Der Abelpreis (mit gut 106$ der höchstdotierte Mathematikpreis) geht dieses Jahr an Hillel Furstenberg und Grigori Margulis für ihre Arbeiten zur Ergodentheorie.
Der Abelpreis wird jährlich von der Norwegischen Akademie der Wissenschaften vergeben. Er gilt als eine Art Ersatz dafür, daß es keinen Nobelpreis für Mathematik gibt. Über die Gründe, warum Nobel keinen Mathematik-Nobelpreis stiftete, gibt es viele anekdotische Erklärungen, die aber nach allgemeiner Meinung alle in das Reich der Fabel gehören.
Die Verleihung findet Ende Mai (oder corona-bedingt später) in Oslo statt.
Hillel Furstenberg wurde 1935 als Harry Fürstenberg in Berlin geboren, er lebte seit 1939 in den USA und ist seit 1965 an der Hebrew University in Jerusalem. Margulis wurde 1946 in Moskau geboren, er arbeitete dort bis 1991 am Institut für Informationsübertragung (und erhielt 1978 die Fieldsmedialle, die er aber nicht entgegennehmen durfte) und seit 1991 an der Yale University.
Die Laudatio hebt ihre Arbeiten über Irrfahrten (Random Walks) bei der Untersuchung von Gruppen und Graphen hervor.
Vom Studium zufälliger Produkte von Matrizen kommend, führte Hillel Furstenberg 1963 einen heute Furstenberg-Rand genannten grundlegenden Begriff ein. Er benutzte ihn, um eine Formel von Poisson-Typ zu geben, die die harmonischen Funktionen einer allgemeinen Gruppe in Abhängigkeit von ihren Randwerten ausdrückt. In seinen Arbeiten zu Irrfahrten zu Beginn der 60er Jahre, teilweise in Zusammenarbeit mit Harry Kesten, erhielt er auch ein wichtiges Kriterium für die Positivität des größten Lyapunov-Exponenten.
Motiviert von diophantischer Approximation führte Fürstenberg 1967 den Begriff der Disjunktheit ergodischer Systeme ein, ein Begriff analog zur Teilerfremdheit ganzer Zahlen. Dieser Begriff stellte sich als sehr tief heraus und hat Anwendungen in einer großen Zahl von Gebieten, darunter Fragen der Signalverarbeitung und Filterung in der Elektrotechnik, der Geometrie fraktaler Mengen, homogener Flüsse und der Zahlentheorie. Seine „×2×3-Vermutung“ ist ein wunderbar einfaches Beispiel, das zu vielen weiteren Entwicklungen geführt hat. Er betrachtete dort zwei Abbildungen, die Punkte auf dem Einheitskreis auf ihre Quadrate bzw. Kuben abbilden, und bewies, dass die einzigen abgeschlossenen Mengen, die unter diesen beiden Abbildungen invariant sind, entweder endliche Mengen oder der gesamte Kreis sind. Seine Vermutung besagt, dass die einzigen invarianten Maße entweder endlich oder rotationsinvariant sind. Trotz der Bemühungen vieler Mathematiker bleibt diese Vermutung zur Klassifikation der Maße offen. Klassifikation gruppeninvarianter Maße ist zu einem großen Forschungsgebiet erblüht, dass die arithmetische Quantenergodizität, Translationsflächen, Margulis’ Version der Littlewood-Vermutung und die spektakulären Arbeiten Ratners beeinflußte. Über invariante Maße in geometrischen Situationen bewies Furstenberg 1972 die eindeutige Ergodizität des Horozykelflusses hyperbolischer Flächen, ein Resultat mit vielen Verallgemeinerungen.
Mittels Ergodentheorie und seinem Multiple-Rekurrenz-Theorem gab Furstenberg 1977 einen erstaunlichen Beweis für den Satz von Szemeredi über die Existenz langer arithmetischer Folgen in Teilmengen positiver Dichte in den ganzen Zahlen. In folgenden Arbeiten mit Katznelson, Benjamin Weiss und anderen fand er höher-dimensionale und weitreichende Verallgemeinerungen des Satzes von Szemeredi und andere Anwendungen von topologischer Dynamik und Ergodentheorie auf Ramsey-Theorie und additive Kombinatorik. Diese Arbeit beeinflußte viele spätere Entwicklungen, darunter die Arbeiten von Green, Tao und Tamar Ziegler über die Hardy-Littlewood-Vermutung und arithmetische Folgen von Primzahlen.Gregory Margulis revolutionierte das Studium von Gittern in halbeinfachen Lie-Gruppen. Ein Gitter in einer Gruppe ist eine diskrete Untergruppe, so dass der Quotient endliches Volumen hat. Für halbeinfache Gruppen klassifizierte Margulis diese Gitter in seinen “Superstarrheits- und Arithmetizitätssätzen” Mitte der 70er Jahre. Borel und Harish-Chandra konstruierten Gitter in halbeinfachen Gruppen mittels arithmetischer Konstruktionen, im Wesentlichen als Gruppen ganzzahliger Matrizen in großen Matrizengruppen. Margulis bewies, dass alle Gitter in Rang 2 und höher durch diese arithmetische Konstruktion entstehen, wie es Selberg vermutet hatte. Margulis enthüllte die Struktur dieser Gitter in seinem Normalteilertheorem. Zentral für seine Techniken ist die erstaunliche und überraschende Verwendung wahrscheinlichkeitstheoretischer Methoden (Irrfahrten, Satz von Oseledets, Mittelbarkeit, Furstenberg-Rand) wie auch von Kazhdans Eigenschaft T.
In seiner Dissertation konstruierte Margulis 1970 das sogenannte Bowen-Margulis-Maß einer kompakten Riemannschen Mannigfaltigkeit variabler, streng negativer Schnittkrümmung. Mit Hilfe der Mischungseigenschaft des geodätischen Flusses bezüglich dieses Maßes bewies er ein Analog zum Primzahlsatz, eine asymptotische Formel für die Anzahl geschlossener Geodäten kürzer als eine gegebene Länge. Davor war das einzige Zählresultat in dieser Richtung die Selbergsche Spurformel gewesen, die nur für lokalsymmetrische Räume funktioniert. Seitdem wurden zahlreiche Zähl- und Gleichverteilungsprobleme mittels Margulis’ Mischungsansatz untersucht.
Eine andere spektakuläre Anwendung seiner Methoden war 1984 der Beweis der jahrzehntealten Oppenheim-Vermutung in der Zahlentheorie: eine nicht-ausgeartete quadratische Form in drei oder mehr Variablen nimmt entweder auf den ganzen Zahlen eine dichte Menge von Werten an oder ist ein Vielfaches einer Form mit rationalen Koeffizienten.
In der Graphentheorie konstruierte Margulis 1973 die erste bekannte explizite Familie von Expandern, unter Verwendung von Kazhdans Eigenschaft T. Ein Expander ist ein hoch-zusammenhängender Graph. Dieser von Pinsker eingeführte Begriff kommt vom Studium von Netzwerken in Kommunikationssystemen. Expander-Graphen sind heute ein fundamentales Werkzeug in Informatik und fehlerkorrigierenden Codes. 1988 konstruierte Margulis optimale Expander, jetzt als Ramanujan-Graphen bekannt, die unabhängig von Lubotzky-Sarnak-Phillips entdeckt wurden.
Informationen zur Geschichte des Abelpreises findet man hier. Die bisherigen Preisträger seit 2003 sind:
2003 Jean-Pierre Serre (Frankreich): Homotopietheorie, Algebraische Geometrie
2004 Michael Atiyah (GB), Isadore Singer (USA): Globale Analysis
2005 Peter Lax (USA): Partielle Differentialgleichungen, Streutheorie
2006 Lennart Carleson (Schweden): Harmonische Analysis, Dynamische Systeme
2007 Srinivasa Varadan (Indien): Wahrscheinlichkeitstheorie, Große Abweichungen
2008 Jacques Tits (Belgien), John Thompson (USA): Gruppentheorie
2009 Michael Gromov (Frankreich): Riemannsche und Symplektische Geometrie, Geometrische Gruppentheorie
2010 John Tate (USA): Algebraische Zahlentheorie, Elliptische Kurven
2011 John Milnor (USA): Differentialtopologie
2012 Endre Szemeredi (Ungarn): Graphentheorie
2013 Pierre Deligne (Belgien): Algebraische Geometrie
2014 Yakov Sinai (Russland): Dynamische Systeme
2015 John Nash, Louis Nirenberg (USA): Partielle Differentialgleichungen
2016 Andrew Wiles (GB): Algebraische Zahlentheorie, Elliptische Kurven
2017 Yves Meyer (Frankreich): Harmonische Analysis
2018 Robert Langlands (Kanada): Darstellungstheorie, Zahlentheorie
2019 Karen Uhlenbeck (USA): Geoemtrische Analysis
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