Im Regensburger Kunstforum Ostdeutsche Galerie gab es im Herbst 2017 eine Ausstellung „Artige Kunst“, bei der es um Kunst im Nationalsozialismus gehen sollte.
Im Augsburger Textilmuseum fand gleichzeitig eine Ausstellung über Mode im Nationalsozialismus statt, deren Fazit freilich war, dass sich die Kleidung jener Zeit – von Uniformen u. ä. einmal abgesehen – nicht wesentlich von der vorher und nachher unterschied. Die Regensburger Kunstausstellung, aus der die Fotos hier stammen, war hingegen sehr bemüht, die Andersartigkeit der Kunst der NS-Zeit zu vermitteln, in der eine ästhetische „Rückbesinnung“ auf frühere Zeiten stattgefunden habe.
Das Ausstellungsplakat stellte einem Werk aus der Ausstellung „Artige Kunst“ (links) ein anderes aus der Ausstellung „Entartete Kunst“ (rechts) gegenüber.
Das Bild rechts stammt von Alexej Jawlensky, der dem Expressionismus zugerechnet wird. Als einer der führenden Vertreter des Expressionismus gilt bekanntlich Emil Nolde, zu dem in Berlin gerade die Ausstellung Emil Nolde – eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus. stattfindet.
Thema der Ausstellung ist Noldes Begeisterung für den Nationalsozialismus, wie sie nicht nur aus seinem öffentlichen Auftreten, sondern genauso auch aus seinen privaten Briefen und Notizen hervorgeht. Weil er sich seinerzeit von Max Liebermann, dem Präsidenten der Berliner Akademie der Künste, nicht ausreichend gewürdigt gefühlt und mit diesem deshalb um 1920 herum eine erbitterte Auseinandersetzung geführt hatte, hatte Nolde später immer wieder über jüdische Einflüsse im Kunstbetrieb phantasiert und nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten sogar einen „Entjudungsplan“ entwickelt. Nebenbei denunzierte er im Mai 1933 noch einen Konkurrenten als angeblichen Juden und war davon auch nicht abzubringen, nachdem ihn das Ministerium dessen arische Abstammung wissen ließ.
Ästhetisch hatte die politische Veränderung allerdings keinen großen Einfluß auf seine Kunst. Er malte zwar andere Themen (Wikinger und Feuer, Berge, Burgen, dafür keine religiösen Motive mehr), aber durchaus noch im selben Stil – und der entsprach nicht dem, was in der neuen Zeit gewünscht wurde. Für Kulturpropagandisten aus dem Amt Rosenberg war er kein Repräsentant der neuen deutschen Kunst; kein anderer Maler war mit so vielen Bildern wie Emil Nolde in der Ausstellung „Entartete Kunst“ vertreten. In einem Buch des Kunsttheoretikers Schultze-Naumburg wurde sein Gemälde „Verlorenes Paradies“ (Bild unten) neben Fotos von geistig und körperlich Behinderten gestellt, nur eines von vielen Beispielen für die gegen seine Malerei gerichteten Polemiken völkischer Kreise.
Nachdem er in den 30er Jahren trotz Verfemung immer noch der kommerziell erfolgreichste deutsche Maler war, erhielt er 1941 komplettes Berufsverbot, was freilich seiner Begeisterung für Hitler und den Krieg keinen Abbruch tat. Erst wenige Wochen vor Kriegsende änderte Nolde (zumindest in seinen privaten Notizen) radikal seine Meinung zu Hitler, malte dann plötzlich wieder religiöse Motive und begann bald danach die Saga von seinen in der NS-Zeit heimlich gemalten Werken zu verbreiten.
Warum ich diese Geschichte hier in einem Wissenschaftsblog wiedergebe? Sie ist bemerkenswert in ihrer Ähnlichkeit und mehr noch in ihren Unterschieden zu den damaligen Entwicklungen im Wissenschaftsbetrieb. Im Vergleich von Kunst und Wissenschaft im dritten Reich gibt es einerseits die Gemeinsamkeit, dass es den meisten in Deutschland verbliebenen Künstlern und Wissenschaftlern weniger um ein Deutschtum als Ideologie als einfach nur um den eigenen Vorteil und insbesondere das Verschwinden der als nichtdeutsch deklarierten Konkurrenten ging, das Bekenntnis zum Nationalsozialismus also eher etwas über den Charakter des Betreffenden aussagte als über seine künstlerische oder wissenschaftliche Ausrichtung; und andererseits gibt es aber den Unterschied, dass sich in der Kunst die Ideologen einer deutschen Kunst durchsetzen konnten wie bei Noldes Berufsverbot, während in der Wissenschaft dann – nach der Vertreibung aller undeutschen Kollegen – letztendlich doch genauso weitergearbeitet wurde wie vor 1933.
Bekannt ist ja das Beispiel der Physik, wo nach der Machtergreifung zunächst rabiate Gegner der modernen Physik (also der Quantenphysik und Relativitätstheorie) in einflußreiche Positionen kamen, aber noch im Laufe der 30er Jahre diese Entwicklungen wieder rückgängig gemacht wurden: die Entwicklung neuer Wunderwaffen war letztlich doch wichtiger als die ideologische Reinheit der Wissenschaft.
Ähnlich war es auch in der Mathematik. Dort hatten zunächst „Idealisten“ wie Bieberbach, Tornier und Teichmüller das Sagen und insbesondere Bieberbach versuchte, eine „Deutsche Mathematik“ auf Basis einer rassenbasierten Typologie von „Stilarten mathematischen Schaffens“ zu begründen. Aber noch in den 30er Jahren verlor Bieberbach wieder an Einfluß, Tornier wurde in Berlin sogar vorzeitig pensioniert, und als einflußreichster Mathematiker im Führerstaat etablierte sich Helmut Hasse, der zwar Nazi war, aber Algebraiker und im Sinne der Bieberbachschen Typentheorie wohl eher einer „jüdischen Mathematik“ zuzuordnen wäre. Die meisten in Deutschland verbliebenen Mathematiker, selbst vehemente Antisemiten wie etwa Blaschke, standen eher Hasse als Bieberbach nahe. Offenkundig ging es den meisten von ihnen nicht um eine “deutsche Mathematik”, die sie eher als eine esoterische Verirrung ansahen, sondern es war ihnen nur darum gegangen, mit den politischen Veränderungen die jüdische Konkurrenz loszuwerden. Und nach dem Krieg waren dann freilich nur die Protagonisten der “Deutschen Mathematik” die Bösen gewesen und alle anderen hatten nur in schwieriger Zeit das Bestmögliche zu erreichen versucht. (Ein Narrativ, dass sich beispielsweise noch in Texten von Heinrich Behnke aus den 70er Jahren findet.)
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