Alle lieben Maja
In Bayern wurden im Februar Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt, um Biotope im ländlichen Raum zu erhalten bzw. anzulegen und so die Artenvielfalt zu sichern – unter dem Slogan “Rettet die Bienen!”
Nun wird ja gerade das Symbolthema „Bienensterben“ gerne in den Bereich der Fake-News einzusortieren versucht. Einstein habe gar nicht – wie oft behauptet – gesagt, dass nach den Bienen auch der Mensch stirbt. Die für den Menschen wirklich wichtigen Pflanzen (Getreide) würden nicht von Bienen bestäubt. Nicht 50 Prozent der Bienen, sondern nur 6 Prozent der Bienenarten seien vom Aussterben bedroht, was sich dann noch – mathematisch sehr exakt bis auf die Nachkommastellen der Prozentzahlen – auf zehn verschiedene Gefährdungsstufen aufschlüsseln läßt. “Die Lüge vom Bienensterben” titelte die von Sven von Storch betriebene Online-Zeitung Freie Welt.
Den meisten Abstimmenden waren solche Feinheiten – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – offensichtlich egal. Anders als im vorherigen Abschnitt kann auch falsches in einem höheren Sinne wahr sein. Bei der Abstimmung ging es um mehr Hecken und Bäume, Kleingewässer und Blühwiesen. Die Biene war dafür nicht mehr als ein griffiger Slogan. Eigentlich ein ungeschickt gewählter, ist doch die Artenabnahme bei Tagfaltern oder Fluginsekten deutlich höher als bei den Honigbienen. Aber Biene Maja ist eben doch beliebter als Raupe Nimmersatt und das Ergebnis gibt den Initiatoren recht.
Der Schmetterlingseffekt
Bienenmetaphern in der Mathematik kenne ich keine, dafür gilt aber der Schmetterlingseffekt – der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien könne einen Hurrikan in Texas auslösen, oder ein in Shanghai umgekippter Sack Reis einen Tornado in Oklahoma – manchen als die “erfolgreichste Metapher der Wissenschaftsgeschichte”. Es gibt viele Varianten dieses Spruches, bemerkenswerterweise immer mit Schmetterlingen in Entwicklungsländern und Wirbelstürmen in Industrieländern. (Mir fällt dazu ein, dass regelmäßig Ende November Luftverschmutzung bei Beginn der Heizperiode in Peking zehn Tage später ganz unmetaphorisch zu Smog in Seoul führt.)
Der Effekt findet sich – ohne den Schmetterling – eigentlich schon bei Poincare in “Wissenschaft und Methode”.
Die Meteorologen sehen sehr wohl, dass das Gleichgewicht instabil ist, dass irgendwo ein Zyklon gebildet wird. Aber wo genau dort, das können sie nicht sagen; ein Zehntel Grad mehr oder weniger an einem bestimmten Punkt, und der Zyklon wird hier und nicht dort losbrechen und seine Verwüstungen über Gebiete bringen, die er sonst verschont hätte.
Und in einem zeitgenössischen Buch des Wissenschaftsphilosophen Pierre Duhem wurden Hadamards geschlossene Geodäten in jeder Homotopieklasse von Kurven auf einer negativ gekrümmten Fläche als Beispiel des Chaos und der Unberechenbarkeit angeführt: eine geringe Richtungsänderung im gleichen Startpunkt führt zu einem völlig anderen Verhalten. Duhem veranschaulichte das damals mit einer Zeichnung von Kurven auf einem Ochsenkopf, das dem nachempfundene Bild unten stammt aus dem Video https://youtu.be/yDAVwUHxmfw.
Diese Fragen kamen damals aber weder in die öffentliche Diskussion, noch spielten sie in der mathematischen Forschung eine zentrale Rolle, wo Stephen Smale Anfang der 60er Jahre zunächst zahlreiche schon zu Zeiten Poincares bekannte Effekte wiederentdeckte, um dann freilich mit dem Hufeisen und der Frage nach struktureller Stabilität über diesen hinauszugehen. Populär wurde das Chaos erst mit Edward Lorenz’ Geschichte vom falsch berechneten Wettermodell und eben dem Bild vom Schmetterlingseffekt.
Sicher lag es nicht nur an Lorenz’ Metapher vom Schmetterlingseffekt, dass die Theorie der dynamischen Systeme damals einen solchen Aufschwung nahm. Das Aufkommen der Computer, wodurch die mathematischen Effekte jetzt auch anschaulich begreifbar wurden, half zweifellos der Popularisierung. (Andererseits: Duhems Ochsenkopf hatte auch nichts anderes gezeigt als Lorenz’ Computerbilder.) Und innerhalb der Mathematik konnte man plötzlich auch das Chaos mathematisch berechnen. Zunächst mit dem Lorenz-Attraktor, gegen den jede Lösungskurve konvergiert, und dann mit den SRB-Ma\ss en (nach Sinai-Ruelle-Bowen), welche mutmaßlich die Orbiten beschreiben: man also zwar nicht ohne genaue Kenntnis der Anfangsbedingungen den weiteren Orbit eines Punktes berechnen kann, dafür aber zumindest eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, wie oft er sich langfristig in den einzelnen Bereichen des Attraktors aufhalten wird.
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