Trotz einer Petition mit 73000 Unterschriften (von 37000 Abiturienten) hat das bayerische Kultusministerium beschlossen, die Bewertung der diesjährigen Abiturprüfungen im Fach Mathematik nicht anzugreifen. (Vorwurf der Petenten war, die Aufgaben wären zu textlastig gewesen, Lesen und Verstehen hätten deshalb zuviel Zeit verbraucht.)

Dagegen soll in Baden-Württemberg die Abiturprüfung im Fach Gemeinschaftskunde wiederholt werden. Grund: in einer der Aufgaben kam das Wort „Kategorienmodell“ vor, welches weder die Lehrbücher noch die Wissenschaft kennen, die Umgangssprache natürlich auch nicht und, ja, selbst Google kennt den Begriff hauptsächlich aus den Abiturprüfungen in Baden-Württemberg – das Titelbild oben stammt aus der von 2018 – sowie noch von einem „linguistischen Kategorienmodell von Semin und Fiedler“.

Nun ist die Mathematik ja dafür bekannt, Begriffe aus der Umgangssprache zu verwenden, diese mit neuen Bedeutungen zu füllen und durch Kombination solcher Begriffe manchmal auch ganz neue Worte zu schaffen wie etwa Hauptfaserbündel oder lokale Trivialisierbarkeit.

Tatsächlich gibt es in der Mathematik sowohl den Begriff der Kategorie als auch den des Modells.
Als Kategorien mit Objekten und Morphismen werden Mengen eines bestimmten Typs mit den dazugehörenden Morphismen bezeichnet: es gibt eine Kategorie der Mengen, deren Morphismen alle Abbildungen sind; eine Kategorie der geordneten Mengen, deren Morphismen die ordnungserhaltenden Abbildungen sind; eine Kategorie der topologischen Räume, deren Morphismen die stetigen Abbildungen sind; eine Kategorie der Vektorräume, deren Morphismen die linearen Abbildungen sind; eine Kategorie der Gruppen, deren Morphismen die Gruppenhomomorphismen sind. Nützlich ist der Begriff, weil man oft Funktoren zwischen verschiedenen Kategorien hat, mit denen Beziehungen zwischen Objekten und Morphismen einer Kategorie sich zu Beziehungen zwischen Objekten und Morphismen einer anderen Kategorie übertragen.
Als Modell bezeichnet man in der Mathematik ein Modell eines Axiomensystems. Beispielsweise ist die Geometrie der euklidischen Ebene ein Modell des euklidischen Axiomensystems. (Falls man auf das Parallelenaxiom verzichtet, ist auch die Geometrie der hyperbolischen Ebene ein Modell des übrigbleibenden Axiomensystems.) Die Existenz eines Modells beweist die Widerspruchsfreiheit eines Axiomensystems.

Und ja, es gibt in der Mathematik auch den Begriff einer Modellkategorie. Laut Wikipedia:

In der mathematischen Homotopietheorie ist eine Modellkategorie eine Kategorie mit ausgewählten Unterklassen von Pfeilen, die „schwache Äquivalenzen“, „Faserungen“ und „Kofaserungen“ genannt werden. Die Anforderungen an diese Klassen stellen eine Abstraktion der entsprechenden topologischen Begriffe dar und ermöglichen die Konstruktion einer zugehörigen Homotopiekategorie nicht nur für die Kategorie der topologischen Räume, sondern etwa auch für die Kategorie der Kettenkomplexe. In letzterem Fall nennt man die zugehörigen Homotopiekategorien derivierte Kategorien. Der Begriff wurde im Jahr 1967 von Daniel G. Quillen eingeführt.

Den Begriff des Kategorienmodells gibt es aber nicht einmal in der Mathematik.

Kommentare (7)

  1. #1 Eisentor
    17. Mai 2019

    Der Begriff “Kategorienmodell” kommt soweit ich das weiß aber im Bildungsplan vor. Damit ist es erstmal nicht falsch den Begriff in Prüfungen zu verwenden.
    Das die Verwendung eines solchen Begriffs schon im Bildungsplan Unsinn ist, sollte aber klar sein.
    Artikel in der Stuttgarter-Zeitung

  2. #2 bote19
    17. Mai 2019

    Das Problem mit “Fehler behafteten” Prüfungsaufgaben ist nicht neu. Vielleicht sollte man etwas daraus lernen. Nämlich genügend alternative Aufgaben bereit zu stellen, und den Lehrern die Möglichkeit geben , Einfluss zu nehmen, indem man ein nicht behandeltes Thema streichen kann.
    Das Schwarze- Peter- Spiel auf dem Rücken der betroffenen Schüler auszutragen ist nicht gut.

  3. #3 Laie
    18. Mai 2019

    Bietet sich nicht der “Idiotentest” zur Auflösung der Problematik an?
    Der geht so, man nimmt die Aufgaben, meinetwegen auch Textaufgaben und lässt sie von Politikern lösen, sagen wir mal von denen in Top-Positionen. Und nur wenn diese Märkellos gelöst werden – Textverständnis also inklusive, und das Ergebnis kein Blah-Blah ist, sondern einfach nur richtig, dann darf die jeweilige Aufgabe für die Prüfung zugelassen werden.

  4. #4 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/2016/08/09/geraeteturnen/
    18. Mai 2019

    Es gibt keine abgeschlossene Liste gültiger deutscher Wörter. Über Substantivkomposition kann jeder jederzeit neue Zusammensetzungen bilden.
    Es bedarf dazu weder eines Antrags, noch einer Erlaubnis.

    Wenn es einen Holztisch gibt, dann gibt es auch Birkenholztische, Kupfertische und Salzstangentische – zumindest als Wort. Die Bedeutung erschließt sich vom Ende her. Der Holztisch ist die Konkretisierung eines Tischs. Im Gegensatz dazu steht das Tischholz, dass in der Holzwerkstatt säuberlich vom Geigenholz getrennt steht.

    Ein Kategorienmodell ist also in erster Linie ein Modell. Es könnte ein Modell sein, um Kategorien zu modellieren aber auch ein Modell, das sich wesentlich auf Kategorien stützt.

    Andererseits – Modelle die ohne Kategorien auskommen, abgesehen von Modeschauen und Modellen in der Architektur, dürften eher die Ausnahme und von begrenztem Nutzen sein. Kommt mir vor wie wichtigtuerisches Blähdeutsch.

    “Struktur der internationalen Staatenwelt am Beispiel eines geeigneten Kategorienmodells” ist im Screenshot zu lesen. Modellhaft, Beispielhaft – das ist doppelt gemoppelt und dass man kein Modell verwendet, das man für ungeeignet hält, versteht sich auch von selbst. So schrumpft der Satz auf: “Struktur der internationalen Staatenwelt im Kategorienmodell”.
    Jetzt handelt eine Staatenwelt von Staaten in Mehrzahl, das “international” ist also ebenfalls überflüssiger Bläh.
    Zwischenhalt: “Struktur der internationalen Staatenwelt im Kategorienmodell”.
    Ok – was ist eine Struktur? Als Poststrukturalisten wissen wir sowas nicht, aber doch gewiss genau das, was das Modell verdeutlicht. Die Überschrift meint also
    “Kategorienmodell der Staatenwelt”, mehr nicht, der Rest sind Verdopplungen und Füllstoff.

    Im Funktionalen Programmieren spielt Kategorientheorie übrigens auch eine wichtige Rolle. Zum Glück kommt man aber auch ohne tiefere Kenntnisse der zugrundeliegenden, mathematischen Theorie ein gutes Stück weiter. 🙂

  5. #5 hubert taber
    10. Juni 2019

    unabhängig von textaufgaben für mathematische prüfungen.
    m.m.n. sind grafische beispiele und darstellende geometrie besser dafür geeignet.

    das nichts ist nur die vorstufe des seins und keinesfalls ein widerspruch.
    auch die philosophen huldigen der scheinlogik und bleiben jeden beweis schuldig.
    mfg. hubert taber

  6. #6 dingklam
    mussdassein
    22. Juli 2019

    Der Begriff Kategorienmodell stammt aus der Politikdidaktik. Schon Giesecke nutzte diesen – allerdings mit Bindestrich: https://giesecke.uni-goettingen.de/76pd.pdf

  7. #7 Steffen Jäschke
    Bremen
    30. März 2020

    In der curricularen Epoche sollte es keinen mehr geben, der das Wort Kategorienmodell nicht kennt. Wie Eisentor vor mir schon feststellte steht das Wort im Bildungsplan womit eine Emergenz gegeben ist In der Mathematik findet sich das Kategorienmodell bei Prof. Dr. Cohors-Fresenborg von der Uni Osnabrück sehr zentral über der Systematisierung der Unterrichtsmethodik wobei sie eng mit der Definition von Taxonomien nach Bloom und Costa verbunden ist. Auf einfacherem Deutsch, sie wird dazu verwendet die Qualitäten der Wirksamkeit von Unterricht und darauf basierenden Prüfungen, also genau dass was die Pentendanten eigentlich ja wollen.
    Ursprünglicher ist das Kategorienmodell ein zentrale Serendipidiat der Kognitionswissenschaft. Weil unsere Kognitionsfähigkeit sehr mit dem Gebrauch von Sprache steigen nutzen die Wissenschaftler preferenziell den Terminus linguistisches Kategorienmodell.
    Ziel aber ist in der Mathematik die Wirksamkeit, Effektivität von Unterricht zu steigern auch mit der Perspektive jeder versteht für ihn einfach mathematische Zusammenhänge und kann die Fähigkeiten und Fertigkeit mit seinem Wissen dispositional erfolgreich prüfen lassen.