Vor zehn Jahren hatten wir hier mal einen launigen Artikel zum 130., an den sich dann eine längere Diskussion über politische Hintergründe der Einstein-Kritik anschloß, unter anderem mit Verweis auf Einsteins Gegner von Milena Wazeck. Vor fünf Jahren zum 135. hatten wir dann Wazecks Studie über Grenzziehungsprozesse im Wissenschaftsbetrieb besprochen.
In der Diskussion vor zehn Jahren war damals auch die Arbeit eines Karlsruher Professors mit der etwas wirren These, Einstein und seine Theorie habe eine wesentliche Rolle beim Aufstieg des Nationalsozialismus gespielt, erwähnt worden. (Die damals noch verlinkte kritische Rezension auf pro-physik wurde dort inzwischen leider entfernt.) In einem Artikel zum Einstein-Jahr hatte besagter Professor dann Elsa Einstein zitiert „Mein Mann erhält wieder und wieder Schmähbriefe. Die deutschen Juden betrachten ihn als ihren Unheilbringer.„ um diese Briefe dann als „Symptom einer bereits lange schwelenden Auseinandersetzung um Einsteins Person und seine Relativitätstheorie“ zu deuten.
Nun klingen solche Thesen zwar absurd, andererseits ist das Zitat Elsa Einsteins aber natürlich authentisch und man fragt sich, was der wirkliche Grund für solche „jüdischen Schmähbriefe“ gewesen sein könnte. Einen Eindruck davon, was dort tatsächlich dahintersteckte, habe ich erst kürzlich beim Lesen der Courant-Biographie von C. Reid bekommen. (Richard Courant war seit 1922 Direktor des Mathematischen Instituts in Göttingen und die Biographie gibt auch sonst sehr interessante Einblicke in die damaligen politischen und wissenschaftlichen Verhältnisse.)
Anfang März 1933 traf Courant Vorkehrungen, daß Friedrichs und Franz Rellich ihn und seine Familie während der Frühlingsferien nach Arosa begleiten sollten. Dort wollten sie skifahren und arbeiten und den zweiten Band des Courant-Hilbert abschließen.
Courant kannte die Gerüchte, nach denen er vorhatte, sich in die Schweiz abzusetzen. Er erwog daher, die Ski- und Arbeitsferien abzusagen, „weil es mir natürlich in einem solchen Moment unsympathisch schien, ruhig und friedlich im Ausland zu sitzen“ erklärte er Franck. Aber seine Kinder brauchten die Sonne und die frische Bergluft; Friedrichs und Rellich erwarteten ihn bereits in Arosa, und so entschloß er sich, bei seinen Reiseplänen zu bleiben.
Die Folge der Ereignisse,die Empfindungen und Argumente, welche die Handlungsweise Courants und vieler anderer in den nächsten Monaten bestimmten, sind in den darauf folgenden Jahren oft verblasst; was man damals schon wußte, vermischte sich mit dem, was erst später bekannt wurde; was hätte geschehen sollen mit dem, was wirklich war. Aus diesem Grund habe ich versucht, meinen Bericht auf jene Dokumente zu beschränken, die Courant 1934 mit in die Vereinigten Staaten brachte, und die er mir 1971, wenige Monate vor seinem Tod, zur Verfügung stellte. Er brachte es nicht fertig, sie im Einzelnen noch einmal durchzugehen, sondern warf nur einen flüchtigen Blick hinein und bemerkte, das es ihm fast unmöglich sei zu glauben, das er das, was da stand, tatsächlich geschrieben habe.Während Courant in Arosa war, setzte Hitler das Ermächtigungsgesetz durch, das der Regierung die Vollmacht gab, unabhängig vom Reichstag und vom Reichspräsidenten Verordnungen zu erlassen. Für den 1. April wurde ein landesweiter Boykott jüdischer Unternehmen und Geschäfte angekündigt.
Am 30. März schrieb Courant an Franck und fragte ihn, ob er sofort nach Göttingen zurückkehren sollte. Er war überzeugt davon, daß es ihm gelingen würde, den zweiten Band des Courant-Hilbert wenigstens bis zur Hälfte abzuschließen, falls er, wie geplant, in Arosa bleiben könne. Was ihn jedoch beunruhigte, war, daß er am Vortage durch die Dienstboten erfahren hatte, daß in Göttingen das Gerücht umging, er werde nicht zurückkehren.
„Im übrigen hatte ich aus den Zeitungsnachrichten den Eindruck, daß doch bis jetzt in Deutschland alles verhältnismäßig friedlich und ruhig vor sich gegangen war“, schrieb er an Franck, „und ich war vom ersten Augenblicke an entsetzt darüber, in welcher Art – Zeitungsnachrichten zufolge – Leute wie Einstein sich äußerten und auch sonst die inneren Verhältnisse bei uns mit Lügen und Latrinenparolen zum Anlaß einer allgemeinen politischen Agitation gegen Deutschland im Ausland mißbraucht wurden. Wenn ich Einsteins Adresse gekannt hätte, würde ich ihm geschrieben haben …“
Einstein, der seit ein paar Monaten in Amerika war, hatte einige stark beachtete Erklärungen abgegeben, in denen er „die brutalen Gewaltakte und die Unterdrückung liberal denkender Personen und der Juden in Deutschland“ bedauerte, „die das Gewissen aller Länder, die den Idealen der Menschlichkeit und der politischen Freiheit treu geblieben sind, aufgeschreckt haben.“ Er hoffe, daß die weltweite Empörung stark genug sein werde, „Europa vor einem Rückfall in die Barbarei vergangener Epochen zu bewahren“. Am 29. März, einen Tag bevor Courant seinen Brief an Franck verfasste, hatte die Regierung in Berlin bekanntgegeben, daß Einstein Schritte unternommen habe, um auf seine preußische Staatsangehörigkeit zu verzichten.
„Wenn sich Einstein nicht als Deutscher fühlt“, fuhr Courant fort, „so hat er doch so viel Gutes in Deutschland erfahren, daß er zum mindesten die Pflicht hätte, die von ihm gestiftete Unruhe wieder nach Kräften gut zu machen. Leider ist, wie ich eben in den Zeitungen lese, die Reaktion auf diese Dinge in Deutschland nicht ausgeblieben. Wie immer in der Welt wird der Gegenschlag in erster Linie Unschuldige und Harmlose treffen. Ich hoffe sehr, daß es gelingen wird, die Boykottbewegung [gegen die Juden] noch im letzten Augenblick abzuwenden oder wenigstens bald zu beendigen. Sonst sehe ich sehr schwarz.
Was mich besonders kränkt und bekümmert ist, daß der jetzt wieder in Bewegung geratene Anti-semitismus sich nicht nur gegen unsympathische literarische und sonstige Zersetzungserscheinungen richtet, die ich und Du ebenso und vielleicht mehr verurteilen als mancher „völkische“ Mann, sondern unterschiedslos gegen jeden Menschen jüdischer Abstammung, mag er innerlich ein noch so guter Deutscher sein, mag er und seine Familie im Kriege geblutet haben oder sonst sein Bestes für die Gesamtheit leisten. Ich kann auch nicht glauben, daß auf die Dauer eine solche ungerechte Einstellung bestehen bleiben wird; wenigstens nicht, soweit es sich um die Führer, insbesondere Hitler handelt, dessen letzte Reden mir persönlich durchaus einen positiven Eindruck machten.“
Courant brauchte dann übrigens nur wenige Wochen, um seinen Irrtum einzusehen.
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