Spektrum.de hatte gestern einen sehr schön geschriebenen Artikel zum Jubiläum des Noether-Theorems. (Die in erster Fassung im Juli 1918 und in endgültiger Form im September eingereichte Arbeit “Invariante Variationsprobleme” findet sich übrigens schon seit einigen Jahren schön geTeXt auf Wikisource.)

Es geht in dem Theorem darum, dass jeder Invarianz eines physikalischen Systems unter einer kontinuierlichen Gruppe eine physikalische Erhaltungsgröße entspricht: aus der Zeitinvarianz folgt die Energieerhaltung, aus der Translationsinvarianz die Impulserhaltung, aus der Rotationsinvarianz die Drehimpulserhaltung.

Der Beweis ist im Grunde fast trivial. Die Lagrangegleichungen sagen bekanntlich \frac{\partial L}{\partial q_i}=\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}\frac{\partial L}{\partial \dot q_i} und wenn man die Koordinaten so gewählt hat, dass die Lagrangefunktion von einem q_i nicht abhängt, dann ist p_i:=\frac{\partial L}{\partial \dot q_i} eine Erhaltungsgröße wegen \frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t} p_i =0 .

Die Geschichte um dieses Theorem hat übrigens auch noch einen politischen Aspekt, der in dem Artikel nicht erwähnt wird. Göttingen war ja vor dem Krieg der Ort gewesen, an den es Nachwuchswissenschaftler und Studenten aus aller Welt zog. Nach Kriegsbeginn mußten viele junge Leute in ihre Heimatländer zurückkehren und viele deutsche Studenten waren im Feld. Wohl auch deshalb versuchten Hilbert und Klein, Noether in Göttingen zu habilitieren. Auch wenn sie betonten, dass es nicht um die grundsätzliche Aufhebung des Habilitationsverbots für Frauen ginge, gab es doch eine Minderheit in der Fakultät, der sich am Ende das Ministerium anschloss, die sich mit Hinweis auf unlautere Konkurrenz für “unsere aus dem Feld zurückkehrenden Privatdozenten” gegen die Habilitation aussprach. (Was nicht gesagt wurde, aber wohl gemeint war: man könne den aus dem Krieg zurückkehrenden Studenten keine Frau als Dozentin zumuten. In Wirklichkeit ging es auch nicht um eine Anstellung Noethers, sondern nur um die Lehrbefugnis.)

Einige Wochen vor dem Bescheid des Ministeriums hatte Einstein damals (noch bezugnehmend auf eine Vorgängerarbeit Noethers, die obige Arbeit mit dem berühmten Theorem erschien erst danach) an Hilbert geschrieben: “Gestern erhielt ich eine sehr interessante Arbeit über Invariantenbildung. Es imponiert mir, dass man diese Dinge von so allgemeinem Standpunkt übersehen kann. Es hätte den Göttinger Feldgrauen nicht geschadet, wenn sie in ihren Unterricht geschickt worden wären.”

Auf eine im englischen Sprachraum verbreitete Mißinterpretation dieses Briefes hat vor einigen Jahren Siegmund-Schultze aufmerksam gemacht: dort verstand man “Feldgraue” wohl im Sinn von “graue Eminenzen”, also dass Noether die alten Göttinger Professoren hätte unterrichten sollen. Gemeint waren aber natürlich die deutschen Soldaten in ihren feldgrauen Uniformen. Was dann wiederum eine über die Habilitation und die Begründung ihrer Ablehnung hinausgehende Anspielung ist. Zahlreiche deutsche Wissenschaftler waren nach Kriegsbeginn nicht einverstanden gewesen mit der nun im Ausland von Kollegen oft vorgenommenen Unterscheidung zwischen dem militaristischen und dem kultivierten Deutschland und sie hatten damals eine Deklaration von Künstlern und Wissenschaftlern als Antwort verfaßt, mit der sie offenkundig beweisen wollten, dass auch die kultivierten Deutschen den Militarismus unterstützten. Mathematiker waren damals meist nicht so bekannt, weshalb nur Hilbert und Klein um ihre Unterschrift angefragt wurden. Klein unterschrieb, Hilbert aber nicht, weil er “den Wahrheitsgehalt nicht überprüfen könne”. Manche Studenten blieben deshalb aus seinen Vorlesungen weg. (Auch Einstein hatte nicht unterschreiben, aber weil der in der Schweiz arbeitete, wurde er nicht im selben Maße als Verräter angesehen.) Anders als die Studenten hatten die meisten Kollegen für Hilberts Standpunkt durchaus Sympathie, selbst Klein. Einsteins Bemerkung in seinem Brief an Hilbert war also in erster Linie eine Anspielung auf ihre gemeinsame Kriegsgegnerschaft.

Zum Zeitpunkt des Erscheinens der zweiten Arbeit mit dem Noether-Theorem ging der Krieg dann bereits seinem Ende zu und nach dem Krieg waren in der dann liberaleren Atmosphäre die Göttinger Mathematiker jedenfalls einhellig für eine Habilitation Noethers, und der Widerstand der geisteswissenschaftlichen Fakultätsmitglieder wurde dank Hilberts Autorität überwunden. Das Noether-Theorem spielte (anders als Noethers Arbeiten zur Algebra) zunächst keine so große Rolle in Mathematik und Physik, erst später (etwa beim Standardmodell) begannen Symmetrien, eine zentrale Rolle in der Physik zu spielen.

Kommentare (6)

  1. #1 vb
    Wittenberg
    15. September 2018

    Der Beweis im Artikel umfasst aber nur einen Teil der vom noether Theorem beschriebenen Symmetrien. Die Energieerhaltung als Folge der invarianz gegen translationen der Zeit sieht man so z.b. nicht. Wenn die Lagrange Funktion von einer Koordinate gar nicht abhängt, ist klar daß sie invarianz bezüglich Verschiebungen dieser Koordinate ist. Das die Lagrange Aktion, oder genauer das Wirkungsintegral bei Verschiebungen t -> t+s invariant bleibt und das daraus die Energieerhaltung.folgt ist dann doch eine etwas längere Rechnung.

  2. #2 Karl Mistelberger
    17. September 2018

    Notiz genommen habe ich von Emmy Noether erst im Juli 1995. Am Donnerstag war mein Reisepass abhanden gekommen, am darauffolgenden Sonntag sollte es nach New Delhi gehen. Über dem Fotoautomaten, den ich in höchster Eile aufsuchte fiel mir eine Gedenktafel für die berühmte Tochter der Stadt auf.

    Heute gehört das Gedenken an Emmy Noether zum Alltag:

    https://www.mistelberger.net/noether.jpg

    Aufgenommen am 12. September anlässlich des runden Datums.

  3. #3 Thilo
    17. September 2018

    Warum steht der Name auf dem Bus?

  4. #4 Deutschland
    18. September 2018

    Frauen haben doch keine Ahnung

  5. #5 tomtoo
    18. September 2018

    @Deutschland
    Schenke dir einen /ironie tag

  6. #6 Karl Mistelberger
    18. September 2018

    > #3 Thilo, 17. September 2018
    > Warum steht der Name auf dem Bus?

    https://stadtbus.estw.de/de/Kopfnavigation/Kontakt/Erlanger-Busnamen/Erlanger-Busnamen.html