Das sehr viel schwerere dreidimensionale Problem ist als Kepler-Vermutung bekannt. Deren Geschichte begann Ende des 16. Jahrhunderts, als der englische Seefahrer Walter Raleigh seinen mathematischen Assistenten Thomas Harriot nach einer Formel für die Anzahl der Kanonenkugeln in einem gegeben Stapel fragte. Harriot lieferte diese Formel und fragte sich dann, wie man die Anzahl der Kanonenkugeln im Laderaum eines Schiffes maximiert. Dieses Problem formulierte er in einem Brief an Johannes Kepler, der daraufhin 1611 die Broschüre “Vom sechseckigen Schnee” veröffentlichte mit der vermuteten optimalen Anordnung von Kugeln, deren Dichte ist. Das und sehr viel mehr zur Geschichte kann man nachlesen in George Szpiros 2011 in deutscher Übersetzung erschienenem Buch Die Keplersche Vermutung.
Die dreidimensionale Kepler-Vermutung wurde bekanntlich von Thomas Hales gelöst. “Was Früchteverkäufer seit Jahrhunderten wissen, hat endlich auch die Mathematik bewiesen: Platzsparender als bei den kunstvoll aufgetürmten Orangen-Pyramiden auf dem Wochenmarkt kann man Kugeln nicht aufeinanderschichten.” schrieb die ZEIT im März 1999.
Hales’ Beweis benutzte umfangreiche Computerrechnungen und die Gutachter meinten seinerzeit, sie seien (nur?) zu 99 Prozent von der Richtigkeit des Beweises überzeugt. Hales startete deshalb 2003 ein Projekt, einen formalen computerlesbaren Beweis zu erstellen, der von HOL überprüft werden kann. Dieses Projekt wurde 2014 zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht. Das Resultat war der Satz
|- import tame classification the nonlinear inequalities
the kepler conjecture,
wobei the kepler conjecture definiert ist durch
Die Erklärung dazu findet man auf der Webseite des Flyspeck Project (meine Übersetzung):
Für jede Packung V (gegeben durch die Mittelpunkte der Kugeln vom Radius 1) gibt es eine den Fehlerterm kontrollierende Konstante c, so dass für jedes die Anzahl der Kugelmittelpunkte innerhalb eines kugelförmigen Behälters vom Radius r höchstens
plus ein Fehlerterm kleinerer Ordnung ist. Für r gegen unendlich gibt das die Dichte
, was die Dichte der flächenzehtrierten kubischen Packung ist.
In höheren Dimensionen war lange nichts bekannt. Eine Arbeit von Maryna Viazovska lieferte schließlich im März 2016 die optimale Dichte in Dimension 8.
Bemerkenswerterweise hatte diese Lösung der 8-dimensionalen Version der Kepler-Vermutung einen viel kürzeren Beweis als das 3-dimensionale Problem. Viazovskas Arbeit “The sphere packing problem in dimension 8” bewies die Optimalität der durch das E8-Gitter gegebenen 8-dimensionalen Kugelpackung auf nur 22 Seiten (von denen ein Teil expositorisch ist, z.B. erhielt der Leser nebenbei noch eine Einführung in die Theorie der Modulformen). Der Beweis baute noch auf einer älteren Arbeit von Cohn und Elkies auf, die aber auch nur 25 Seiten lang war. Neben der Kürze überraschte am Beweis vor allem die Methodik: wichtigstes Werkzeug im Beweis sind Modulformen, sonst eigentlich ein unverzichtbares Werkzeug der Zahlentheorie.
Das Schlagwort E8 wird vielen aus der Physik bekannt sein, nicht zuletzt durch die Ende der Nuller Jahre diskutierte Exceptionally Simple Theory of Everything, die die größte exzeptionelle Lie-Gruppe E8 benutzte. Die Lie-Algebra dieser Lie-Gruppe wird durch ein Wurzelsystem aus 240 Wurzeln im R8 beschrieben, welches (nach Projektion in den dreidimensionalen Raum) so aussieht:
Dieses Gitter im 8-dimensionalen Raum wird durch eine einfache Formel beschrieben: . Die 8-dimensionalen Kugeln vom Radius 1 um diese Gitterpunkte liefern eine Kugelpackung der Dichte
.
Cohn und Elkies hatten in einer 2003 veröffentlichten Arbeit gezeigt, dass man mittels der Fourier-Transformation sogenannter “zulässiger Funktionen”
obere Schranken für die Dichte von Kugelpackungen beweisen kann. Die “zulässigen Funktionen” sind Funktionen, für die
mit geeigneten Konstanten C und δ gilt. Für eine beliebige solche Funktion mit
für
und
für alle y bewiesen Cohn und Elkies, dass
eine obere Schranke für die Dichte jeder n-dimensionalen Kugelpackung liefert. Für n=8 gibt das die obere Schranke
und um die Optimalit\”at des E8-Gitters zu beweisen musste dann also “nur” noch eine den Ungleichungen genügende zulässige Funktion mit
gefunden werden. Viazovskas Konstruktion einer solchen Funktion f benutzte verschiedene Modulformen, nämlich die j-Funktion und die Theta-Funktionen. Der Ausdruck für die gesuchte Funktion war dann ziemlich kompliziert, er besteht aus 8 Summanden, die jeweils Integrale von verschiedenen Kombinationen dieser Funktionen sind, der fünfte Summand sah beispielsweise so aus:
, die anderen Summanden waren ähnlich kompliziert. Mittels der Symmetrieeigenschaften und der Abschätzungen für Fourierkoeffizienten von Modulformen wurde in ihrer Arbeit letztlich bewiesen, dass die konstruierte Funktion f die gewünschten Eigenschaften hat und es also nach Cohn-Elkies keine dichteren Kugelpackungen als das E8-Gitter geben kann.
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