jetzt auf der Sphäre Differentialrechnung betreiben (d.h. Funktionen f ableiten) will, wird man dies natürlich in den durch die Karten gegebenen Koordinaten tun (d.h. man leitet fφ1-1 bzw. fφ2-1 ab). Das ganze soll natürlich koordinaten-unabhängig sein: in denjenigen Punkten, die zu beiden Landkarten gehören, soll die Differenzierbarkeit einer Funktion nicht davon abhängen, welche der beiden Landkarten man als
Koordinatensystem verwendet. Mathematisch formuliert: die Differenzierbarkeit von fφ1-1 soll äquivalent zur Differenzierbarkeit von fφ2-1 sein.
Diese Bedingung ist aber genau dann erfüllt, wenn alle Koordinatenwechsel (hier: φ2φ1-1 und φ1φ2-1) differenzierbar sind, denn es ist ja fφ1-1=(fφ2-1)(φ2φ1-1), also wenn φ2φ1-1 differenzierbar ist, dann folgt Differenzierbarkeit von fφ1-1 aus Differenzierbarkeit von fφ2-1.
Langer Rede kurzer Sinn: damit man auf der Sphäre sinvoll Differentialrechnung betreiben kann, müssen die Koordinatenwechsel differenzierbar sein.
Für die beiden Karten oben ist das der Fall: sowohl φ2φ1-1 als φ1φ2-1 sind die Inversion am Einheitskreis und diese ist differenzierbar.
Eine Differentialstruktur auf der Sphäre ist, per Definition: eine Menge von Karten (die die gesamte Sphäre überdecken), so dass die Koordinatenwechsel differenzierbar sind.
Die beiden Karten oben definieren eine Differentialstruktur auf der 2-dimensionalen Sphäre. Jede andere Menge von Karten, die mit diesen beiden Karten kompatibel ist (d.h. die jeweiligen Koordinatenwechsel seien wieder differenzierbar) definiert dieselbe Differentialstruktur. (Und zwei Differentialstrukturen gelten als äquivalent, wenn sie sich durch einen Homöomorphimsus ineinander überführen lassen.)
Man kann sich nun fragen, ob diese Differentialstruktur auf der Sphäre die einzig mögliche ist. Also, ob es eine andere Überdeckung mit Karten gibt, die sich nicht durch einen Homöomorphismus in diese abbilden läßt, so daß die Koordinatenwechsel (zwischen Karten der einen Differentialstruktur und Karten der anderen Differentialstruktur) nicht differenzierbar sind. (Damit würde dann die Differenzierbarkeit einer Funktion davon abhängen, welche Koordinaten man verwendet.)
Eine solche andere Differentialstruktur gibt es auf der 2-dimensionalen Sphäre nicht. In höheren Dimensionen kann es aber unterschiedliche Differentialstrukturen geben, das historisch erste Beispiel waren die von John Milnor gefundenen 28 Differentialstrukturen auf der 7-dimensionalen Sphäre.
Dimension vier
Besonders kompliziert ist die Differentialrechnung in Dimension 4. Während höherdimensionale Sphären zwar unterschiedliche Differentialstrukturen haben können, aber stets nur endlich viele, wird in Dimension 4 vermutet, dass jede 4-dimensionale Mannigfaltigkeit unendlich viele Differentialstrukturen besitzt. Bewiesen ist das aber nur für kompliziertere 4-Mannigfaltigkeiten, für die 4-dimensionale Sphäre kennt man keine einzige exotische Differentialstrukturen. Auch für die komplexe Projektive Ebene CP2 kennt man noch keine exotischen Differentialstrukturen, wohl aber für ihre zusammenhängende Summe mit hinreichend vielen umgekehrt orientierten Kopien der komplexen projektiven Ebene.
K3-Flächen und hyperbolische Knoten
Taubes betrachtet nun folgende Konstruktion: in einer (4-dimensionalen) K3-Fläche schneidet er die Umgebung eines 2-dimensionalen Torus aus und klebt stattdessen eine Kopie von (S3-N(K))xS1 ein, wobei N(K) die Umgebung eines hyperbolischen Knotens in der 3-Sphäre ist.
Das kann man für jeden hyperbolischen Knoten machen und erstaunlicherweise sind die so konstruierten 4-Mannigfaltigkeiten alle homöomorph (topologisch gleich), nämlich zur zusammenhängenden Summe aus 3 positiv orientierten und 19 negativ orientierten Kopien der komplexen projektiven Ebene.
Unterscheiden hyperbolische Knoten die Differentialstrukturen?
Der Hauptteil von Taubes’ Arbeit besteht dann darin, zu zeigen, dass man aus den so konstruierten differenzierbaren 4-Manigfaltigkeiten die hyperbolischen Knoten zurückgewinnen kann. Nämlich, es gibt auf den 4-Mannigfaltigkeiten Folgen von Metriken mit bestimmten Eigenschaften (der Weylsche Krümmungstensor soll anti-selbstdual, d.h. schiefsyymetrisch, sein, außerdem haben alle Metriken das selbe Volumen und gleichmäßig in L2 beschränkten Riemannschen Krümmunstensor), deren Gromov-Hausdorff-Grenzwert gerade das Produkt des hyperbolischen Knotenkomplements mit der flachen S1 ist.
Das legt dann nahe, dass die unterschiedlichen Differentialstrukturen (auf dieser speziellen 4-Mannigfaltigkeit) durch die Menge der hyperbolischen Knoten parametrisiert werden könnte. Bisher ist allerdings noch nicht klar, ob die konstruierten Differentialstrukturen überhaupt alle unterschiedlich sind. Die Seiberg-Witten-Invarianten (sonst oft die einfachsten Invariante, mit der man Differentialstrukturen auf einer 4-Mannigfaltigkeit unterscheiden kann) ist jedenfalls in allen Fällen 0.
Clifford Henry Taubes (2016). Some 4-manifold geometry from hyperbolic knots in S^3 ArXiv arXiv: 1602.01687v1
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