Am gestrigen Sonntag ist im Alter von 91 Jahren Jacques Tits verstorben, einer der führenden Gruppentheoretiker des 20. Jahrhunderts und Träger des Abelpreises (2008).
Tits hatte als 20-Jähriger in Brüssel über die Frage promoviert, ob die projektiv-linearen Gruppen PGL(2,F) durch die dreifach transitive Wirkung auf der projektiven Geraden P1F charakterisiert werden. 1964 wechselte er von Brüssel nach Bonn, wo er mit Hirzebruch und später auch Klingenberg das mathematische Institut leitete. Mit Borel arbeitete er über algebraische Gruppen, insbesondere verallgemeinerte er Borels Arbeiten (in denen die wichtigsten Eigenschaften maximaler Tori und maximaler auflösbarer Untergruppen bewiesen worden waren, basierend im wesentlichen auf einem einfachen – aber von Borel selbst wegen des Unterschieds zur komplex analytischen Geometrie zunächst bezweifelten – Lemma, demzufolge eine algebraische Wirkung einer auflösbaren linearen Gruppe auf einer projektiven Varietät einen Fixpunkt haben muß) auf algebraische Gruppen über nicht algebraisch abgeschlossenen Körpern. Daraus resultierte die 96 Seiten lange Arbeit “Groupes réductives”, die Borel und Tits 1965 in den Publ. IHÉS veröffentlichten.
Als ein Analogon zu den von Élie Cartan untersuchten symmetrischen Räumen reeller oder komplexer Lie-Gruppen entwickelte er die Theorie der Gebäude, mit denen er “Gruppen vom Lie-Typ” und allgemeiner einfache algebraische Gruppen über beliebigen Körpern untersuchte, beispielsweise über den p-adischen Zahlen oder über endlichen Körpern. Insbesondere untersuchte er mit Bruhat die Gebäude zu Körpern mit einer diskreten Bewertung, wie eben den p-adischen Zahlen. Mit der Theorie der Gebäude verbunden ist die von Tits entwickelte Theorie der (B,N)-Paare. Das sind Untergruppen einer Gruppe G, die gewisse Axiome erfüllen, welche im Fall G=GL(n,C) gerade den Eigenschaften der Gruppe der oberen Dreiecksmatrizen B und der Gruppe N der Matrizen mit genau einem nichttrivialen Eintrag in jeder Spalte und Zeile entsprachen. Mit gewissen Annahmen über B und N kann man dann beweisen, dass G eine einfache Gruppe ist. Eine andere wichtige Anwendung ist die Zerlegung von G als Vereinigung der BwB über alle w aus W=N/(N∩B). Die gesamte Information über G steckt also schon in N und B. Die Gruppen B hatten seinerzeit eine wesentliche Rolle in Borels Arbeiten über lineare algebraische Gruppen gespielt und Chevalley hatte mit ihrer Hilfe (und dem von ihm bewiesenen Satz, dass B mit seinem Normalisator übereinstimmt) die ursprünglich auf Killing zurückgehende Klassifikation einfacher Lie-Gruppen auf einfache algebraische Gruppen über algebraisch abgeschlossenen Körpern verallgemeinert.
In der geometrischen Gruppentheorie ist Tits vor allem für den Beweis der Tits-Alternative bekannt, einer Vermutung von Bass und Serre: für eine endlich erzeugte Untergruppe von GL(n,K), K ein beliebiger Körper, trifft eine der beiden folgenden Alternativen zu: entweder hat die Gruppe eine auflösbare Untergruppe von endlichem Index, oder sie enthält eine freie Untergruppe. Der Beweis benutzte ein ebenfalls von Tits bewiesenes “Ping-Pong-Lemma”, wie es in geometrischen Kontexten schon fast hundert Jahre zuvor in Arbeiten von Felix Klein vorgekommen war: wenn es zu einer G-Wirkung auf X und zwei Untergruppen H1, H2 disjunkte Mengen X1, X2 gibt, so dass X2 von H1 in X1 und X1 von H2 in X2 abgebildet wird, dann ist G ein freies Produkt G=H1*H2. Das wurde dann eine oft angewandte Beweismethode und Analoga zur Tits-Alternative konnten für viele andere Klassen von Gruppen bewiesen werden. Mit der Tits-Alternative beantwortete er eine alte Frage von Neumanns im Spezialfall endlich erzeugter Untergruppen von GL(n,K): entweder sind sie mittelbar oder sie enthalten eine freie Untergruppe. (Zu von Neumanns Vermutung in ihrer allgemeinen Form wurden später Gegenbeispiele gefunden.)
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