Im Zusammenhang mit der Hauptachsentransformation von Kegelschnitten war zum Beginn des 19. Jahrhunderts am Eigenwertproblem symmetrischer 3×3-Matrizen gearbeitet worden. Cauchy hatte das 1829 zu einem Abschluß gebracht, indem er bewies, dass eine reelle symmetrische nxn-Matrix reelle Eigenwerte hat, die zugehörige quadratische Form also auf Hauptachsen transformiert werden kann: jede quadratische Form kann mittels eines orthogonalen Basiswechsels in die Form Σi λixi2 überführt werden. Jacobi entwickelte 1846 ein numerisches Verfahren zur Berechnung der Hauptachsentransformation.
Ab 1850 verwendeten Sylvester und Cayley Matrizen zur Beschreibung linearer Gleichungssysteme. Die Hauptachsentransformation wurde aber weiterhin als ein Satz über quadratische Formen und nicht über lineare Abbildungen angesehen. Während Matrizenrechnung viele Anwendungen fand, spielte lineare Algebra weiterhin keine Rolle. Wenn man von Vektoren und Unterräumen sprach, dann war der Rn mit einer gegebenen Basis gemeint. Frobenius verfaßte eine systematische Abhandlung über die Matrizentheorie in der Sprache der Bilinearformen.
Seit Fredholms Arbeiten war der Ansatz über Integraloperatoren der von Hilbert und anderen verfolgte Ansatz zur Lösung von Integralgleichungen. Fredholms Integraloperatoren sind lineare Abbildungen auf dem unendlich-dimensionalen Vektorraum der stetigen Funktionen. Dabei entsprechen symmetrische Kerne K(x,y)=K(y,x) selbstadjungierten Operatoren, also den Verallgemeinerungen symmetrischer Matrizen. (Und stetige Kerne entsprechen in heutiger Sprache kompakten Operatoren.) Von Hilbert und seinen Zeitgenossen wurden die Operatoren aber nicht als lineare Abbildungen, sondern als quadratische Formen angesehen: statt der Abbildung
betrachten sie die durch
definierte Bilinearform
.
So wie der Hauptachsensatz nicht als ein Satz über die Diagonalisierbarkeit von Matrizen, sondern über die Transformierbarkeit quadratischer Formen verstanden wurde, so entwickelte Hilbert seine allgemeine Theorie der Integralgleichungen mit symmetrischem, stetigem Kern als eine Theorie der quadratischen Formen in unendlich vielen Variablen. Er veröffentlichte diese Theorie in sechs Mitteilungen “Grundzüge einer allgemeinen Theorie der linearen Integralgleichungen”.
Der wohl wesentlichste Unterschied zum endlich-dimensionalen Fall war, dass für unendlich-dimensionale Matrizen das Spektrum größer ist als nur die Menge der Eigenwerte. Als Spektrum einer quadratischen Form A bezeichnete Hilbert zunächst diejenigen λ, für die A-λId nicht beschränkt-invertierbar ist. Im unendlich-dimensionalen folgt daraus nicht unbedingt, dass λ ein Eigenwert sein muss. Während etwa der Operator f->f”+f bekanntlich die Eigenfunktionen cos(kx) und sin(kx) mit den Eigenwerten 1-k2 (und die konstante Funktion 1 mit Eigenwert 1) hat, hat beispielsweise der Operator f(x)->xf(x) keine Eigenwerte außer 0, jedoch besteht sein Spektrum aus der gesamten reellen Zahlengeraden.
Die Eigenwerte bezeichnet Hilbert als Punktspektrum und er beschäftigte sich dann zunächst mit den Operatoren, für die das Spektrum nur aus dem Punktspektrum besteht. Die bezeichnet er als vollstetige Operatoren – später wird man feststellen, dass insbesondere die kompakten Operatoren darunter fallen – und charakterisiert sie dadurch, dass die zugehörigen Bilinearformen folgendstetig bzgl. schwacher Konvergenz der Variablen sind.
Für diese vollstetigen Operatoren formuliert und beweist er den Spektralsatz analog zur für Bilinearformen auf dem Rn bekannten Hauptachsentransformation: es gibt eine Folge von gegen 0 konvergierenden Eigenwerten λk und die Eigenfunktionen ek bilden ein vollständiges Orthonormalsystem im Funktionenraum. Für alle stetigen Funktionen f,g hat man .
(Wenn man statt quadratischer Formen lineare Abbildungen betrachtet, hat man einfacher analog zur klassischen Entwicklung von Funktionen in Fourierreihen. Die Summanden von Fourier-Reihen entsprechen a priori den Eigenfunktionen von Lf:=f‘‘-f, was zunächst kein beschränkter oder gar vollstetiger Operator ist. Jedoch läßt sich das zugehörige Randwertproblem Ly=g, y(a)=y(b)=0 auf dem Intervall [a,b] – wie jedes Sturm-Liouville-Problem – mittels einer Green-Funktion in eine Integralgleichung und damit ein Eigenwertproblem für einen kompakten Operator umformulieren.)
Falls das Spektrum neben dem Punktspektrum auch kontinuierliche Anteile hat, wird es komplizierter: das Auftauchen eines Integrals statt einer Summe war ein unvorhergesehenes Phänomen. In Hilberts Formulierung wurde die Zerlegung durch ein Stieltjes-Integral beschrieben; sein Beweis war ein enormer Kraftakt („mit der Brechstange“), es gelang ihm mit großem Aufwand, den unendlich-dimensionalen Fall auf den endlich-dimensionalen zurückzuführen. Das Resultat wird heute formuliert als die Existenz eines eindeutig bestimmten Spektralmaßes E mit dem Spektrum σ(T) als kompaktem Träger in R und Werten in den beschränkten Operatoren, so dass gilt. (Die Bilder des Spektralmaßes sind Projektionen im Funktionenraum. Falls man beispielsweise nur Punktspektrum hat, entspricht einer meßbaren Menge I die Projektion auf die Summe aller zu Eigenwerten in I gehörenden Eigenräume.)
Einen geometrischeren Zugang entwickelte wenig später Erhard Schmidt. Wie Hilbert nutzt er die Zerlegung stetiger Funktionen als trigonometrische Reihen, um sie als Punkte im „Hilbert-Raum“ l2 aufzufassen. Anders als Hilbert, der immer nur von einem „Wertsystem x1,x2,... mit konvergenter Quadratsumme“ spricht, denkt Schmidt sich den l2 als unendlich-dimensionalen Vektorraum mit einem Skalarprodukt und benutzt die geometrische Anschauung, die man für gewöhnlich mit endlich-dimensionalen Vektorräumen verbindet, insbesondere die Länge und Orthogonalität von Vektoren und die orthogonale Projektion. Er verwendet regelmäßig die Cauchy-Schwarz-Ungleichung und die Parseval-Identität und er beweist in diesem allgemeinen Kontext das heute als Gram-Schmidt-Orthonormalisierung bezeichnete Verfahren. Er erhält - teilweise unter etwas allgemeineren Voraussetzungen - alle von Hilbert bewiesenen Aussagen über die Existenz von Eigenwerten und Eigenvektoren und daraus synthetisch die Fundamentalformel . Sein Zugang hatte den Vorteil der Direktheit: anders als Hilbert, der mit einem vollständigen Orthonormalsystem die Integralgleichung in ein unendliches lineares Gleichungssystem überführte und dessen Lösungsaussagen über einen Grenzübergang zu erschließen versuchte, muß Schmidt das unendliche System nicht mehr als den Grenzfall endlicher Systeme verstehen.
Hilberts Ansatz – über die Wahl eines vollständigen Orthonormalsystems – führte zu einem unendlichen linearen Gleichungssystem in einem Folgenraum, dessen Folgen nach der Besselschen Ungleichung alle quadratisch summierbar sind, also im l2 liegen. Er entwickelte dann in einer der Mitteilungen die Theorie der selbstadjungierten Operatoren auf l2, die sich genauso auch auf alle Vektorräume mit vollständigem Skalarprodukt erweitern läßt. Letztere werden später nach ihm benannt, obwohl er selbst sagte, er verstehe sie nicht.
Sowohl Hilbert als Schmidt benutzten noch den Riemannschen Integralbegriff und konnten deshalb den Spektralsatz nur auf stetige Funktionen anwenden. (Sie arbeiteten also nicht mit dem gesamten Hilbert-Raum L2, sondern nur mit dem Unterraum der stetigen Funktionen.) Mit dem einige Jahre zuvor von Lebesgue entwickelten Integralbegriffe ließ sich die Theorie aber ohne Änderungen auf quadratisch-integrierbare Funktionen f∈L2 übertragen.
Issai Schur beweist 1909, dass nicht nur symmetrische Matrizen (A=AT) sondern allgemeiner auch normale Matrizen (AAT=ATA) durch orthogonale Basiswechsel diagonalisiert werden können. Entsprechend kann man auch Hilberts Spektralsatz nicht nur für selbstadjungierte, sondern auch für normale Operatoren beweisen.
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:David_Hilbert,_1907.jpg
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