Ein klassischer Satz, bewiesen 1849 von Cayley und Salmon, besagt die Existenz von genau 27 Geraden auf jeder kubischen Fläche in CP3. Ebenso klassisch (und ebenso heute über Berechnung von Chern-Klassen zu beweisen) ist die Existenz von genau 2875 Geraden (Kurven vom Grad 1) auf einer Quintik in CP4 . Der nächste Schritt war dann 1986 der Beweis von Sheldon Katz, dass es auf einer Quintik 609250 Kegelschnitte (Kurven vom Grad 2) und zumindest bis Grad 7 nur endlich viele Kurven von gegebenem Grad gibt.
Vor dem Hintergrund der Suche nach einer großen vereinheitlichenden Theorie für Gravitation, Elektromagnetismus, starke und schwache Wechselwirkung und speziell der heterotischen Stringtheorie hatten Physiker Beispiele für Spiegelmannigfaltigkeiten von Quintiken gefunden. Physikalisch soll man für die Spiegelmannigfaltigkeiten einen symmetrischen Vektorraum des Sigmamodells haben. (Das Sigmamodell ist eine gewisse Feldtheorie auf der Mannigfaltigkeit.) Beispielsweise für die Quintik z05+…+z45=ψz0…z4 (mit einer komplexen Zahl ψ) hat man eine Wirkung von (Z/5Z)3 (durch Multiplikation von Koordinaten mit Einheitswurzeln) und der Quotient hat Singularitäten, die sich auflösen lassen. Nach Auflösung der Singularitäten erhält man die Spiegelmannigfaltigkeit. Bemerkenswerterweise hatte in diesem Fall die Quintik die Euler-Charakteristik χ=200 und die Spiegelmannigfaltigkeit die entgegengesetzte Euler-Charakteristik χ=-200. (Physiker postulierten, dass dies ein allgemeines Prinzip sein sollte, wonach die Hodge-Zahlen der Spiegelmannigfaltigkeit gerade das „Spiegelbild“ der ursprünglichen Hodge-Zahlen sind.)
Eine Gruppe von vier Physikern war mit Hilfe der Spiegelmannigfaltigkeit das Problem angegangen, die Anzahl Nd der rationalen Kurven vom Grad d auf der Quintik z05+…+z45=ψz0…z4 zu berechnen. Für die Spiegelmannigfaltigkeit gibt es wieder (wie schon für die ursprüngliche 3-Faltigkeit) eine nirgends verschwindende 3-Form, die man über die Spiegelmannigfaltigkeit integrieren kann, womit man eine von ψ abhängende Zahl bekommt. Diese Funktion in ψ soll dann, so behaupteten die vier Physiker, die erzeugende Funktion der Nd sein. Auf einer Tagung trugen sie ihre Berechnungen vor. Aus der Behauptung folgt zum Beispiel, dass es auf dieser Quintik 317206375 Kurven vom Grad 3 geben soll – eine für die Mathematiker unglaubliche Vorhersage. Zwei Mathematiker führten eine Computerberechnung durch, mit der sie zu einem anderen Ergebnis kamen. Einen Monat später fanden sie aber den Fehler in ihrem Computerprogramm und nach der Korrektur bekamen sie dasselbe Resultat wie die Physiker. Die Vorhersage der Physik war korrekt gewesen, die Spiegelsymmetrie damit nicht nur für die Physik von die Interesse, sondern auch für das Abzählen von Kurven auf algebraischen Varietäten.
Allgemein soll es Spiegelmannigfaltigkeiten für alle kompakten Kähler-Mannigfaltigkeiten (d.h. komplex n-dimensionale Mannigfaltigkeiten mit kompatibler Metrik) mit c1=0 (oder äquivalent mit einer nirgends verschwindenden holomorphen n-Form) geben, also für die heute als Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten bezeichneten Mannigfaltigkeiten, für die Yau die Calabi-Vermutung (die Existenz einer Kähler-Metrik mit verschwindender Ricci-Krümmung) bewiesen hatte. Aus dem Satz von Riemann-Roch folgt, dass man auf einer generischen Calabi-Yau-3-Faltigkeit W nur endlich viele rationale Kurven von gegebenem Grad hat und die Arbeit der Physiker legte also nahe, dass man ihre Anzahl mit Hilfe der Spiegelmannigfaltigkeit berechnen kann. Konkret sollte die Funktion sich berechnen lassen mit Hilfe eines Differentialoperators vierter Ordnung, der eine gewisse hypergeometrische Reihe
zu 0 macht. Ein Modell einer konformen Feldtheorie, die mit rationalen Kurven auf W zu tun hat, soll äquivalent sein zu einem Modell, das auf den Perioden holomorpher 3-Formen auf der Spiegelmannigfaltigkeit beruht. Damit kann man Probleme zu rationalen Kurven in Probleme zur Picard-Fuchs-Gleichung für Perioden holomorpher Formen auf der Spiegelmannigfaltigkeit übersetzen. Obige hypergeometrische Reihe ist eine dieser Perioden. (Nachdem die Spiegelsymmetrie ursprünglich eine Beziehung zwischen der Anzahl rationaler Kurven und den Koeffizienten der Perioden der harmonischen Strukturen als Funktion auf dem Modulraum komplexer Strukturen auf Calabi-Yau-3-Faltigkeiten herstellen sollte, bemerkte man später, dass man auch Voraussagen treffen kann für die Anzahl der Kurven höheren Geschlechts und für Varietäten höherer Dimension.)
Die ursprüngliche (physikalische) Motivation der Spiegelsymmetrie waren sogenannte Yukawa-Paarungen auf den Kohomologiegruppen H2,1(W) und H1,1(W) einer Calabi-Yau-3-Faltigkeit W. (Yukawa-Paarungen sind Formen auf der Kohomologie einer Calabi-Yau-3-Faltigkeit, die in der Physik als Korrelationsfunktion eines Modells der konformen Feldtheorie vorkommen.) Während man die Yukawa-Paarung auf H2,1(W) mathematisch über die Deformationen der komplexen Struktur definieren kann, läßt sich die Yukawa-Paarung auf H1,1(W) zunächst nicht mit den Methoden der klassischen algebraischen Geometrie definieren. Die Spiegelsymmetrie war nun der Trick der Physiker, mit dem sie die mysteriöse Yukawa-Paarung auf H1,1(W) über die Deformationen der komplexen Struktur auf der Spiegelmannigfaltigkeit W’ definierten.
Es gab noch andere Gründe, an eine Dualität zwischen komplexen und symplektischen Mannigfaltigkeiten zu glauben. So wußte man aus einem relativ elementaren analytischen Lemma Mosers, dass die Deformationen symplektischer Strukturen der zweiten Kohomologie entsprechen. Andererseits entsprachen nach der Theorie von Kodaira und Spencer die Deformationen komplexer Strukturen der ersten Kohomologie mit Koeffizienten in der Garbe holomorpher Vektorfelder. Die beiden Kohomologiegruppen sind isomorph, die Modulräume könnten also übereinstimmen.
Eine wichtige Invariante von Kähler-Mannigfaltigkeiten sind die Dimensionen der Kohomologiegruppen hp,q=dim(Hq(X,Ωp)) der Garbe der holomorphen p-Formen (oder äquivalent die Dimension des Raumes der harmonischen (p,q)-Formen), die man sich in Form eines Diamanten angeordnet denkt, des “Hodge-Diamanten”.
Man hat die Symmetrien hp,q=hq,p (durch komplexe Konjugation) und hp,q=hn-p,n-q (nach Serre-Dualität). Berechnen kann man diese Hodge-Zahlen beispielsweise für vollständige Durchschnitte mit dem Satz von Hirzebruch-Riemann-Roch durch eine von Hirzebruch beschriebene erzeugende Funktion. Für die Spiegelmannigfaltigkeit soll nun der Diamant gerade der gespiegelte sein, also der hp,q-Eintrag gerade dem hn-p,q-Eintrag der ursprünglichen Mannigfaltigkeit entsprechen – deswegen der Name Spiegelsymmetrie.
Der erste Fall, für den man die Spiegelsymmetrie beweisen konnte, betraf Calabi-Yau-Hyperflächen in “torischen Varietäten” (Varietäten mit einer C*-Wirkung) in zwei 1993 und 1994 im Duke Mathematical Journal bzw. im Journal of Algebraic Geometry veröffentlichten Arbeiten “Variations of the mixed Hodge structure of affine hypersurfaces in algebraic tori” und “Dual polyhedra and mirror symmetry for Calabi-Yau hypersurfaces in toric varieties” von Viktor Batyrev. Torische Varietäten kann man durch Polytope beschreiben. Batyrev charakterisierte diejenigen Polytope, für die man als Hyperflächen der entsprechenden torischen Varietäten Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten bekommt, und er bewies, dass sich in diesem Fall Spiegelsymmetrie gerade durch die kombinatorische (polare) Dualität der assoziierten Polytope manifestiert. Damit hat man eine präzise mathematische Definition der Spiegelmannigfaltigkeit und die Yukawa-Paarungen lassen sich einfach durch Deformationen der klassischen Hodge-Strukturen berechnen. Das war die erste Klasse von Varietäten, für die dieses Problem mit mathematischen Methoden gelöst werden konnte.
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