Ein zentrales Postulat der kinetischen Gastheorie ist seit Boltzmann die Ergodenhypothese: thermodynamische Systeme verhalten sich völlig zufällig, alle energetisch möglichen Phasenraum-Regionen werden erreicht und die Trajektorie verbringt auf lange Sicht anteilig genausoviel Zeit in einer Region des Phasenraums wie es dem Anteil des Volumens dieser Region am gesamten Phasenraum entspricht.
Mathematisch geht es um einen Hamiltonschen Fluss φt auf einem Phasenraum X (von endlichem Volumen). Nach Liouvilles Theorem ist dieser Fluss volumen-erhaltend. Sei nun x0 der Ausgangspunkt zum Zeitpunkt 0, dann behauptet die Ergodenhypothese, dass für jede meßbare Menge A die Gleichung gelte. (Hier ist χA die charakteristische Funktion der Menge A. D.h. dass
den Wert 1 annimmt, falls
, und den Wert 0 annimmt, falls
. Das Integral auf der linken Seite mißt also den Anteil derjenigen t, für die
; mit anderen Worten den Anteil der Zeit, den die Trajektorie in der Region A des Phasenraums verbringt.)
Es macht keinen Unterschied, diese Bedingung nicht nur für die charakteristischen Funktionen , sondern gleich für alle meßbaren Funktionen f zu fordern, also
zu behaupten. Den speziellen Fall charakteristischer Funktionen zu beweisen, wäre nicht einfacher als den allgemeinen Fall zu beweisen. Deshalb formuliert man die Ergodenhypothese meist für alle meßbaren Funktionen f.
Schwächere Versionen der Ergodenhypothese sind beispielsweise der Poincarésche Wiederkehrsatz (dort wird nur behauptet, dass eine Menge positiven Volumens immer wieder besucht wird, nicht dass die Besuchshäufigkeit proportional zum Volumen ist) oder in gewisser Weise auch der zentrale Grenzwertsatz, der eine Aussage über den Mittelwert unabhängiger, identisch verteilter Zufallsgrößen macht (und damit nicht auf die Ergodenhypothese anwendbar ist).
Tatsächlich bezweifelten zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele Physiker die Ergodenhypothese und es wurden auch Gegenbeispiele gefunden. Was man damals nicht bemerkte: die Gegenbeispiele betrafen jeweils nur Ausgangspunkte x0 in Ausnahmemengen vom Maß 0.
Der Zahlentheoretiker Emil Artin bemerkte 1924, dass der geodätische Fluß auf dem Einheitstangentialbündel der „Modulfläche“ SL(2,Z)\H2 (einer Fläche konstant negativer Krümmung) die Ergodenhypothese erfüllt – jedenfalls außerhalb einer Nullmenge, denn für Punkte auf einer geschlossenen Bahn gilt die Ergodenhypothese natürlich nicht. Die Analytiker nahmen sein Beispiel aber nicht zur Kenntnis. Derselbe Satz – für beliebige hyperbolische Fläche formuliert – wurde 1939 noch einmal von Eberhard Hopf bewiesen.
Verfechter einer numerischen, rechnergestützten Mathematik würden den Ergodensatz später als ein Beispiel eines Satzes anführen, wo der Einsatz von Computern, das Experimentieren und Berechnen von Beispielen, einen Mathematiker sehr viel eher auf den richtigen Weg hätten bringen können. Aber diese Möglichkeiten gab es damals noch nicht und so verbrachte George David Birkhoff einen großen Teil seines Lebens mit der Suche nach einem Beweis der Ergodenhypothese. Erst nachdem Johann Neumann von Margitta und unabhängig Eberhard Hopf einen L2-Ergodensatz bewiesen hatten, also die Konvergenz im quadratischen Mittel der Zeitmittel gegen das Raummittel, gelang es Birkhoff in der 1931 in Proc. Nat. Acad. Sci. veröffentlichten Arbeit „Proof of the ergodic theorem“ die Existenz des Zeitmittels nicht nur als L2-Grenzwert sondern auch punktweise für fast alle Ausgangspunkte x0 zu beweisen.
Für die so definierte L1-Funktion hat man automatisch φ-Invarianz und
. Wenn man dann zusätzlich voraussetzt, dass der volumen-erhaltende Fluss φt “ergodisch” ist - also alle φ-invarianten Mengen entweder Maß 0 oder volles Maß haben - dann folgt unmittelbar, dass
konstant ist und damit die Ergodenhypothese
für alle meßbaren Funktionen f. Diese „richtige“ Definition von Ergodizität, unter der die Ergodenhypothese gilt, war vielleicht die wichtigste Erkenntnis in Birkhoffs Arbeit; sie kombiniert die physikalischen Erkenntnisse mit einer abstrakten maßtheoretischen Formulierung.
Hat man einmal die richtige Definition von Ergodizität, dann ist es nicht schwer zu zeigen, dass von Neumanns L2-Ergodensatz und Birkhoff punktweiser Ergodensatz äquivalent zueinander sind und Birkhoffs Resultat also aus dem von Neumanns folgen würde. Angeblich soll Birkhoff danach seinen Einfluss geltend gemacht haben, damit von Neumanns Arbeit erst nach seiner veröffentlicht wird.
Eine überzeugende Anwendung des Ergodensatzes ist Borels Satz über normale Zahlen. Auf X=[0,1] betrachte man die Transformation . Sei f die Funktion auf [0,1], welche 1 ist, wenn die erste Nachkommastelle eine 1 ist, und 0 sonst. Dann konvergiert
gegen die relative Häufigkeit der 1 in den Nachkommastelle von x0. Nach dem Ergodensatz ist dieser Grenzwert aber gerade das Maß der Menge aller Zahlen mit erster Nachkommastelle 1, also 1/10. Das beweist, dass die Ziffern der Nachkommastellen gleichverteilt sind.
Eberhard Hopf, damals als Stipendiat der Rockefeller-Stiftung bei Birkhoff in Harvard (und dort über mathematische und auch astrophysikalische Fragen arbeitend) bewies eine Verschärfung des Ergodensatzes mit einer flexibleren Beweismethode. Seine Arbeit „On the time average theorem in dynamics“ wurde von vielen als das erste verständliche Werk in moderner Ergodentheorie angesehen. Er arbeitete auch an einem Buch zur Ergodentheorie, das aber erst fünf Jahre später fertig wurde. Ergodizität wurde auch in der reinen Mathematik ein wichtiges Hilfsmittel, beispielsweise zur Untersuchung von Flüssen auf geometrisch definierter Flächen. Für hyperbolische Flächen bewies Hedlund die Ergodizität des Horozykelflusses und Hopf später die Ergodizität des geodätischen Flusses.
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:George_David_Birkhoff_1.jpg
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