Gaußens 241ter Geburtstag ist heute Anlaß für ein Google Doodle.

Weil das Google-Logo nicht hineinpaßte, hat man zumindest dessen Farben übernommen und dementsprechend das Gauß-Profilbild blau gefärbt.

Neben dem Profilbild sieht man die Bahn des Ceres um die Sonne: für die Berechnung dieser Bahn aus den vorliegenden Beobachtungsdaten hatte Gauß die Methode der kleinsten Quadrate ermittelt.

Darunter sieht man das regelmäßige Siebzehneck. Gauß hat bewiesen, dass man dieses mit Zirkel und Lineal konstruieren kann – durch algebraische Betrachtungen, die man heute als Teil der Galoistheorie ansieht, die aber ein explizites Konstruktionsverfahren liefern. Allgemein bewies er die Konstruierbarkeit regelmäßiger Polygone, deren Eckenzahl eine Fermatsche Primzahl ist.

Daneben sieht man die Gaußsche Glockenkurve, die man wohl nicht weiter erklären muß und die ja früher auch mit der Unterschrift von Hans Tietmeyer auf dem Zehnmarkschein zu sehen war.

Rechts oben befindet sich das Heliotrop, ein von Gauß entwickeltes Gerät zur Landvermessung. Zeitnah mit der ab 1818 von ihm durchgeführten Vermessung des Königreichs Hannover verfaßte Gauß 1827 das Buch „Disquisitiones generales circa superficies curvas“ über die Differentialgeometrie von Flächen im euklidischen Raum, in dem er erstmals einen Krümmungsbegriff für Flächen (statt nur für Kurven) einführte. Die höherdimensionale Version der Gaußschen Krümmung ist die Schnittkrümmung, wahrscheinlich der zentrale Begriff der heutigen Riemannschen Geometrie.
Schon in der Antike, etwa bei Menelaos, war bekannt, daß die Innenwinkelsumme eines Dreiecks auf der Erde etwas größer als 180 Grad ist, wobei der genaue Unterschied von der Krümmung und der Größe des Dreiecks abhängt. Der von Gauß gefundene genaue Zusammenhang war dann die Formel, dass die Innenwinkelsumme eines sphärischen Dreiecks 180o+KA beträgt, wobei K die Krümmung und A der Flächeninhalt des Dreiecks ist. Der Bochumer Mathematiker Reinhold Böhme schrieb dazu in seiner Vorlesung zur Geschichte der Erdvermessung und Geometrie:

Gauß hat für den König von Hannover und für unseren 10-Mark-Schein dessen Königreich zwischen 1818 und 1827 alle Sommer wieder weiter genau vermessen, und den ,,geodätischen Zusammenhang” zwischen der dänischen und der französischen Landvermessung beigesteuert, (,,geodetic connection” ist heute ein fundamentaler Begriff der Differentialgeometrie, und er besagt eigentlich genau dieses). In seine Hauptarbeit über Differentialgeometrie ,,Disquisitiones generales circa superficies curvas” (1828) hat er seine Erfahrungen bei der Landvermessung eingebracht, und hat als Hauptsatz im Kapitel XIX sein ‘theorema elegantissimum’ beiwiesen, daß eben auf jeder krummen Fläche (etwa auch auf dem Erdellipsoid) die Winkelsumme im Dreieck einen Korrekturterm wie ,,Krümmung mal Flächeninhalt” bekommen muß. Als Beispiel rechnet er das bei weitem größte Dreieck seiner Landvermessung im vorletzten, im XXIX Kapitel vor, und zeigt, welche Änderung die gemessenen Winkel in seiner ebenen Karte des Landes bekommen müssen:

,,[…] calculus sequentes reductiones angulis applicandas prodidit”:

Hoher Hagen … 4”,95113,
Brocken … 4”,95194,
Inselsberg … 4”,95131.

Ich selber war als Student einen Sonntagnachmittag mit dem Fahrrad auf dem Hohen Hagen. Dort steht ein moderner Fernseh-Turm und ein Aussichts-Turm der Jahrhundertwende. Darin ist ein kleines Museum für C.F. Gauß (1777 – 1855). Dort sind die Instrumente seiner Zeit zu sehen und Kopien seiner Protokolle. Er hat die Winkelsumme für dieses Dreieck immer wieder gemessen, und zuletzt eine Fehlerrechnung dafür gemacht (welche er – wohl dafür – erfunden hat), und er war erkennbar zufrieden, daß er mit 180o Ergebnis davon kam. Damals hatte ich geglaubt, daß Gauß die Relativitätstheorie geahnt haben mag. Aber es ist nicht so ganz plausibel. Gauß war sehr gründlich, vielleicht wollte er nur seine Fehlerrechnung testen, vielleicht auch wissen, ob die 6 Stellen seiner Rechnung oben ‘calculus prodidit’ überhaupt vernünftig sind. Jedenfalls hat er wohl genausowenig wie vor ihm (1783) Immanuel Kant geglaubt, daß er ‘das Resultat 180o‘ schon vorher glauben müsse. Der Krümmungsterm, welcher in der Maßebene die Lichtstrahlen stören kann, ist nicht die Krümmung der Erde sondern die Krümmung des umgebenden Raumes. Die Formeln sind aber genau dieselben. Heute heißt der allgemeine Satz der Satz von C.F. Gauß und P.O. Bonnet (1819 – 92). Die Winkelsumme in der Maßebene ist immer 180o; wenn man den Theodoliten genau in die Horizontale schwenkt, bekommt man (wie Gauß oben) eine größere Winkelsumme als 180o.

Bekanntlich ist Gauß’ Vermessung des Königsreich Hannover auch Thema in Daniel Kehlmanns “Vermessung der Welt”. Kehlmanns Beschreibung von Gauß’ Tätigkeit als Landvermesser ist dabei (zunächst) stark an Franz Kafkas “Das Schloß” angelehnt bzw. über einen längeren Abschnitt sogar direkt aus diesem übernommen. Während Kafkas Hauptfigur K. es aber letztlich nicht schafft, seine Arbeit als Landvermesser tatsächlich aufzunehmen, gelingt es Gauß trotz oder wegen seiner fehlenden sozialen Intelligenz, sein Projekt zum Erfolg zu führen:
“Er sei Leiter der staatlichen Meßkomission, und wenn man ihn von der Schwelle weise, kehre er in Begleitung wieder. Ob man ihn verstehe?
Der Diener trat einen Schritt zurück.
Ob man ihn verstehe?
Jawohl sagte der Diener.
Jawohl, Herr Professor!
Herr Professor, wiederholte der Diener.
Und jetzt wünsche er den Grafen zu sehen.”

Rechts unten schließlich sieht man das von Gauß in der Zahlentheorie eingeführte Symbol für die „Kongruenz“ von Zahlen. Natürlich hatten auch frühere Zahlentheoretiker schon mit Restklassen gerechnet, aber erst Gauß betrachtete Restklassen als Äquivalenzklassen und führte das bis heute gebräuchliche Symbol a\equiv b\ mod \ p für die Äquivalenzrelation „a-b ist durch p teilbar“ ein.
Sein schon im Alter von 21 Jahren verfaßtes Hauptwerk „Disquisitiones Arithmeticae“ begründete die Zahlentheorie, wie man sie heute in Vorlesungen zur Elementaren Zahlentheorie lehrt, mit den bis heute gebräuchlichen Bezeichnungen und Methoden. Als herausragendes Ergebnis des Buches gilt das quadratische Reziprozitätsgesetz (über die Frage, welche Restklassen von Quadratzahlen realisiert werden können), das im 20. Jahrhundert zahlreiche Verallgemeinerungen bis hin zum Langlands-Programm (Abelpreis 2018) erfuhr.
Im Hauptteil der „Disquisitiones Arithmeticae“ geht es aber um die Verallgemeinerung von Quadratzahlen auf ganzzahlige quadratische Formen in zwei Variablen, also um die Frage, welche ganzen Zahlen man als Werte einer gegebenen ganzzahligen quadratischen Funktion darstellen kann. Der aus heutiger Sicht interessanteste Punkt ist, dass Gauß in diesem Zusammenhang einen Fundamentalbereich für die Wirkung von SL(2,Z) auf SL(2,R)/SO(2) konstruiert. Der Raum SL(2,R)/SO(2) ist der Raum der (reellen) quadratischen Formen in zwei Variablen, und zwei Formen im selben SL(2,Z)-Orbit nehmen dieselben Werte auf ganzen Zahlen an. Da es im Fundmanetalbereich nur endlich viele ganzzahlige quadratische Formen gibt, hat Gauß das Problem auf die Untersuchung dieser endlich vielen Formen reduziert, die er dann in seinem Buch der Reihe nach abarbeitet.
Bemerkenswerterweise ist der Raum SL(2,R)/SO(2) die hyperbolische Ebene aus der nichteuklidischen Geometrie, mit der sich Gauß ja ebenfalls schon beschäftigt hatte. Es ist aber wohl nicht anzunehmen, dass Gauß dieser Zusammenhang von Zahlentheorie und hyperbolischer Geometrie schon bewußt war, er wurde erst 1881 von Poincaré entdeckt. Aus heutiger Sicht hat Gauß mit seiner Konstruktion des Fundamentalbereichs die Theorie der lokal symmetrischen Räume begründet, für die die „Modulkurve“ SL(2,Z)\SL(2,R)/SO(2) das einfachste Beispiel ist.

Kommentare (3)

  1. #1 Joachim
    30. April 2018

    Googlewerbung- igitt!

  2. #2 Braunschweiger
    1. Mai 2018

    Nein @Joachim, nur allenfalls Werbung für Google-Doodle, und hier im Wesentlichen eine Besprechung von Gauß’ Werken, wenn man den Schwerpunkt dieses Blogs verstanden hat.

    Ich kann ohne Probleme und mit großem Vergnügen Thilo Kuessners Ausführungen lesen und ich kann mir sogar den Doodle ohne Weiteres anschauen — und trotzdem Bing benutzen. Man muss nur ausreichendes Selbstbewusstsein haben.

  3. #3 Frank
    bellem
    2. Mai 2018

    Gauß war der Newton und Einstein der Mathematik, dem ist nichts hinzuzufügen…
    He was simply the best…
    Gruß an alle Freunde dieses Blogs.
    Frank