Fermats Vermutung sagte bekanntlich, dass xn+yn=zn für n≥3 keine nichttrivialen ganzzahligen Lösungen hat. Äquivalent soll xn+yn=1 keine rationalen Lösungen außer (0,1) und (1,0) sowie (wenn n gerade ist) (0,-1) und (-1,0) haben.
Man weiß schon seit dem Altertum, dass es unendlich viele pythagoreischer Zahlentripel gibt, also ganzzahlige Lösungen von x2+y2=z2. Während die Unlösbarkeit der Fermat-Gleichung für n≥3 eine Eigenschaft dieser speziellen Gleichung ist, läßt sich die schwächere Frage, ob die Anzahl rationaler Lösungen von xn+yn=1 endlich oder unendlich ist, in einen allgemeinen Kontext einordnen. Die Mordell-Vermutung besagt, dass eine polynomielle Gleichung f(x,y)=0 (mit ganzzahligen Koeffizienten) nur dann unendlich viele rationale Lösungen haben kann, wenn die durch die Gleichung f(x,y)=0 in C2 gegebene komplexe Kurve Geschlecht ≤1 hat, d.h. eine Sphäre oder ein Torus ist. (Die Kurve ist dann entweder ein Kegelschnitt oder eine elliptische Kurve.) Dies läßt sich insbesondere auf die Gleichung xn+yn=1 für n≥4 anwenden, weil das Geschlecht der zugehörigen Kurve (n-1)(n-2)/2 ist.

Mordell hatte diese Vermutung 1922 aufgestellt im Nachgang seines Beweises, dass elliptische Kurven über Q endlich erzeugt sind. André Weil hatte jenen Satz von Mordell in seiner Dissertation 1928 auf höher-dimensionale abelsche Varietäten verallgemeinert, was sich insbesondere auf die Jacobi-Varietät von Kurven anwenden läßt. Eine Kurve kann stets in ihre Jacobi-Varietät eingebettet werden und Weil hatte gehofft zeigen zu können, dass das Bild der Kurve nur endlich viele Punkte der endlich erzeugten Jacobi-Varietät trifft. Das blieb aber offen. Siegel bewies 1929 mit Methoden der transzendenten Approximation, dass es auf einer Kurve vom Geschlecht ≥1 nur endlich viele ganzzahlige Punkte geben kann, was damals als einer der tiefliegendsten Sätze der Mathematik angesehen wurde. Nach den Arbeiten von Weil und Siegel gab es lange keine Fortschritte mehr. Erst die von Grothendieck angestoßenen Entwicklungen führten zu neuen Ansätzen.

Grothendiecks Zugang zur Mathematik war in den 70er Jahren auf eine Weise in die Mathematik absorbiert worden, dass junge Mathematiker sich gar nicht mehr vorstellen konnten, dass es einmal anders gewesen war. Der Trend zu zunehmender Allgemeinheit und Abstraktion, dem die Mathematik seit der Mitte des Jahrhunderts folgte, war zu einem nicht geringen Teil Grothendiecks Einfluß geschuldet. Mit seiner Theorie der Schemata konnte man diese über Spec(Z) fasern mit den Fasern X_p=X\times_{Spec {\bf Z}}Spec {\bf Z}/p{\bf Z} für Primzahlen p sowie X_0=X\times_{Spec{\bf Z}}Spec{\bf Q} für die „Primzahl im Unendlichen“. Einen beeindruckenden Erfolg hatte die Theorie der Schemata in den 70er Jahren mit Moris Beweis der Hartshorne-Vermutung, dass eine vollständige glatte Varietät mit amplem Tangentialbündel über einem algebraisch abgeschlossenen Körper der projektive Raum sein muß. Für den Beweis brauchte er eine Überdeckung durch rationale Kurven und konstruierte diese dann (selbst in Charakteristik 0), indem er sie erst mit Hilfe des Frobenius-Automorphismus in Charakteristik p konstruierte und dann zu Charakteristik 0 deformierte. Man fand keinen Beweis, der diesen Umweg über Charakteristik p vermied.

Die Mordell-Vermutung in ihrer allgemeinen Form besagte: wenn eine Kurve vom Geschlecht mindestens 2 über einem Zahlkörper K definiert ist, dann hat sie nur endlich viele K-rationale Punkte. Seit Grothendieck betrachtete man K-rationale Punkte einer Varietät X als Morphismen Spec(K)—->X, was natürlich dem klassischen Begriff entsprach. Man kannte aber weiterhin keine einzige Kurve mit mindestens einem rationalen Punkt, für die man die Mordell-Vermutung beweisen konnte. André Weil schrieb noch Anfang der 80er Jahre, dass es keine wirkliche Evidenz für die Vermutung gebe.

Mitte der 60er Jahre gab es Beweise der analogen Vermutung im Funktionenkörperfall durch Manin und später durch Grauert. Alexei Parschin zeigte dann, mit einem Argument, dass sowohl für Funktionenkörper wie für Zahlkörper funktionierte, dass eine von Schafarewitsch aufgestellte Endlichkeitsvermutung die Mordell-Vermutung impliziert.

Bei der Schafarewitsch-Vermutung geht es um über einem Zahlkörper K definierte Kurven. Man kann annehmen, dass die Koeffizienten im Ganzheitsring OK liegen und dann die Reduktionen modulo Primidealen p des Ganzheitsrings OK betrachten. Die Frage ist, ob man nach dieser Reduktion über OK/p eine nichtsinguläre Kurve bekommt. Zum Beispiel gibt die über Q definierte Fermat-Kurve x3+y3=1 nach Reduktion modulo p=3Z keine elliptische Kurve. Die elliptische Kurve y2=x3-17 gibt modulo 2, 3 und 17 keine elliptische Kurve: modulo 2 ist (1,0) eine Singularität, modulo 3 ist es (2,0) und modulo 17 gehört die Singularität (0,0) zur Kurve. Man sagt in einem solchen Fall, dass die Kurve schlechte Reduktion modulo dieser Primideale hat. Shimura hatte 1955 mit einem sehr aufwendigen Beweis gezeigt, dass glatte Varietäten über Q nur für endlich viele Primzahlen schlechte Reduktionen haben. In der Sprache der Schemata wurde dieser Satz zu einer Tautologie, weil Glattheit eine offene Bedingung ist. Schafarewitsch nahm nun für einen Zahlkörper K eine endliche Menge S von Primidealen und vermutete, dass es nur endlich viele algebraische Kurven von gegebenem Geschlecht über K gibt, deren minimale Modelle modulo der Ideale in S schlechte Reduktion haben. Für g=1, also die elliptischen Kurven y2=x(x-1)(x-λ), folgt dies daraus, dass es nur endlich viele λ gibt, für die λ und λ-1 nur durch die Primideale in S teilbar sind. Schafarewitsch bewies seine Vermutung allgemeiner auch für hyperelliptische Kurven.

Die Shafarewitsch-Vermutung war eine arithmetische Version des auf Kodaira zurückgehenden Problems, die Familien glatter Kurven gegebenen Geschlechts über einer (nicht notwendig vollständigen) Basiskurve zu studieren, sie vielleicht zu klassifizieren. In der Sprache der Schemata ist der Ganzheitsring eines Zahlkörpers ein 1-dimensionales reguläres Schema von endlichem Typ über Z, eine Kurve über einem Zahlkörper also eine Art Kurvenfamilie über einer Basiskurve.

Durch Übergang zur Jacobi-Varietät kann man (mit Hilfe eines Satzes von Torelli) die Shafarewitsch-Vermutung für Kurven vom Geschlecht g>1 darauf zurückführen, dass es über K nur endlich viele prinzipal polarisierte, g-dimensionale, abelsche Varietäten geben soll, die nur modulo der Ideale in S schlechte Reduktion haben.

1968 zeigte Alexei Parschin, dass man die Mordell-Vermutung auf die Schafarewitsch-Vermutung zurückführen kann. Grob gesagt war Parschins Idee wie folgt. Für eine Kurve X vom Geschlecht g > 1 und einen K-rationalen Punkt P konstruiert er eine Überlagerung Y–>X, die nur über P verzweigt ist, und der Definitionskörper wie auch ihre schlechten Primzahlen in Abhängigkeit von g und dem Definitionskörper und schlechten Primzahlen von X beschränkt sind. Weil Y das Paar (X,P) bis auf endlich viele Möglichkeiten festlegt, folgt aus Schafarewitschs Vermutung (endlich viele Y) und dem klassischen Torelli-Theorem (die Jacobi-Varietät Jac(X) als prinzipal polarisierte abelsche Varietät legt X fest) dann die Mordell-Vermutung (endlich viele P). Mit dieser Methode bekäme man auch einen neuen und völlig anderen Beweis für den Satz von Siegel über die Endlichkeit ganzzahliger Punkte auf elliptischen Kurven.

Im Funktionenkörperfall bewies Parschin diese Endlichkeitsvermutung modulo einer technischen Hypothese und gab daneben noch einen davon unabhängigen Beweis der von Manin und Grauert bewiesenen Mordell-Vermutung für Funktionenkörper. Die technische Hypothese wurde dann von Arakelow bewiesen.

Mit dem Ziel, eine Übertragung des Beweises vom Funktionenkörperfall auf den Fall von Zahlkörpern zu versuchen, entwickelte Arakelow die später nach ihm benannte Arakelow-Theorie. Er metrisierte Objekte über Spec(Z), wobei die Metrik der Struktur an der unendlichen Stelle von Q (also R) entspricht. An den unendlichen Stellen von Q (also Qp) verwendet man bekannte Modelle. Doch viele Dinge wie die Hodge-Theorie harmonischer Formen, die Deformationstheorie von Kodaira und Spencer oder auch der in Charkateristik p vorhandene Frobenius-Automorphismus haben kein Analogon für Zahlkörper. Arakelow entwickelte dafür eine umfangreiche Theorie, insbesondere Schafarewitsch folgend eine Schnittheorie für die Chow-Gruppe arithmetischer Flächen. Nachdem er an Schizophrenie erkrankte, konnte er seine Arbeit nicht fortsetzen. Eine höherdimensionale Variante, also eine Schnittheorie und eine Version des Satzes von Grothendieck-Riemann-Roch für arithmetische Varietäten (Varietäten über Dedekind-Ringen), wurde später von Gillet und Soulé entwickelt.

Die Mordell-Vermutung bewies 1983 Gerd Faltings, was sofort großes Aufsehen erregte. Er hatte sowohl Arakelows als auch Manins Methode auf Zahlkörper zu übertragen versucht, erfolgreich war er letztlich mit der schon im Funktionenkörperfall erfolgreichen Methode von Manin und unter Verwendung von Parschins Ansatz, zunächst eine geometrischere Frage zu beantworten, nämlich Schafarewitschs Vermutung, die sich mittels der Beziehung von X und Jac(X) darauf reduzieren läßt zu zeigen: es gibt nur eine endliche Zahl abelscher Varietäten fester Dimension über einem festen Zahlkörper, deren Néron-Modelle eine gute Reduktion außerhalb einer festen endlichen Menge von Primidealen im Zahlkörper hat. Faltings bewies diese Vermutung und eine andere grundlegende arithmetische Frage, eine zwanzig Jahre alte Vermutung von John Tate, derzufolge eine abelsche Varietät über einem Zahlkörper K bis auf Isogenie bestimmt wird durch die natürliche Wirkung der Galois-Gruppe des algebraischen Abschlusses von K auf Hom(Ql,Al(K)), wobei Al(K) die Gruppe der Punkte von l-Potenz-Ordnung in der abelschen Varietät A (über dem algebraischen Abschluß von K) bezeichnet.
Der Beweis benutzte zahlreiche mathematische Themen, darunter die Theorie der Höhen, die Theorie der p-teilbaren Gruppen, und de Franchis’ Theorem, demzufolge es nur endlich viele nichtkonstante analytische Abbildungen Y–>Z zwischen Kurven vom Geschlecht g>1 gibt. Ein wesentliches Ingredient war ein neuer Höhenbegriff für (prinzipal polarisierte) abelsche Varietäten. Er bewies eine Abschätzung für die Änderung dieser Höhe unter Isogenien und er setzte seine Höhe in Beziehung zum klassischen Höhenbegriff, wie er etwa implizit bei Fermat in der Methode des Unendlichen Abstiegs vorkommt, womit er erhielt, dass es nur endlich viele g-dimensionale prinzipal-polarisierte semistabile abelsche Varietäten beschränkter Höhe geben kann. Damit genügt es für den Beweis der Schafarewitsch-Vermutung, die Beschränktheit der Höhen der zu den Kurven assoziierten Jacobi-Varietäten zu zeigen. Mit der ebenfalls von Faltings mittels der Beschränktheit der Höhen bewiesenen Tate-Vermutung kann man das darauf zurückführen, nur isogene Kurven zu betrachten. Faltings nutzte seine Formel für die Änderung der Höhe unter Isogenien, zusammen mit dem Satz von Raynaud und den Weil-Vermutungen, um die Beschränktheit der Höhe und damit die Schafarewitsch-Vermutung und die Mordell-Vermutung zu zeigen.

Andere Beweise der Mordell-Vermutung fanden 1988 Vojta mit auf die diophantische Geometrie übertragenen Methoden der Werteverteilungstheorie und 2018 Venkatesh und Lawrence mit der Deformationstheorie p-adischer Galois-Darstellungen.

Bild: https://opc.mfo.de/detail?photo_id=8561

Kommentare (3)

  1. #1 rolak
    18. Juni 2021

    Die Mordell-Vermutung

    Hat was von einem Sherlock-Holmes-Titel 😎

  2. #2 Ralf
    München
    18. Juni 2021

    Die K-rationalen Punkte eines Schemas X sind Morphismen Spec(K)–>X, nicht X–>Spec(K).Und mit der Formulierung von Moris’ Theorem stimmt irgendetwas nicht, wahrscheinlich fehlt noch eine Voraussetzung an die vollständige glatte Varietät.

  3. #3 Thilo
    18. Juni 2021

    Danke, ist korrigiert.