Mannigfaltigkeiten sollen Räume sein, die lokal wie der Vektorraum Rn aussehen. Was exakt unter dem Konzept „Mannigfaltigkeit“ zu verstehen ist, wurde im 19. Jahrhundert zunächst von Riemann, später auch von Klein, Betti, Lipschitz, Dyck und anderen diskutiert.
Bei Poincaré waren Mannigfaltigkeiten ursprünglich Untermannigfaltigkeiten im euklidischen Raum, später dann Simplizialkomplexe, womit er wohl implizit annahm, dass Mannigfaltigkeiten trianguliert werden könnten. (Für Flächen bewies das 1925 Tibor Radó, womit er dann auch den ersten vollständigen Beweis der Klassifikation von Flächen geben konnte.) Triangulierte Mannigfaltigkeiten verwendeten dann auch Dehn und Heegaard in ihren Arbeiten über 3-Mannigfaltigkeiten, Tietze formulierte in diesem Zusammenhang die Hauptvermutung über die Eindeutigkeit von Triangulierungen bis auf Unterteilung. (Sie wurde mehr als 50 Jahre später widerlegt.) In den 1920er Jahren gab es zahlreiche konkurrierende Ansätze für eine kombinatorische Definition von Mannigfaltigkeiten.
Lokale Parametrisierungen waren bei Poincaré und anderen natürlich vorgekommen. Hermann Weyls Buch „Die Idee der Riemannsche Fläche“ (1913) hatte Flächen erstmals dadurch definiert, dass jede Umgebung eines Punktes „eine umkehrbar eindeutige Abbildung auf die inneren Punkte eines gewöhnlichen Euklidischen Kreises“ haben sollte. Veblen und Whitehead hatten in ihrem 1932 erschienenen Lehrbuch der Differentialgeometrie die Topologie einer Mannigfaltigkeit erstmals nicht als gegeben betrachtet, sondern über die Karten eines Atlanten definiert.
Damit lag es dann nahe, auch differenzierbare Mannigfaltigkeiten zu betrachten als diejenigen, bei denen die Kartenübergänge differenzierbare Funktionen sind. Mit diesem Ansatz definierten Veblen und Whitehead Mannigfaltigkeiten unterschiedlicher Differenzierbarkeitsstufen: eine Ck-Mannigfaltigkeit ist eine, deren Kartenübergänge k-mal stetig differenzierbar sind. Allgemeiner charakterisierten sie die „Struktur“ einer Mannigfaltigkeit durch die Pseudogruppe der zulässigen Kartenübergänge. Die Begriffe der Differentialgeometrie konnten damit kartenweise definiert werden.
Man hatte somit einen klaren begrifflichen Rahmen, in dem beispielsweise Fragen nach Existenz und Eindeutigkeit von Triangulierungen gestellt werden konnten. Koopman und Brown bewiesen Triangulierbarkeit für analytische Mannigfaltigkeiten – für algebraische Varietäten war das bereits von van der Waerden bewiesen – und einige Jahre später bewies zunächst Cairns Triangulierbarkeit von C∞-Mannigfaltigkeiten und dann Whitehead von C1-Mannigfaltigkeiten und für letztere auch die Hauptvermutung.
Hassler Whitney hatte sich als Doktorand mit dem Vierfarbenproblem befaßt, tiefe Einsichten in die Struktur planarer Graphen gewonnen und insbesondere die genauen Axiome für die Existenz eines kombinatorischen Duals in beliebigen Mengensystemen herausgearbeitet – den Begriff des Matroids. Danach begann er, sich mit differenzierbaren Abbildungen zu beschäftigen. Da sich bisher niemand mit differenzierbaren Mannigfaltigkeiten befaßt hatte, betrat er hier völlig neuen Grund und konnte innerhalb kurzer Zeit eine Reihe grundlegender Sätze beweisen.
Das erste Problem, dem er sich zuwandte, war die Verbesserung des Satzes von Tietze, demzufolge eine auf einer abgeschlossenen Teilmenge eines normalen Raumes definierte stetige Funktion stetig auf den gesamten Raum fortgesetzt werden kann.
Bei Whitney ging es nun um beliebig oft differenzierbare (statt nur stetige) Abbildungen.
Um ein Gefühl, für das Problem zu bekommen, betrachte man auf der reellen Zahlengeraden die Teilmenge und auf dieser die stetige Funktion, die auf den beiden Intervallen die Werte 0 bzw. 1 annimmt. Aus dem Lemma von Urysohn (oder dem auf diesem aufbauenden Fortsetzungssatz von Tietze) bekommt man die stetige Fortsetzbarkeit auf ganz R, die in diesem Fall natürlich auch leicht direkt zu beweisen wäre: man vervollständigt den Funktionengraphen einfach durch die (0,0) und (1,1) verbindende Gerade. Diese Fortsetzung ist stetig, aber nicht differenzierbar.
Mit nur etwas mehr Mühe findet man auch polynomielle Funktionen auf (0,1), die eine k-mal stetig differenzierbare Fortsetzung der gegebenen Funktion definieren. Auch eine unendlich oft differenzierbare Fortsetzung auf (0,1) kann man explizit angeben: .
Entsprechend hat man eine Funktion , die auf den beiden Intervallen umgekehrt die Werte 1 bzw. 0 annimmt. Wenn man nun zu zwei beliebigen auf den Intervallen gegebenen C∞-Funktionen f und g eine Fortsetzung sucht, dann kann man einfach
nehmen (wofür man zunächst f und g einzeln fortsetzen muß, was aber möglich ist).
Die Verallgemeinerung dieser Konstruktion auf allgemeinere Mengen (statt nur Intervalle in R) besteht in sogenannten Zerlegungen der Eins: zu einer Überdeckung einer Mannigfaltigkeit durch offene Mengen Ui findet man C∞-Funktionen fi, die außerhalb von Ui verschwinden und deren Summe 1 ist. Dies ist immer dann möglich, wenn die Mannigfaltigkeit parakompakt ist, was wiederum folgt, wenn die C∞-Mannigfaltigkeit Hausdorffsch ist und das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllt – die Hausdorff-Bedingung hatten Veblen und Whitehead aber gerade zur Definition einer C∞-Mannigfaltigkeit hinzugenommen, und das zweite Abzählbarkeitsaxiom ist für Riemannsche Mannigfaltigkeiten eine Folgerung der anderen Axiome. (Für allgemeine C∞-Mannigfaltigkeiten nimmt man es heute zu den Axiomen hinzu.)
Whitney’s Beweis der Zerlegung der 1 war ziemlich technisch. Vergleichsweise einfach war sein dann mit Zerlegungen der 1 gewonnener Beweis, dass jede Mannigfaltigkeit in einen euklidischen Raum RN mit hinreichend großem N (nämlich N=(d+1)k für d=dim(M) und k=Anzahl der Karten) eingebettet werden kann. (In der topologischen Kategorie hat man N=dk, indem man die Koordinaten fiφi für Karten φi und eine Zerlegung der 1 in fi nimmt. Damit die Ableitungen nicht verschwinden, benötigt man noch k zusätzliche Dimensionen.) Die abstrakte Definition von Veblen-Whitehead ist also letztlich äquivalent dazu, Mannigfaltigkeiten als Untermannigfaltigkeit eines RN zu definieren. (Die abstrakte Definition ist aber für Beweise besser als die konkrete.)
Whitney verbesserte das weiter dazu, dass eine differenzierbare n-Mannigfaltigkeit in den R2n+1 eingebettet werden kann. Acht Jahre später bewies er, dass sie sogar in den R2n eingebettet (und in den R2n-1 immersiert) werden kann. Weiter bewies er, dass jede differenzierbare Untermannigfaltigkeit eine Tubenumgebung (ein Scheibenbündel über der Untermannigfaltigkeit, diffeomorph zu deren Normalenbündel) besitzt.
Der Ansatz für die Reduktion der Dimension im Einbettungssatz war, zu einer gegebenen Einbettung im RN mit N>2n zu beweisen, dass es auch eine Einbettung in den RN-1 gibt. Er betrachtete die Projektionen auf N-1-dimensionale Unterräume des RN – die Menge dieser Unterräume bildet einen (N-1)-dimensionalen projektiven Raum – und zeigte, dass es Projektionen gibt, für die das Bild wieder eine eingebettete Mannigfaltigkeit ist. Das war vergleichsweise einfach – eine Anwendung des Lemmas von Sard – für N>2n+1, aber für N=2n+1 wurde es schwer: man kann hier nicht vermeiden, dass das Bild Selbstschnitte hat. Man kann annehmen, dass die Selbstschnitte nur aus isolierten Punkten bestehen. Mit dem später nach ihm benannten Whitney–Trick bewies er, dass man auch in diesem Fall die Selbstschnitte durch eine Isotopie beseitigen kann.
Die „Zerlegungen der Eins“, sein wichtiges Hilfsmittel zur Globalisierung lokaler Eigenschaften, gibt es zwar mit beliebig oft differenzierbaren Funktionen, aber nicht mit analytischen Funktionen. Das erklärt die grundsätzlichen Unterschiede zwischen differenzierbaren und analytischen (insbesondere auch komplexen) Mannigfaltigkeiten.
Auch für die Triangulierbarkeit würden sich differenzierbare Mannigfaltigkeiten als geeigneter herausstellen als topologische Mannigfaltigkeiten. Nachdem ein von Nöbeling 1935 auf der Konferenz in Moskau vorgestellter Beweis der Triangulierbarkeit beliebiger Mannigfaltigkeiten sich als falsch herausgestellt hatte, bewies Whitehead aber einige Jahre später die Triangulierbarkeit differenzierbarer Mannigfaltigkeiten. Für topologische Mannigfaltigkeiten blieb die Frage zunächst offen, vierzig Jahre später wurden Gegenbeispiele gefunden.
In Moskau selbst war Whitehead nicht dabei gewesen. Ein Jahr zuvor hatte er behauptet, die Poincaré-Vermutung – jede einfach zusammenhängende, geschlossene 3-Mannigfaltigkeit ist die 3-Sphäre – bewiesen zu haben. Noch vor der Moskauer Konferenz hatte er jedoch einen Fehler gefunden. Tatsächlich hatte er die Vermutung auf eine andere Behauptung zurückgeführt, nämlich dass jede kontrahierbare, offene 3-Mannigfaltigkeit homöomorph zum R3 ist, und zu dieser Behauptung fand er dann ein Gegenbeispiel, die Whitehead–Mannigfaltigkeit. Die Poincaré-Vermutung blieb offen. Dafür gab es inzwischen Klassifikationsresultate für andere Klassen von 3-Mannigfaltigkeiten: Seifert klassifiziert die später nach ihm benannten Seifert-Faserungen (3-Mannigfaltigkeiten mit Faserungen, bei denen gewisse singuläre Fasern erlaubt sind), und Reidemeister nach Vorarbeiten von Seifert-Threlfall die Linsenräume. Das erste Buch über 3-Mannigfaltigkeiten schrieben Seifert und Threlfall.
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:WhitneyHassler_Moscow1935.tif
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