“The mathematicians patterns, like the painters or the poets must be beautiful; the ideas like the colours or the words, must fit together in a harmonious way. Beauty is the first test: there is no permanent place in the world for ugly mathematics.” G. H. Hardy, A Mathematician’s Apology, 1941.

Hilbert, die Badeanstalt und der Braten der Gravitation

David Hilbert ist einem breiteren Publikum vor allem bekannt als Namensgeber des Hilbert-Hotels und vielleicht noch der Hilbert-Kurve. Eine der Pressemeldungen zum hundertfünfzigsten Geburtstag (Anfang 2012) hatte das damit erklärt, Hilbert sei zu nett, zu normal und zu umgänglich gewesen, um im Bewusstsein der Öffentlichkeit präsent zu bleiben. Plausibler ist aber doch, dass seine Arbeiten über Grundlagen der algebraischen Geometrie, algebraischen Zahlentheorie und Funktionalanalysis einfach ihrer Abstraktheit wegen, weil ihre Bedeutung sich nur dem Eingeweihten erschließt, weniger präsent sind.

Der Fondsmanager und Autor Georg von Wallwitz möchte das nun ändern mit einer für Laien geschriebenen Biographie Hilberts, die sein mathematisches Werk in die ideengeschichtlichen und philosophischen Zusammenhänge des 20. Jahrhunderts stellen will und die Mathematik (bis auf einige Formeln in “Fußnoten für Fortgeschrittene”) dabei lieber mit ungewöhnlichen Vergleichen erklärt.

“Hilbert und Einstein sahen aus unterschiedlichen Richtungen auf die Gravitationstheorie, als sei sie der Braten in der Mitte eines Wirtshaustisches, an dem die beiden einzigen Menschen Platz genommen hatten, die wirklich verstanden, welche Kräfte das Universum zusammenhielten. Der eine hatte den Blick des Mathematikers, dem es um die Entwicklung eines Axiomensystems für die Physik ging. Der andere hatte als Physiker den Blick auf die Erklärung konkreter Phänomene wie die Umlaufbahn des Merkur um die Sonne gerichtet. Beide rochen zwar denselben Braten, hatten aber ganz unterschiedliche Vorstellungen von seinem Geschmack.”

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Tatsächlich ist das Buch eher eine Sammlung bekannter Anekdoten. Auch der Buchtitel “Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt” nimmt auf eine solche Bezug. In Göttingen bildete damals das Mathematische Institut eine gemeinsame Fakultät mit Philosophen, Historikern und Philologen, und Habilitationen waren eine Angelegenheit der gesamten Fakultät. Die 1915 beantragte Habilitation Emmy Noethers stieß bei vielen der Fakultätsmitgliedern auf grundsätzliche Bedenken, über welche die Mathematik-Professoren sich letztendlich einstimmig hinwegzusetzen bereit waren, die meisten der anderen Fakultätsmitglieder aber nicht. Das war der Anlaß zu dem berühmten, Hilbert zugeschriebenen Zitat, für das es allerdings keine schriftlichen Belege gibt. Emmy Noether habilitierte sich schließlich 1919.

Und natürlich wird im Buch auch die Schönheit der Mathematik erörtert:

“Dieses Thema Ästhetik kommt immer wieder vor. Auch durchaus als Kriterium, ob man einen Beweis so stehen lassen kann oder nicht. Weil wenn der nicht schön ist, wenn der nicht eine bestimmte schlichte Klarheit hat, dann sind Mathematiker misstrauisch. Wenn das so ein Monster ist, wo man seitenlang rechnen muss oder so, das findet keiner schön, finden auch Mathematiker nicht schön.”

David Hilbert aus Chicago

Hilberts und Schmidts Originalarbeiten zu Integralgleichungen und unendlichen linearen Gleichungssystemen sind 1989 vom “Teubner-Archiv zur Mathematik” herausgebracht worden und werden immer noch bei Amazon verkauft. Erstaunliches erfährt man dort am Ende der Produktbeschreibung über den Autor:

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Da war wohl eine künstliche Intelligenz am Werke.

Der wirkliche David Hilbert aus Chicago beschäftigt sich übrigens mit Farben, genauer damit wie wir Menschen Farben wahrnehmen, zweifellos ein sehr spannendes Thema. Wie wir Menschen Formeln wahrnehmen, dazu gab es vor vier Jahren mal eine Studie zweier Neurobiologen (gemeinsam mit einem Physiker und einem Mathematiker, die wohl die Formeln beigesteuert hatten), in der Mathematiker in einen Hirnscanner gelegt wurden und man ihnen dann schöne und hässliche mathematische Formeln zeigte. Die gemessenen Hirnaktivitäten waren ähnlich denen, die von Kunstwerken und Musikstücken ausgelöst werden.

Nun ist die Aussagekraft von Hirnscans bekanntlich umstritten nicht erst seit der Arbeit “Neural Correlates of Interspecies Perspective Taking in the Post-Mortem Atlantic Salmon: An Argument For Proper Multiple Comparisons Correction”, in der subtile Folgerungen aus den Hirnströmen eines bereits verstorbenen Lachses gezogen wurden. (Die Arbeit wurde 2012 mit dem Ig-Nobelpreis ausgezeichet.)

Aber auch ohne Hirnforschung ist natürlich unbestritten, dass Mathematiker Formeln auch einen ästhetischen Wert beimessen. Sir Michael Atiyah illustriert das in Vorträgen unter dem Titel “Beauty of Mathematics” an zwei Beispielen, der Geschichte der Eichinvarianz und der des Atiyah-Bott-Fixpunktsatzes. Bei der Eichinvarianz geht es um eine 1918 von Herrmann Weyl entwickelte Theorie, mit der Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie mit Maxwells Elektromagnetismus vereinigt werden sollte. Einstein als Gutachter wollte die Arbeit zurückweisen, weil die Theorie physikalisch falsch sei, Weyl bestand aber auf einer Veröffentlichung ihrer mathematischen Schönheit wegen und sie wurde dann auch gedruckt, mit Einsteins ablehnendem Gutachten im Anhang. Auch wenn die Theorie physikalisch falsch war, waren die von Weyl entwickelten Grundlagen der Eichinvarianz später in der Entwicklung der Quantenfeldtheorie von Bedeutung. Beim Atiyah-Bott-Fixpunktsatz hingegen hatten Zahlentheoretiker die Konsequenzen des Fixpunktsatzes für elliptische Kurven nicht glauben wollen, Atiyah und Bott waren aber ihrer Schönheit wegen von der Richtigkeit der Formel überzeugt und behielten damit auch recht.

Es wäre eine interessante epistemologische (oder eher kognitionspsychologische) Frage, warum in der Mathematik schöne Formeln oft auch richtig sind, während das in der Physik nicht immer der Fall zu sein scheint. Letzteres vertritt jedenfalls Sabine Hossenfelder in ihrem neuen Buch “Lost in Math”:
Theorien, von denen man annahm, dass sie wegen ihrer Eleganz nahezu zwangsläufig richtig sein müssten (wie etwa die sogenannte Supersymmetrie), würden durch die Experimente am LHC nicht bestätigt und bräuchten immer mehr Hilfsannahmen, um noch als richtig gelten zu können. Das Buch erscheint im September auf Deutsch unter dem Titel “Das hässliche Universum. Wie unsere Suche nach Schönheit die Physik in die Sackgasse führt”.

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Satz 90

Das März-Heft des Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung war der algebraischen Zahlentheorie gewidmet: neben einem Überblicksartikel zum Langlands-Programm gab es einen Artikel von F. Lemmermeyer zum 120-ten Jubiläum des Hilbertschen “Zahlberichts”, der in Heft 4 des Jahrgangs 1897 derselben Zeitschrift erschienen war. (War die Veröffentlichung des Jubiläumsartikels eigentlich für Heft 4 des vergangenen Jahres geplant?)

Der Zahlbericht hatte damals den aktuellen Stand der algebraischen Zahlentheorie aufbereitet, insbesondere die bis dahin als unzugänglich geltenden Beweise in den Arbeiten der Berliner Zahlentheoretiker erst verständlich und der zahlentheoretischen Forschung zugänglich gemacht. Zahlentheoretische Arbeiten in den folgenden Jahrzehnten bauten meist auf dem Zahlbericht auf und zitierten dann oft auch diesen und weniger die Originalarbeiten.

Beispielsweise stammt der wohl bekannteste Satz aus dem Zahlbericht, Hilberts Satz 90, eigentlich von Kummer. Dessen Beweis war aber kompliziert und unverständlich, wogegen Hilbert einen einfachen algebraischen Beweis fand. (Inzwischen gibt es einfache Beweise in wenigen Zeilen.)

Sei L/K eine zyklische Galoiserweiterung und \sigma ein Erzeuger der zugehörigen Galoisgruppe. Dann ist jedes y\in L^\times mit Norm N_{L/K}(y)=1 von der Form
y=\frac{\sigma(x)}x mit einem x\in L^\times .

Das sieht für sich genommen schon ziemlich abstrakt aus und die weiteren Anwendungen oder eher Verallgemeinerungen dieses Satzes gingen im 20. Jahrhundert natürlich in Richtung weiterer Abstraktion. Emmy Noether entdeckte 1933, dass man den Satz prägnanter in der Galois-Kohomologie formulieren kann: dort besagt er einfach H^1(G,L^\times)=0, was (wie schon 1919 von Speiser bewiesen) für beliebige Galoiserweiterungen, nicht nur zyklische, gilt. Diese Formulierung wurde wiederum in Grothendiecks und M. Artins etaler Kohomologie verallgemeinert zu H^1_{et}(X, G_{m})=Pic(X) für beliebige Schemata X und schließlich bewies Voevodsky (nach vorher von Merkurjev, Suslin, Rost gelösten Spezialfällen) in der motivischen Kohomologie die Exaktheit der Sequenz

H^1(Y, G_{ m}) \overrightarrow{1-\sigma} H^1(Y, G_{ m}) \overrightarrow{N_{X/Y}} H^1(X, G_{ m})
für normale Überlagerungen mit zyklischer Decktransformationsgruppe G und Erzeuger \sigma . F\”ur X=Spec(K) ist das die ursprüngliche Aussage von Satz 90. Weil sich algebraische K-Theorie von Körpern mittels motivischer Kohomologie interpretieren läßt, gibt dies auch eine Version von Satz 90 in algebraischer K-Theorie und diese wiederum wurde dann ein wesentliches Argument in Voevodskys Beweis der Milnor-Vermutung.

Neben dieser sehr abstrakten Anwendung fast hundert Jahre nach dem Zahlbericht gibt es auch eine sehr direkte Anwendung von Satz 90 in der elementaren Zahlentheorie, die erstaunlicherweise erst 1970 von Olga Taussky gefunden wurde.

Sie betrifft den sicherlich ältesten Satz der diophantischen Geometrie: alle pythagoräischen Zahlentripel, also alle ganzzahligen Lösungen der Gleichung

a^2+b^2=c^2

sind bis auf Multiplikation mit gemeinsamen Vielfachen von der Form

(a,b,c)=(m^2-n^2,2mn,m^2+n^2).

Dafür gibt es natürlich klassische Beweise – man erhält diese Formel aber auch als eine einfache Anwendung von Hilberts Satz 90.
Betrachte K={ Q} und L={ Q}(i) . Aus a^2+b^2=c^2 folgt, dass y:=\frac{a+bi}{c} die Norm 1 hat. Wegen Satz 90 gibt es dann ein x \in{ Q}(i)^* mit y=\frac{\overline{x}}x .
Durch Multiplikation mit einer geeigneten ganzen Zahl kann man x \in{ Z}\left[i\right] erreichen, also x =m+ni mit ganzen Zahlen m,n .
Man rechnet dann nach, dass

\frac{a+bi}{c}=y=\frac{\overline{x}}x=\frac{m^2-n^2+2mni}{m^2+n^2}
ist, woraus folgt, dass (a,b,c) bis auf Multiplikation mit gemeinsamen Vielfachen von der Form (a,b,c)=(m^2-n^2,2mn,m^2+n^2) sein muss. Und da es inzwischen sehr kurze und elementare (wenn auch nicht offensichtliche) Beweise zu Satz 90 gibt, hat man damit einen Beweis der Klassifikation pythagoräischer Tripel, der auch nicht länger ist als der klassische.

Nun kann man im Sinne des im vorigen Abschnitt erwähnten Hirnscan-Experiments fragen, welche der beiden Anwendungen – die Milnor-Vermutung in algebraischer K-Theorie oder die Konstruktion pythagoräischer Zahlentripel – die schönere ist.
David Ruelle meinte dazu (in anderem Zusammenhang) in Kapitel 23 von “Wie Mathematiker ticken”:

Natürlich gehören das Wechselspiel und die Spannung zwischen Einfachheit und Komplexität auch zur Kunst und zur außerhalb der Mathematik liegenden Schönheit. Tatsächlich muss die Schönheit, die wir in der Mathematik sehen, mit der Schönheit verwandt sein, die unsere menschliche Wesensart an anderer Stelle erkennt. Die Tatsache, dass wir uns gleichzeitig von Einfachheit und Komplexität, von zwei entgegengesetzten Konzepten also, angezogen fühlen, kommt unserer unlogischen menschlichen Wesensart entgegen. Das Erstaunliche dabei ist jedoch, dass das Zusammentreffen von Einfachheit und Komplexität für die Mathematik wesenhaft ist; sie ist kein menschliches Konstrukt. Man kann daher sagen, dass die Mathematik aus diesem Grund schön ist: Sie verkörpert naturgemäß das Einfache und das Komplexe, nach dem wir uns sehnen.

Ein Wikisource-Projekt

Es gibt ein Projekt, Hilberts gesammelte Werke und insbesondere den Zahlbericht zu einer online verfügbaren Quelle zu machen – nicht als Digitalisat, sondern in TeX gesetzt. Das Projekt läuft schon einige Jahre und wird sicher noch einige Jahre benötigen; gesucht werden jederzeit Mitarbeiter und vor allem Korrekturleser, weil jede abgetippte Seite von zwei unabhängigen Lesern korrekturgelesen und bestätigt werden muss. Wer sich einfach mal als Korrekturleser einiger Seiten beteiligen will, sollte dies tun auf
https://de.m.wikisource.org/wiki/David_Hilbert_Gesammelte_Abhandlungen_Erster_Band_%E2%80%93_Zahlentheorie

Auch in der Wikipedia selbst gibt es noch viel zu tun.
Am Tag der Fieldsmedaillenverleihung gab es in de-WP weder einen Artikel über Caucher Birkar noch über perfektoide Räume. Beide wurden noch am selben Tag angelegt, wobei der Artikel über perfektoide Räume qualitativ noch viel Raum nach oben läßt. Auffällig in den Artikeln der Fieldsmedaillengewinner sind die vielen Rotlinks, also Hinweise auf noch nicht existierende Artikel. Etwa die “Quantum Unique Ergodicity” (im Artikel zu Venkatesh), oder die “Lokale Langlands-Korrespondenz” und das “Almost Purity Theorem” (im Artikel zu Scholze) oder die “Fano-Varietäten” im neuangelegten Artikel zu Birkar. Da werden noch Artikelschreiber benötigt.

Manchmal sind bei Wikipedia-Artikeln die Diskussionsseiten und Versionsgeschichten genauso interessant wie der Artikel. In der Versionsgeschichte des Artikels über die Fields-Medaille findet man, dass der Artikel im Februar 2016 zeitweilig einmal so aussah, dass die Preisträger jeweils unter der Fahne “ihres” Landes aufgeführt wurden.

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Die Kriterien, nach denen diese Zuordnung erfolgte, waren freilich intransparent und nicht konsistent. So wurden etwa Konzewitsch und Wojewodski als Russen geführt, Shintung Yau oder Vaughan Jones hingegen als US-Amerikaner.

Aus diesen Daten wurde dann damals sogar eine Länderwertung generiert, in der die USA vor Frankreich und Großbritannien führten.

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In de-WP wurde diese Nationenwertung im Februar 2016 (ebenso wie die Fahnen) aus dem Artikel entfernt, in en-WP steht sie noch heute zwar nicht im Artikel selbst, aber in einer separaten Liste. (Wobei die Fieldsmedaillengewinner der Sowjetunion dort Rußland oder der Ukraine zugeschlagen werden, und Martin Hairer sowohl der Schweiz als auch Österreich, aber nicht Großbritannien, einen Punkt sichert.)

In dem Zusammenhang ist dann bemerkenswert, dass in der deutschen Presse im August durchgängig ohne weitere Erläuterungen von Peter Scholze als zweitem deutschem Fieldsmedaillisten nach Gerd Faltings die Rede war, was natürlich auch korrekt ist, wenn man Staatsbürgerschaft oder Arbeitsplatz zum Zeitpunkt der Verleihung zugrundelegt. Trotzdem hätte zumindest erwähnt werden können, dass es schon fünf Fieldsmedaillisten gab, die jedenfalls als Deutsche in Deutschland geboren wurden, neben Faltings und Scholze noch Klaus Friedrich Roth (1933 nach England emigriert), Alexander Grothendieck (1939 nach Frankreich emigriert) und Wendelin Werner (französischer Staatsbürger seit 1977).

Algebra und Geometrie

Widersprüchlich war im Zusammenhang mit dem ICM auch die Berichterstattung zu perfektoiden Räumen.
Im SPIEGEL war schon vor der Preisverleihung zu lesen:

Scholzes Arbeiten kann jeder mathematisch Gebildete verstehen.

Dagegen meinte die TITANIC in einem eher unlustigen Beitrag, die Menschen, die dieser Theorie “nur ansatzweise folgen können, kann man an einer Hand abzählen, es sind sieben bis acht”, und die Süddeutsche Zeitung schrieb

Das Konzept der perfektoiden Räume gilt als eines der schwierigsten Konzepte, die je in die Mathematik eingeführt wurden. Der lustigste Moment in den Berichten der vergangenen Tage ist dementsprechend der Moment, an dem – Kategorie: von Laien für Ahnungslose – versucht wird zu erklären, was Scholze herausgefunden hat, was also perfektoide Räume nun eigentlich sein sollen. Selten erkannte sich der Journalismus so demütig als Wortmusik. Scholzes perfektoide Räume hätten wenig mit der Laienvorstellung vom Raum zu tun, liest man da, sie basierten “statt auf den reellen auf den exotischen sogenannten p-adischen Zahlen”. Anderswo steht zart zirkulär, dass in Scholzes Welt “Probleme aus der Zahlentheorie so in eine geometrische Sprache umformuliert werden, dass Sätze aus der Geometrie und der Topologie auf zahlentheoretische Probleme angewendet” werden könnten.

Die FAZ brauchte zwar nach der Fields-Medaillen-Verleihung fünf Tage, ihr gelang dann aber doch die beste Darstellung des Problemkreises.

Das Gebiet nennt sich algebraische Geometrie. Wer nun denkt, so etwas gibt es doch gar nicht, ist in guter Gesellschaft. Es ist also nicht zulässig, beim Beweisen von einem Gebiet in ein anderes überzugehen, zum Beispiel das Geometrische mittels der Arithmetik zu beweisen, schreibt Aristoteles in seiner Zweiten Analytik. Wie soll das auch gehen? Die Arithmetik ist die Lehre von den Zahlen und die Basis der Algebra, der Lehre von den Rechenoperationen. Geometrie dagegen hat mit räumlichen Objekten zu tun: Punkten, Geraden, Flächen.

[…]

Das Konzept [der perfektoiden Räume] wurde rasch von Forschern auf der ganzen Welt aufgenommen. […] Den Grund dahinter deutet Michael Harris mit dem Hinweis auf eine Analogie zwischen p-adischen Zahlen und Funktionen an, wie man sie aus der Schule kennt. Eine solche lässt sich als sogenannte Taylor-Reihe darstellen, das heißt als Summe: f(x)=a_0+a_1x+a_2x^2+a_3x^3+\ldots mit einer für die Funktion spezifischen Folge reeller Zahlen an. Eine p-adische Zahl kann nun in einer ähnliche Form geschrieben werden, nämlich a_0+a_1p+a_2p^2+a_3p^3+\ldots, nur, dass die Koeffizienten nun ganze Zahlen sind und p die jeweilige Primzahl. Die beiden Ausdrücke haben völlig verschiedenen Charakter, schreibt Harris. Während x eine Variable ist und daher verschiedene Werte annehmen kann, um so eine geometrische Figur nachzuzeichnen, ist p konstant und die p-adische Formel reine Algebra. Das Ziel der perfektoiden Geometrie, so Harris, ist es, die Konstante p sich wie eine Variable verhalten zu lassen. Damit kann man dann geometrische Methoden auf die p-adischen Zahlen anwenden und von dort aus auf die übrige Zahlentheorie.
Die Aussicht darauf beglückt die in diesem Gebiet arbeitenden Mathematiker seit Scholzes Entdeckung der perfektoiden Räume. Mit ihnen erscheint der Traum einer fundamentalen Überwindung der aristotelischen Kluft zum Greifen nah.

Mathematik ist die Kunst, verschiedene Sachen mit demselben Namen zu benennen, meinte schon Henri Poincaré 1908 in “Wissenschaft und Methode”.

Kommentare (6)

  1. #1 tohuwabohu
    Berlin
    20. August 2018

    Gerne lese ich Ihre Beiträge, wie auch die Ihrer Blog-Kollegen. Vielleicht hätten Sie mit der Veröffentlichung (um auf das gerade laufende Astrodictum-Simplex-Sommerrätsel Rücksicht zu nehmen) noch etwas warten können.

  2. #2 Thilo
    20. August 2018

    Habe ich irgendwas verraten? Das war nicht beabsichtigt.

  3. #3 Dr. Webbaer
    20. August 2018

    Yup, vely nice, da haben Sie sich ja richtig abgerackert in diesem nicht kleinen WebLog-Eintrag, Thilo.
    Der mathematisch leider lausig gebliebene Webbaer hat mal dieses Buch gelesen und sich immerhin gemerkt, dass es unterschiedliche Mächtigkeit von Unendlichkeit gibt und dass Unendlichkeit ein mathematisches Konstrukt ist, zu dem es in der Natur keine Entsprechung gibt :

    -> https://en.wikipedia.org/wiki/White_Light_(novel)

    Mathematik ist die (formalisierte) Fähigkeitslehre, die Fähigkeitslehre schlechthin, sozusagen, sie konnte recht früh sinnhafterweise aus der Mutterwissenschaft, der Philosophie, herausgelöst werden.

    MFG
    Dr. Webbaer

  4. #4 Dr. Webbaer
    20. August 2018

    Bonuskommentar hierzu :

    Es wäre eine interessante epistemologische (oder eher kognitionspsychologische) Frage, warum in der Mathematik schöne Formeln oft auch richtig sind, während das in der Physik nicht immer der Fall zu sein scheint.

    Dies müsste an der Axiomatik des Formalsystems der Mathematik liegen, die Natur pflegt selbst keine (für den Weltteilnehmer, der kein Weltbetreiber ist, erkennbare) derartige Axiomatik.
    Die angewandte Mathematik ist Instrument.

  5. #5 tomtoo
    20. August 2018

    @Thilo
    Nö, du hast nix verraten. Einfach eine Lustige Überschneidung. Wer denn Herren mit Hut nicht kannte oder zu doof war ihn beim Blechauge nachzuschlagen, hätte es wohl eh schwer bei dem Rätsel. VIEL zu Mathelastig diesmal für meinen Geschmack ; )

  6. #6 tomtoo
    20. August 2018

    @Thilo
    Kleiner Nachtrag: Da kamen zwei Formeln drin vor!
    ; )