Nicht nur in Ungarn scheint man Mathematik als Bedrohung für ein funktionierendes autoritäres Gemeinwesen wahrzunehmen. In der Türkei wurde vergangene Woche die Präsidentin (2010-2016) der Türkischen Mathematischen Gesellschaft und Vizepräsidentin (ab 2019) der Europäischen Mathematischen Gesellschaft, Betül Tanbay festgenommen, weil sie durch die Unterstützung kultureller Projekte „Chaos und Durcheinander“ geschürt habe.
Die Europäische Mathematische Gesellschaft hat umgehend gegen die Verhaftung protestiert, die Professorin wurde daraufhin am Folgetag auch tatsächlich freigelassen. Einige andere mit denselben Begründungen Festgenommene sitzen aber noch im Gefängnis.
Ein türkischer Politikwissenschaftler gegenüber der FR:
Indem sie der Gezi-Bewegung nun offiziell Aufstand, Putschversuch und „Verbrechen gegen die Verfassung“ vorwerfe und dabei auffällig oft das „Konzept des zivilen Ungehorsams“ anprangere, habe die Justiz eine neue Straftat geschaffen, die vermutlich ab sofort in Strafprozessen benutzt werde, so Aktar. „Damit hat die Entwicklung der Türkei zu einem totalitären Regime eine neue Stufe erreicht. Für die kritische Zivilgesellschaft ist es der letzte Sargnagel.“
An den Gezi-Protesten hätten sich 3,5 Millionen Menschen beteiligt, die jetzt kriminalisiert würden. Als Folge prognostiziert der Politologe eine massive neue Flucht- und Auswanderungswelle aus der Türkei. „2017 verließen nach offiziellen Angaben rund 254.000 Menschen die Türkei, 2018 werden es noch weit mehr sein. Die Türkei verliert ihre klügsten und am besten ausgebildeten Leute.“
Zum Artikel in der Frankfurter Rundschau: Verhaftungswelle in der Türkei
Und zum Braindrain der Türkei hat die FAZ heute einen Artikel: Warum sind wir nicht die Besten?
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