Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre dominierte in der Topologie der algebraische Zugang. Seine reinste, alle Geometrie zurücklassende Form fand er in Serres Berechnungen von Homotopiegruppen von Sphären, die sich als Anwendungen von Spektralsequenzen ergaben.
Dabei gab es jedoch auch einen auf Pontrjagin zurückgehenden geometrischen Zugang zur Berechnung von Homotopiegruppen von Sphären. Für eine Abbildung betrachtete er das Urbild eines regulären Wertes y als k-dimensionale Untermannigfaltigkeit M des Rn+k. Eine Basis des Tangentialraums TySn gibt nach Zurückziehen mittels Df eine Basis des Normalraums in jedem Punkt von M, eine sogenannte Rahmung der Untermannigfaltigkeit M.
Man bezeichnet zwei gerahmte, k-dimensionale Untermannigfaltigkeiten als gerahmt kobordant, wenn es eine gerahmte k+1-Untermannigfaltigkeit gibt, deren Rand (mit der induzierten Rahmung) gerade aus den beiden Untermannigfaltigkeiten besteht. Pontrjagin hatte mit elementaren Mitteln bewiesen, dass mit dieser Konstruktion die Homotopiegruppe isomorph zur Gruppe der gerahmten, k-dimensionalen Untermannigfaltigkeiten modulo gerahmter Kobordismen im Rn+k wird.
Nach dem Einhängungssatz von Freudenthal weiß man, dass sich bei festem k ab n=k+2 die Gruppe nicht mehr ändert. Diese Gruppe bezeichnet man als stabile Homotopiegruppe
und vermittels Pontrjagins Konstruktion ist sie isomorph zur Gruppe der gerahmten, k-dimensionalen Untermannigfaltigkeiten modulo gerahmter Kobordismen im unendlich-dimensionalen Raum.
Zum Beispiel hat zwei Elemente, die den beiden Rahmungen der S1 entsprechen. Auch
hat zwei Elemente, die den beiden Rahmungen des Torus T2 entsprechen. Pontrjagin hatte mit seiner Konstruktion eigentlich beweisen wollen, dass
für n>2 nur ein Element habe. Auf dem ICM 1936 in Oslo hatte er dieses falsche Ergebnis angekündigt. (Weil er selbst nicht kommen konnte, wurde es von Lefschetz vorgetragen.) Der Fehler lag letztlich darin, dass er eine gewisse – später nach dem türkischen Mathematiker Cahit Arf als Arf-Invariante bezeichnete – Abbildung für linear gehalten hatte, die aber quadratisch war. Vierzehn Jahre nach Oslo korrigierte er seinen Fehler in einer auf Russisch erscheinenden Arbeit.
René Thom hatte während des Krieges an der École Normale studiert und war dann Henri Cartan nach Strasbourg gefolgt. Das war wegen Ehresmanns Seminar ein Zentrum der Topologie mit vielen auswärtigen Gästen. Cartan wollte, dass er über Ideale analytischer Funktionen arbeite, aber Thom interessierte sich mehr für “nur” differenzierbare Funktionen. Seine erste Notiz in den Comptes Rendus war eine Erweiterung der Morse-Theorie auf eine etwas allgemeinere Klasse von Funktionen. Nicht veröffentlicht hatte er seinen mit Morse-Theorie gegebenen neuen Beweis des Satzes von Lefschetz über Hyperebenenschnitte. Auch später würde er nur einen kleinen Teil seiner Ideen veröffentlichen und so seinen Kollegen gegenüber immer einen Wissensvorsprung haben. Trotzdem würden seine Ideen großen Einfluß auf die Entwicklung der Differentialtopologie bekommen.
In seiner Dissertation 1951 beschäftigte er sich mit Vektorbündeln . Er betrachtete die später als Thom-Raum Th(E) bezeichnete Ein-Punkt-Kompaktifizierung des Totalraums und zeigte, dass man einen Isomorphismus
für alle i hat, wobei k die Dimension der Faser ist. Das wurde später als Thom-Isomorphismus bezeichnet oder auch als Integration über Fasern, weil es sich für Mannigfaltigkeiten mit Hilfe von Differentialformen so interpretieren läßt. Thom zeigte, dass in der anderen Richtung der Isomorphismus durch das Cup-Produkt mit einer gewissen, später als Thom-Klasse bezeichneten, relativen Kohomologieklasse
gegeben ist. Die Einschränkung der Thom-Klasse auf die einzelnen Fasern gibt jeweils deren Fundamentalklasse. Durch Anwendung der Steenrod-Kohomologieoperationen auf u – in der Kohomologie mit Z/2Z-Koeffizienten – bekommt man die Stiefel-Whitney-Klassen des Bündels als
.
Als nächstes bearbeitete er die Frage, welche Homologieklassen in der Homologie einer Mannigfaltigkeit X sich durch eine Untermannigfaltigkeit realisieren lassen, oder allgemeiner als das stetige Bild einer Mannigfaltigkeit. (Letzteres heißt das Steenrod-Problem und ist auch von Interesse für die Auflösung von Singularitäten in der algebraischen Geometrie.) Die Resultate veröffentlichte er 1952 in mehreren kurzen Ankündigen in den Comptes Rendus de l‘Académie des Sciences und 1954 in der Arbeit „Quelques propiétés des variétés différentiables“ in Commentarii Mathematici Helvetici.
Thoms Ansatz zum Steenrod-Problem war ein geometrisches Verständnis von Dualitätssätzen und der klassifizierenden Abbildung. Wenn eine Homologieklasse durch eine Untermannigfaltigkeit repräsentiert wird, dann kann man ihr Normalenbündel ν betrachten. Der klassifizierende Raum für Vektorbündel ist eine Graßmann-Mannigfaltigkeit. Der Totalraum des Normalenbündels ν kann mit einer Umgebung N der Untermannigfaltigkeit in X identifiziert werden, der Thom-Raum ist dann
. Bezeichne MSO den Thom-Raum des universellen Bündels über der Graßmann-Mannigfaltigkeit, dann liefert die klassifizierende Abbildung also eine Abbildung
. Das Zurückgezogene der Thom-Klasse ist dann Poincaré-dual zur Fundamentalklasse
. Die Frage, ob eine Homologieklasse durch eine Untermannigfaltigkeit realisiert wird, übersetzt sich damit in die duale Frage, welche Kohomologieklasse sich als zurückgezogenes B*u der Thom-Klasse
unter einer geeigeten Abbildung B repräsentieren läßt. (Obige Konstruktion zeigt die Notwendigkeit dieser Bedingung. Um zu beweisen, dass sie hinreichend ist, mußte Thom einige Grundlagen der Theorie differenzierbarer Abbildungen entwickeln: jede stetige Abbildung
läßt sich durch differenzierbare approximieren, diese kann man transversal zur Graßmann-Mannigfaltigkeit machen, und dann ist das Urbild der Graßmann-Mannigfaltigkeit eine Mannigfaltigkeit.)
Um diese Frage zu beantworten, untersucht er dann mit den von Cartan und Serre eingeführten Methoden die Kohomologie von MSO. Serre hatte zuvor mit den von Steenrod eingeführten Kohomologie-Operationen die Kohomologie der Eilenberg-MacLane-Räume K(Z/2Z,n) berechnet. Für Thoms Problem folgt aus Arbeiten von Serre ein Isomorphismus , und diese Homologiegruppen stimmen vermittels des Thom-Isomorphismus mit der rationalen Homologie der Graßmann-Mannigfaltigkeit überein.
Aus Informationen über die Kohomologie der Graßmann-Mannigfaltigkeit und die Kohomologie-Operationen erhielt Thom manche unmittelbaren Hindernisse für Repräsentierbarkeit von Homologieklassen durch Mannigfaltigkeiten. Beispielsweise gelten für die Thom-Klasse die Gleichungen (für alle ungeraden Primzahlen p) und dieselbe Gleichung muß dann auch auch für das Zurückgezogene gelten; wenn also eine dieser Kohomologieoperationen ein von Null verschiedenes Ergebnis liefert, kann das Poincaré-Dual nicht von einer Untermannigfaltigkeit repräsentiert werden. Andererseits erhielt Thom mit Hilfe der Kohomologie-Operationen aber auch positive Resultate wie die Realisierbarkeit für Homologieklassen vom Grad
oder
in einer Mannigfaltigkeit der Dimension n. Für das Steenrod-Problem, die Realisierbarkeit einer Homologieklasse eines Simplizialkomplexes als stetiges Bild einer Mannigfaltigkeit, bekam er beispielsweise die Repräsentierbarkeit jeder Z/2Z-Homologieklasse.
Es stellte sich heraus, dass die stabilen Homotopiegruppen von MSO gerade die „Kobordismengruppen“ sind. Diese sind eine einfachere Variante der gerahmten Kobordismusgruppen. Zwei orientierte k-Mannigfaltigkeiten M und N heißen kobordant, wenn sie (mit entgegengesetzten Orientierungen) den Rand einer orientierten (k+1)-Mannigfaltigkeit bilden. Die k-te Kobordismusgruppe Ωk ist dann die Gruppe der orientierten, geschlossenen k-Mannigfaltigkeiten modulo Kobordismen. Mit dem Produkt von Mannigfaltigkeiten bekommt man den Kobordismusring. Diese Definition sieht eigentlich zu einfach aus, als dass man von ihr etwas nützliches erwarten würde.
Aus der Kenntnis der Homologiegruppen von MSO und mit Serres mod-C-Theorie – die in gewisser Weise Homotopiegruppen bis auf Torsion berechnet – kann Thom, was später als das Hauptresultat der Arbeit angesehen werden wird, den torsionsfreien Anteil des Kobordismusrings zu berechnen. Er wird von den komplex-projektiven Räumen CP2k, k=1,2,3,… erzeugt. Insbesondere haben Mannigfaltigkeiten genau dann dieselben Pontrjagin-Zahlen, wenn ihre Differenz in der Bordismusgruppe Torsion ist.
Thom veröffentlichte diese Ergebnisse 1952 in den Comptes Rendus und zwei Jahre später unter dem Titel „Quelques proprietes globales des varietes differentiables“ in den Commentarii Mathematici Helvetici.
Einen aufmerksamen Leser fand die Ankündigung unmittelbar nach Erscheinen am Institute for Advanced Study. Hirzebruch, der dort mit Spencer und Kodaira zusammenarbeitete, hatte sich mit der Signatur von 4n-dimensionalen Mannigfaltigkeiten beschäftigt, also der Signatur der quadratischen Form, die man durch die (inzwischen über das Cup-Produkt definierte) Schnittform auf der Kohomologie H2n erhielt. Hermann Weyl hatte mal in einer wenig beachteten, auf spanisch verfaßten Arbeit gemeint, dass dies eine interessante Invariante sein sollte. Hirzebruch wollte die Signatur aus den charakteristischen Klassen des Tangentialbündels berechnen. Er wußte, dass die Signatur von Rändern verschwindet, die Signatur also einen wohldefinierten Homomorphismus des Kobordismusring in die ganzen Zahlen definiert. Mit Thoms Berechnung mußte er jetzt nur noch die Signaturen der Erzeuger CP2k berechnen und das war völlig trivial und er hatte das natürlich schon längst berechnet. Unmittelbar nach Kenntnisnahme von Thoms Resultat durch eine Ankündigung in den Comptes Rendus hatte er damit den von ihm vermuteten Signatursatz bewiesen. Entsprechend euphorisch schrieb er an Thom: “Ich danke Ihnen vielmals für die Nachdrucke, die Sie mir geschickt hatten. Gestern waren die letzten Comptes Rendus im Institut erhältlich, und Borel machte mich auf Ihre Notiz aufmerksam. Ich interessiere mich sehr für diese Notiz, aus Gründen, die ich jetzt erklären möchte. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir bald einen Nachdruck dieser letzten Arbeit senden würden. Ich werde jetzt einige meiner jüngsten Ergebnisse und sehr neue Ergebnisse im Anschluss an Ihren starken Satz 7 anführen. Ich muss sagen, dass ich Borel für sehr wertvolle Gesprächen zu danken habe.”
Der Signatursatz wurde dann wiederum wesentlich für Milnor’s Entdeckung exotischer Sphären, und die Verwendung der Kobordismengruppen für seinen Beweis wurde das Vorbild für den (wesentlich schwierigeren) ersten Beweis des Atiyah-Singer-Indexsatzes wie auch zahlreicher anderer topologischer Resultate.
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:René_Thom.jpeg
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