Zahlreiche Medien beklagen sich über die zu einfachen Abschlußprüfungen in Mathematik, die den Zehntklässlern in Berlin-Brandenburg dieses Jahr gestellt wurden. Die Aufgaben sind hier online, für mich nach vielen Jahren erstmals ein Anlaß, wieder mal eine solche Abschlußprüfung anzuschauen.
Was im Vergleich zu “früher” natürlich als erstes auffällt, ist die Einbettung aller Aufgaben in einen Anwendungsbezug. Das ist aber wahrscheinlich kein Spezifikum gerade dieser Berlin-Brandenburger Prüfung, sondern wird wohl heute allgemein so gemacht.
Die Medien hängen sich besonders an einer Aufgabe auf, in der nach der größten aus den drei Zahlen 6,3,2 zu bildenden dreistelligen Zahl gefragt wurde. Die ist aber ein durchaus sinnvoller Teil der gesamten Aufgabenstellung und im Grunde fast schwieriger als der spätere Teil c), wo im Prinzip nach dem Ergebnis der Subtraktion 900-100 gefragt und das Ergebnis auch noch gleich mitgeliefert wird. Die Schüler sollen nur noch die Begründung verbalisieren.
Und die wirklich einfachste Aufgabe ist dann Teil a) der folgenden Geometrie-Aufgabe, wo nach der Länge des Weges von A nach D über C gefragt wird und die Längen der Strecken aber bereits danebenstehen.
Es geht also offensichtlich weniger um mathematische Fähigkeiten als um das Textverständnis bzw. das Verständnis von Karten und Diagrammen. So erklärt es ja auch Professor Kortenkamp im Schulspiegel.
Bemerkenswert an der letzten Aufgabe ist vielleicht auch, dass die abschließende Teilaufgabe c) wohl die schwerste Teilaufgabe der Prüfung sein sollte, eine von nur drei Teilaufgaben, auf die 4 Punkte vergeben wurden. Wenn man sich anschaut, was dort zu tun ist, dann muß einfach nur die Definition des Tangens eingesetzt werden, immerhin nachdem vorher noch ein Winkel mit Hilfe der Innenwinkelsumme berechnet wurde. Man braucht keine Sätze der Trigonometrie wie etwa den Kosinussatz. Auch sonst gibt es keine geometrischen Aufgaben, die zum Beispiel den Strahlensatz oder den Satz von Thales benutzen würden. Geometrische Beweise, von denen es “früher” immer einen, wenn auch stets sehr einfachen, in jeder Prüfung gab, kommen natürlich auch nicht vor.
Die Verschiebung der Prüfungsinhalte von mathematischen auf eher sprachliche Fähigkeiten wird Vor- und Nachteile haben. Schüler mit naturwissenschaftlich-technischen Interessen hätten vielleicht lieber Aufgaben, bei denen nur ein richtiges Ergebnis anzugeben ist, Schülern, die gerne viel reden, werden Aufgaben, bei denen das bereits in der Aufgabenstellung angegebene Ergebnis nur noch begründet werden soll, vielleicht eher entgegenkommen.
Nun haben die Aufgaben in der Berlin-Brandenburger Prüfung natürlich alle einen mathematischen Kern und es geht nicht nur ums Diskutieren und Begründen. Trotzdem kann man das Thema ja mal weiterspinnen und sich fragen, warum manche mathematische Fragen mehr zu Diskussionen anregen als andere.
Wir hatten hier im Blog vor zehn Tagen eine Aufgabe aus einer chinesischen Zeitung, die dann für lebhafte Diskussionen sorgte und im Original bei Renmin Ribao sogar eine Kommentarschlacht mit mehr als zwanzigtausend Beiträgen ausgelöst hatte:
Der Witz bei dieser Aufgabe war, dass die blaue Blume in der letzten Zeile nur vier Blätter hat, weshalb man ihr den Wert 4 statt 5 zuweisen muss und womit das Endergebnis statt 101 dann 81 wird.
Das ist natürlich eine durchaus nicht selbstverständliche Interpretation der Aufgabenstellung und dementsprechend gab es dann die erwähnten lebhaften Diskussionen nicht nur bei mir im Blog, sondern vor allem auch bei der ursprünglichen Facebook-Quelle, wo die meisten der mehr als 24.525 Kommentarschreiber einfach nur sagen wollten, was die ihrer Meinung nach richtige Lösung ist.
Im Grunde geht es in der Diskussion aber nie um die mathematische Lösung, sondern um die Interpretation der Aufgabenstellung. Man kann sie so interpretieren, dass die vierblättrige blaue Blume vier Fünfteln der fünfblättrigen blauen Blume entspreche. Man kann sie auch so interpretieren, dass alle blauen Blumen derselben Variablen entsprechen. Oder man kann sie so interpretieren, dass unterschiedliche blaue Blumen unterschiedlichen, unabhängigen Variablen entsprechen. Und weil es kein Kriterium gibt, anhand dessen sich diese Frage entscheiden ließe, kann man dann ewig weiterdiskutieren.
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