Noether veröffentlichte nie etwas zur algebraischen Topologie, gab aber in Diskussionen mit Heinz Hopf und Pawel Alexandrow einen entscheidenden Impetus für deren Entwicklung: man solle basisfrei Kern und Bild des Randoperators als Moduln betrachten statt wie Poincaré den Randoperator durch Inzidenzmatrizen darzustellen. Entsprechend solle man mit den Homologiegruppen arbeiten statt mit Betti-Zahlen und Torsionskoeffizienten, und mit Gruppenhomomorphismen statt mit Matrizen.
Ihr einziger schriftlicher Beitrag zur algebraischen Topologie war eine kurze Bemerkung in der Arbeit “Ableitung der Elementarteilertheorie aus der Gruppentheorie”, in der sie beiläufig erwähnte, dass auch für Anwendungen beispielsweise in der Topologie ein Zurückgehen auf die Elementarteilertheorie (zur Bestimmung der Invarianten) nicht notwendig sei, sondern die Klassifikation der endlich erzeugten abelschen Gruppen völlig ausreiche.
Mit dem Ansatz, stetigen Abbildungen die Homomorphismen der simplizialen Kettenkomplexe und Homologiegruppen zuzuordnen – in heutiger Sprache: die Funktorialität der Homologiegruppen auszunutzen – konnte Hopf einen neuen Beweis des Lefschetzschen Fixpunktsatzes geben. Er ergab sich als Folgerung aus einer mit linearer Algebra leicht zu beweisenden Spurformel: für eine Kettenabbildung eines Kettenkomplexes C* mit Homologie H* gilt
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Mit Hopfs Spurformel bekommt man auch sofort, dass für einen Simplizialkomplex die Wechselsumme über die Dimensionen der Homologiegruppen mit der Euler-Charakteristik – der Wechselsummen über die Anzahlen der i-Simplizes – übereinstimmt. Insbesondere erhält man die Eulersche Polyederformel: weil ein konvexer Polyeder homöomorph zur 2-Sphäre ist, deren Homologiegruppen die Dimensionen 1,0,1 haben, hat man E-K+F=1-0+1=2.
Auch in anderen Gebieten, insbesondere in der Darstellungstheorie, „befreite“ Emmy Noether die lineare Algebra von Matrizen und Determinanten. Schon auf der DMV-Tagung 1925 in Danzig propagierte sie in ihrem Vortrag, Darstellungstheorie im Kontext abstrakter Algebren zu betreiben. In ihrer 1929 in Mathematische Zeitschrift erschienenen Arbeit „Hyperkomplexe Größen und Darstellungstheorie“ ordnete sie jeder Darstellung einer Gruppe G auf einem Vektorraum V=Kn ihren Darstellungsmodul zu, d.h. sie betrachtete V als Modul über dem Gruppenring K[G]. Man hat so eine 1:1-Korrespondenz zwischen einerseits Darstellungen der Gruppe G auf K-Vektorräumen und andererseits Moduln über dem Gruppenring K[G].
Mittels dieser Korrespondenz kann man die Strukturtheorie von Moduln auf V anwenden und auch die Strukturtheorie der (damals noch als „hyperkomplexe Systeme“ bezeichneten) assoziativen Algebren auf K[G].
Eigenschaften von Algebren und Moduln übertragen sich in die Darstellungstheorie. Zwei Darstellungen sind äquivalent, wenn ihre Darstellungsmoduln isomorph sind. Eine Darstellung ist irreduzibel, wenn ihr Darstellungsmodul einfach ist. Sätze der Darstellungstheorie lassen sich in der Sprache der Moduln formulieren und haben dort oft einfachere Beweise. Schurs Lemma besagt in dieser Sprache, dass für einen einfachen A-Modul M (über einem beliebigen Ring A) der Endomorphismenring EndA(M) ein Schiefkörper ist. Frobenius‘ Reziprozitätssatz besagt dann, dass man für einen R[G]-Modul M und einen R[H]-Modul L (für eine Untergruppe H von G) einen Isomorphismus von R-Moduln hat. Der Satz von Maschke bedeutet, dass für char(K)=0 und endliche Gruppen G die Gruppenalgebra K[G] halbeinfach ist.
Emil Artin hoffte damals, dass sich mit einfachen Algebren und nichtkommutativen Kohomologiegruppen eine Klassenkörpertheorie für nichtabelsche Erweiterungen begründen ließe, was sich so nicht erfüllte. Noether konnte aber beispielsweise den Satz 90 aus Hilberts Zahlbericht in kohomologischer Sprache als H1(G,L*)=0 für Körpererweiterungen L/K mit zyklischer Galois-Gruppe G formulieren und ihn in dieser Formulierung H1(G,GL(m,L))=0 dann auch für nicht-zyklische, endliche Körpererweiterungen verallgemeinern - was allerdings (wie sie in ihrer Arbeit erwähnte) äquivalent zu einem schon zehn Jahre zuvor von Speiser bewiesenen Satz war. Das war eines von vielen Beispielen, wo es in ihrer Arbeit mehr um begriffliche Durchdringung als um neue Sätze ging.
Mit dem Zahlentheoretiker Helmut Hasse führte Noether einen regelmäßigen Briefwechsel, der zumindest in den ersten Jahren etwas von einer Lehrer-Schüler-Beziehung hatte: sie kritisierte und lobte, gab gute und nicht so gute Noten, ermutigte und lehrte ihn. Skeptisch war sie zunächst bezüglich einer Vermutung Hasses, einem Lokal-Global-Prinzip für Algebren. So wie sich - laut Hasses Lokal-Global-Prinzip für quadratische Formen - die Isotropie einer quadratischen Form (über Q oder einem Zahlkörper) durch Betrachten der p-adischen Vervollständigungen entscheiden lasse, so sollte sich nach Hasses Vermutung der Zerfall einer Algebra (über Q oder einem Zahlkörper) durch Betrachten der p-adischen Vervollständigungen entscheiden lassen.
Man sagt, dass eine Algebra über einem Körper K zerfällt, wenn sie isomorph zu einer Matrizenalgebra Mat(n,K) ist. Theodor Molien hatte 1891 bewiesen, dass jede einfache Algebra über C zerfällt. Das war von Élie Cartan dahingehend verallgemeinert worden, dass einfache Algebren über R stets Matrizenalgebren über einer R-Divisionsalgebra sind, also nach Frobenius über R, C oder H. Joseph Wedderburn hatte schließlich 1907 einen Struktursatz für Algebren über beliebigen Körpern K bewiesen: jede assoziative Algebra ist die Summe einer nilpotenten und einer halbeinfachen Algebra, jede halbeinfache Algebra ist die Summe einfacher Algebren, und jede einfache Algebra ist eine Matrixalgebra Mat(n,D), wobei D eine K-Divisionsalgebra ist. Für algebraisch abgeschlossene Körper bedeutet das, dass jede einfache K-Algebra über K zerfällt.
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