Komplexe Dynamik befasst sich mit der Iteration einer Funktion auf der komplexen Zahlenebene. Zu einer Funktion f schaut man, wie sich eine komplexe Zahl z bei wiederholter Anwendung von f verhält: man betrachtet die Folge
Ein einfaches Beispiel: . Zu einem Startwert z haben wir die Folge
usw. Wenn man etwa z=2 einsetzt erhält man die Folge 2,4,8,16,… die ‘gegen Unendlich’ geht. (Und genauso für jeden anderen Startwert ausserhalb des Einheitskreises.) Und wenn man z=1/2 einsetzt, erhält man die Folge 1/2,1/4,1/8,1/16,… die gegen Null geht. (Und genauso für jeden Startwert im Inneren des Einheitskreises.)
Komplizierter ist es auf dem Rand des Einheitskreises. Manche Startwerte landen letztlich in der 1, andere haben einen dichten Orbit auf dem Einheitskreis. Eine geringe Störung des Startwertes auf dem Einheitskreis führt zu einem gänzlich anderen Verhalten der Iteration.
Die Menge der Punkte, in denen die Dynamik sensitiv gegenüber Störungen des Startwertes ist, bezeichnet man als Julia-Menge, ihr Komplement als Fatou-Menge.
Für f(z)=z2 ist die Julia-Menge einfach der Kreis vom Radius 1, also kein kompliziertes Bild. Es war aber schon in den 20er Jahren durch Arbeiten von Gaston Julia bekannt, das für andere Funktionen viel kompliziertere fraktale Mengen erhalten werden.
Das folgende Bild ist die Julia-Menge des quadratischen Polynoms . Die Julia-Menge ist weiss, das grüne und das blaue Gebiet sind die beiden Komponenten der Fatou-Menge.
Formal definiert man die Fatou-Menge als die Menge aller derjenigen Punkte, in denen die Folge der Iterationen gleichgradig stetig ist (d.h. das δ in der ε-δ-Definition von Stetigkeit hängt nicht von k ab). Bei dieser Definition ist zu beachten, dass man sich die Metrik auf der komplexen Ebene so denkt, dass die komplexe Zahlenebene (mittels stereografischer Projektion) eine Teilmenge der Sphäre ist, also das Innere und Äussere des Einheitskreis durch Inversion am Kreis isometrisch aufeinander abgebildet werden. (Anderenfalls wären die Iterierten von z2 auf dem Äusseren des Einheitskreises nämlich nicht gleichgradig stetig.)
Im Fall der quadratischen Polynome bestand die Fatou-Menge nur aus zwei Komponenten. Für andere Funktionen kann sie aber viel komplizierter aussehen. Das folgende Bild zeigt in weiß die Julia-Menge eines kubischen Polynoms, die Fatou-Menge besteht aus den verschiedenen roten, blauen und grünen Gebieten.
Und das nächste Bild zeigt in grau die Julia-Menge von und in weiß ihre Fatou-Komponenten.
Für das letzte Beispiel weiss man, dass die Fatou-Komponenten wandern: wenn man f auf eine Fatou-Komponente anwendet, bekommt man die jeweils nächste und man kehrt nie zurück. Anders ist es bei dem kubischen Polynom im Bild drüber. Dort trifft der Orbit einer Fatou-Komponente immer nur endlich viele andere Fatou-Komponenten, die Fatou-Komponente wandert nicht beliebig weit.
Wohl schon Fatou und Julia hatten vermutet, dass letzteres Verhalten typisch für Polynome ist. Bewiesen wurde das dann Ende der 70er von Dennis Sullivan: das No-wandering-domain Theorem besagt, dass für ein Polynom f und eine beliebige seiner Fatou-Komponenten U die Folge letztlich periodisch wird.
Sullivans Beweis benutzte damals zum ersten Mal quasikonforme Abbildungen als Hilfsmittel in der komplexen Dynamik, also die Tatsache dass man komplexe dynamische Systeme mittels quasikonformer Abbildungen in andere komplexe dynamische Systeme deformieren kann. Man weiß schon seit Längerem dass sich Sullivans Methoden nicht in höhere Dimensionen übertragen lassen. Trotzdem hatte man aber lange vermutet, dass Sullivans Resultat entsprechend auch für Polynome in mehreren Variablen gelten sollte, also dass Iteration eines Polynoms in k Variablen (als dynamisches System auf dem komplex k-dimensionalen projektiven Raum) wieder die Eigenschaft haben sollte, dass die Orbits der Fatou-Komponenten letztlich periodisch sind.
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