Neben diesen damals schon bekannten Sätzen bekam Minkowski aber auch einen neuen Satz, die Endlichkeit der Klassenzahl.

Bei der Bestimmung der Klassenzahl ging es ursprünglich um die Anzahl der Äquivalenzklassen quadratischer Formen ax2+bxy+cy2 mit ganzzahligen Koeffizienten a,b,c. Gauß hatte in den „Disquisitiones Arithmeticae“ ausführlich die Frage untersucht, welche natürlichen Zahlen sich als Werte einer gegebenen quadratischen Form darstellen lassen. (Das verallgemeinert den oben erwähnten Satz, dass eine natürliche Zahl genau dann Summe zweier Quadratzahlen ist, wenn ihre Primfaktoren alle kongruent 1 modulo 4 sind.) Zu diesem Zweck hatte er quadratischen Formen in gewisser Weise klassifiziert. Er hatte zwei quadratische Formen (mit ganzzahligen Koeffizienten) als äquivalent betrachtet, wenn sie sich durch Transformation mit einer Matrix in SL(2,Q) ineinander überführen lassen, also durch einen Basiswechsel mit rationalen Koeffizienten. Für diesen Äquivalenzbegriff hatte er dann bewiesen, dass es zu jeder gegebenen Zahl D nur endlich viele Äquivalenzklassen quadratischer Formen mit Diskrimante D gibt, wobei die Diskriminante einer quadratischen Form definiert ist als D=ac-b2.
Eine stärkere Äquivalenzrelation bekommt man, wenn man nur Basiswechsel mit ganzzahligen Koeffizienten zuläßt, also Transformationsmatrizen mit Koeffizienten in SL(2,Z). Aus dem Gitterpunktsatz (bzw. bereits aus der auf Hermite zurückgehenden schwächeren Variante des Gitterpunktsatzes) folgt, dass es auch in diesem Sinne nur endlich viele Äquivalenzklassen quadratischer Formen mit gegebener Diskriminante D gibt. Dirichlets Klassenzahlformel berechnet die Klassenzahl über das Residuum der Zetafunktion in 1 oder in Dirichlets ursprünglicher Formulierung über den Wert L(1,χD) der L-Funktion des Dirichlet-Charakters χD.

Die Frage nach der Klassifikation quadratischer Formen läßt sich auch formulieren und dann verallgemeinern in der Sprache der Körper und Ideale. Zu einer quadratfreien Zahl D betrachtet man den Körper K=Q(√D) und dessen Ganzheitsring OK. Der ist entweder Z[√D], falls D kongruent 2 oder 3 modulo 4, oder Z[(1+√D)/2], falls D kongruent 1 modulo 4. Es gibt eine (auf Dedekind zurückgehende) Bijektion zwischen Idealen in diesem Ganzheitsring und quadratischen Formen der Diskriminante D: der quadratischen Form ax2+bxy+cy2 wird das von a und (-b+√D)/2 erzeugte Ideal zugeordnet. Äquivalente quadratische Formen entsprechen dabei Idealen, die sich durch Multiplikation mit einem Hauptideal ineinander überführen lassen. Man definiert die Idealklassengruppe des Zahlkörpers als Gruppe der Ideale modulo der Äquivalenzrelation I~J für aI=bJ (a,b∈OK), und die Klassenzahl als die Anzahl ihrer Elemente. (Diese Gruppe ist von zentraler Bedeutung in der algebraischen Zahlentheorie, zum Beispiel ist die Primfaktorzerlegung in OK genau dann eindeutig, wenn die Klassenzahl 1 ist.)

In K=Q(√D) entspricht die Idealklassengruppe den Äquivalenzklassen quadratischer Formen mit Diskriminante D. Gauß Problem findet also eine natürliche Verallgemeinerung in der Endlichkeit der Idealklassengruppe für beliebige Zahlkörper. Mit dem Gitterpunktsatz kann man die Endlichkeit beweisen und weitere Informationen über die Größe der Idealklassengruppe bekommen.

Wie kann man den Gitterpunktsatz auf die Berechnung der Klassenzahl anwenden?
Für einen Zahlkörper K sei r die Anzahl der Einbettungen K—>R und s die Anzahl der Paare komplex-konjugierter Einbettungen K—>C. Für einen quadratischen Zahlkörper K=Q(√D) ist r=2,s=0 falls D>0 und r=0,s=1 falls D<0. Man hat dann (mittels der r+s verschiedenen Einbettungen) eine Einbettung von OK als Gitter in Rr+s. Diese Einbettung von OK als Gitter ist die Grundlage für zahlreiche Anwendungen des Gitterpunktsatzes in der algebraischen Zahlentheorie.
Das Bild unten zeigt den Fall K=Q(√2), also die Einbettung von Z[√2] als Gitter in R2: x+y√2 wird auf (x+y√2,x-y√2) abgebildet. Das Bild zeigt dann die Punkte (\log\vert x+y\sqrt{2}\vert,\log\vert x-y\sqrt{2}\vert). Die Einheitengruppe liegt auf der blau gezeichnete Gerade, man sieht die durch Dirichlets Einheitensatz gegebene Einbettung der Einheitengruppe als Gitter in R1. Der Erzeuger der Einheitengruppe ist 1+√2, was auf (\log\vert 1+\sqrt{2}\vert,\log\vert 1-\sqrt{2}\vert)=(0,881\ldots,-0,881\ldots) abgebildet wird. In diesem Beispiel kann man auch ohne den Dirichletschen Einheitensatz sehen, dass die Einheitengruppe ein Gitter und ihr Rang also 1 ist. Andernfalls würde sie nämlich dicht liegen, dann gäbe es Einheiten x+y√2 nahe 1, womit auch das Inverse x-y√2 nahe 1 und womit die Differenz 2y√2 nahe 0 wäre, ein offensichtlicher Widerspruch.

Mit dem Gitterpunktsatz konnte Minkowski beweisen, dass es in einem Zahlkörper K der Diskriminante dK in jeder Idealklasse ein Ideal I mit [OK:I]≤(2/π)s√dK gibt. Falls diese Zahl kleiner als 2 ist, muss OK ein Hauptidealring und die Primfaktorzerlegung also eindeutig sein.
Beispielsweise für K=Q(√-5) weiß man, dass die Primfaktorzerlegung nicht eindeutig ist, etwa ist 2.3=(1+ √-5)(1–√ -5). Die rechte Seite der von Minkowski bewiesenen Ungleichung ist 2,85…, es gibt also jedenfalls in jeder nichttrivialen Idealklasse ein Ideal mit [OK:I]=2. Man kann zeigen, dass die einzige nichttriviale Idealklasse zu dem von 1+√-5 und 2 erzeugten Ideal gehört.
Mit Minkowskis Resultat hat man insbesondere eine obere Schranke MK, so dass es in jeder Idealklasse ein Ideal der Norm kleiner als MK gibt. Weil es in OK nur endlich viele Ideale der Norm kleiner MK gibt, folgt daraus die Endlichkeit der Klassenzahl.

Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hermann_Minkowski_Portrait.jpg

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Kommentare (4)

  1. #1 Frank Wappler
    16. September 2019

    Thilo schrieb (12. September 2019):
    > [… Zahlen (x, y) mit y \equiv u \, x \, \text{mod} \, p. ]

    > [… dass x^2 + y^2 \equiv (u^2 + 1) \, x \, \text{mod} \, p ]

    Gemeint war stattdessen vermutlich, dass x^2 + y^2 \equiv (u^2 + 1) \, x^2 \, \text{mod} \, p.

    p.s.
    Scienceblogs-HTMl-Test-1:

    “x<sup>2</sup> + y<sup>2</sup>” wird dargestellt als: “x2 + y2”.

    Scienceblogs-HTMl-Test-2:
    “343 ≡ 1 mod 9” wird dargestellt als: “343 ≡ 1 mod 9”.

  2. #2 Frank Wappler
    16. September 2019

    Thilo schrieb (12. September 2019):
    > [… Zahlen (x, y) mit y \equiv u \, x \, \text{mod} \, p. ]

    > [… dass x^2 + y^2 \equiv (u^2 + 1) \, x \, \text{mod} \, p ]

    Gemeint war stattdessen vermutlich, dass x^2 + y^2 \equiv (u^2 + 1) \, x^2 \, \text{mod} \, p.

    p.s.
    Scienceblogs-HTMl-Test-1:

    “x<sup>2</sup> + y<sup>2</sup>” wird dargestellt als: “x2 + y2”.

    Scienceblogs-HTMl-Test-2:

    “343 &amp;#8801; 1 mod 9” wird dargestellt als: “343 ≡ 1 mod 9”.

  3. #3 Thilo
    16. September 2019

    Ja, natürlich. Danke für den Hinweis.

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