Die Boltzmann-Gleichung ist eine partielle Differentialgleichung der statistischen Physik. Sie ist vor allem bemerkenswert wegen ihrer durch die Entropie ausgedrückten Unumkehrbarkeit im Gegensatz zur Umkehrbarkeit der Gleichungen der klassischen Mechanik. Mit ihrer Hilfe kann man die zeitliche Ableitung der Enthalpie H berechnen – das ist die Aussage des von Boltzmann entdeckten H-Theorems, mit dem man dann die Entropie definieren kann. Für glatte Lösungen der Boltzmann-Gleichung hat man Wachstum der Entropie und damit Irreversibilität.
Der klassische, aus dem 19. Jahrhundert stammende Beweis des H-Theorems war rigoros in dem Sinne, dass er für hinreichend glatte Lösungen mathematisch korrekt ist. Aber auch am Ende des 20. Jahrhunderts waren grundlegende Fragen immer noch offen. Sind die Lösungen glatt, wenn die Startwerte hinreichend glatt sind? Wie schnell ist die Zunahme der Entropie? Oder allgemeiner, wie schnell nähern sich Lösungen dem Gleichgewicht an?

Als Landau-Dämpfung bezeichnet man die Dämpfung longitudinaler Druckwellen in Plasmen. Ein Plasma besteht aus geladenen Teilchen mit zwischen ihnen wirkenden Coulomb-Kräften. Physiker beschreiben die zeitliche Entwicklung der Verteilungsfunktion (Anzahl der Teilchen pro Volumeneinheit im Phasenraum) eines Plasmas durch eine 1938 von Anatoli Wlassow gefundene partielle Differentialgleichung. Sie ersetzt die Boltzmann-Gleichung, die bei Coulomb-Kräften zwischen weit voneinander entfernten Teilchen nicht mehr adäquat ist. Diese “Wlassow-Poisson-Gleichung” ist zeitreversibel, jedoch entdeckte der Physiker Lew Landau 1946 ein auf dieser Gleichung beruhendes irreversibles Verhalten, die Landau-Dämpfung: er löste die Gleichung durch Fourier- und Laplace-Transformationen sowie Untersuchung der Singularitäten und stellte fest, dass das elektrische Feld (die Plasmaoszillation) exponentiell mit der Zeit abfällt. Diese auf der linearisierten Wlassow-Poisson-Gleichung beruhende “lineare” Landau-Dämpfung wurde in den 60er Jahren mathematisch rigoros erklärt. Es blieb jedoch unklar, ob auch für die nichtlineare Wlassow-Poisson-Gleichung die Lösungen in der Zeit konvergieren. Numerische Simulationen legten nahe, dass für kleine Störungen des linearisierten Systems eine Konvergenz gegen eine räumlich homogene Verteilung erfolgt. Diesen Effekt nennt man nichtlineare Landau-Dämpfung.

Die Landau-Dämpfung gehört in den allgemeinen Kontext des Verständnisses von Reibung in Flüssigkeiten, Gasen und Plasmen. Obwohl die einzelnen Teilchen den Bewegungsgleichungen der Newtonschen Mechanik folgen, zeigt das gesamte Medium ein irreversibles, zeitlich nicht umkehrbares Verhalten. Räumlich lokal gemittelte Größen wie die Geschwindigkeitsverteilung streben einem Gleichgewicht entgegen. Mathematisch wirft das die Frage auf, wie aus einem zeitumkehrbaren System gewöhnlicher Differentialgleichungen ein irreversibles Verhalten für gemittelte Größen erwächst.
Für die kinetische Gastheorie hatte Boltzmann 1872 aus der nach ihm benannten Gleichung hergeleitet, dass die Entropie mit der Zeit zunimmt. Sein Beweis dieses “H-Theorems” über die Nichtzunahme der Entropie war aber nur mathematisch rigoros, wenn die Lösungen der Boltzmann-Gleichung hinreichend glatt sind. Es stellte sich damit einerseits die Frage nach Glattheit der Lösungen bei glatten Anfangsdaten und andererseits die Frage nach den Wachstumsraten der Entropie. Die erste Frage ist weitgehend offen, für die zweite Frage konnten Desvillettes und Villani in einer 2005 in Inventiones Mathematicae veröffentlichten Arbeit Konvergenz der gegen die stationäre Lösung beweisen und das Wachstum der Entropie beschreiben: sie bewiesen Abschätzungen, mit welcher Geschwindigkeit das System gegen den Gleichgewichtszustand konvergiert, d.h. wie schnell die Entropie wächst. Damit widerlegten sie Boltzmann, der auf Basis gewisser Beobachtungen vermutet hatte, dass die Anzahldichte für t\to\infty gegen eine gewisse Verteilung konvergieren kann, die aber keine stationäre Lösung der Boltzmann-Gleichung ist.

Die Boltzmann-Gleichung beschreibt Gase und Flüssigkeiten, aber nicht Plasmen. Für diese hat man die Landau-Wlassow-Gleichung, die anders als die Boltzmann-Gleichung zeitreversibel ist. Bei periodischen Daten, also auf dem 3-Torus, ist sie gegeben durch \partial_tf+v\nabla_xf+E\nabla_vf=0, f(t,x,v)\ge 0. Dabei ist f(t,x,v) zum Zeitpunkt t die Dichte geladener Teilchen mit Geschwindigkeit v am Ort x. Diese Gleichung hat unendlich viele stationäre Lösungen. O. Penrose zeigte 1960, welche stationären Lösungen stabil sind. Landau-Dämpfung (also exponentiell schnelle Konvergenz gegen ein Gleichgewicht) für die linearisierte Gleichung wurde 1965 von Saenz bewiesen. Erst 2009 (veröffentlicht 2011 in Acta Mathematica) bewiesen Villani und Mouhot, dass man Landau-Dämpfung auch für die nichtlineare Gleichung hat. Sie zeigten, dass für analytische Anfangsdaten nahe eines analytischen, linearisiert stabilen Gleichgewichts das elektrische Feld exponentiell schnell abfällt. (Die Analytizitätsbedingung ist eine notwendige Voraussetzung.)
Da die Wlassow-Poisson-Gleichung zeitumkehrbar ist, speichern die Funktionen f(t,.,.) für alle t noch Informationen über die Anfangswerte. Der exponentielle Abfall im Satz von Mouhot-Villani bezieht sich nur auf gemittelte Größen oder im schwachen Sinne. Das liegt daran, dass schwache Konvergenz nur Informationen über Niedrigfrequenzmoden erhält. Diese wird auf hohe Frequenzen übertragen, um “eine konstante Gesamtinformation aufrechtzuerhalten”. Es wird also immer mehr Information in den Hochfrequenzmoden gespeichert und bei Betrachtung nur der Niedrigfrequenzmoden verliert man Information, was zum schnellen Abfall verschiedener gemittelter Mengen führt. Dies ähnelt den Phänomenen in Turbulenzen und erfordert für mathematische Beweise ein sehr genaues Verständnis dieser Informationsübertragung. Der Satz von Mouhot-Villani war das erste rigorose Ergebnis, das einen schnellen Abfall in ein Gleichgewicht, ein zeitunumkehrbares Verhalten, in eingeschränkter kollisionsfreier zeitumkehrbarer Dynamik etablierte.

Entropie spielt auch in der Differentialgeometrie eine Rolle. Otto und Villani hatten 2000 entdeckt, dass auf Riemannschen Mannigfaltigkeiten nichtnegativer Krümmung die Entropie ein konvexes Funktional ist. Von Renesse und Sturm bewiesen 2005 auch die Umkehrung, also die Charakterisierung unterer Ricci-Krümmungsschranken durch Konvexitätseigenschaften des Entropiefunktionals.
In der Differentialgeometrie war damals, vor allem angestoßen durch Gromov und eine neue Version seines Buches über metrische Strukturen, die Untersuchung von Mannigfaltigkeiten mit einer unteren Schranke für die Ricci-Krümmung ein vielbeachtetes Thema. Das spektakulärste Resultat der 1981 erschienenen ersten Fassung von Gromovs Buch war ein Präkompaktheitssatz für Manigfaltigkeiten mit einer unteren Schranke für die Ricci-Krümmung und einer oberen Schranke für den Durchmesser gewesen. Er benutzte dabei wesentlich die Bishop-Gromov-Ungleichung, nach der eine untere Schranke für die Ricci-Krümmung Kontrolle über das Volumenwachstum gibt. Cheeger und Colding hatten dann starke Resultate für Mannigfaltigkeiten mit unterer Ricci-Krümmungsschranke bewiesen und Gromov hatte gezeigt, dass man mit einer unteren Ricci-Krümmungsschranke das isoperimetrische Profil der Mannigfaltigkeit kontrollieren kann. Der Beweis benutzte wesentlich geometrische Maßtheorie, die Minima mit vernünftigen Singularitäten liefert. Die 1999 herausgebrachte neue, wesentlich umfangreichere Fassung seines Buches schlug metrische Maßräume als den richtigen Rahmen der Geometrie vor und begründete dies mit philosophischen Gedanken über die Bedeutung der Wahrscheinlichkeit, der Molekülbewegung und der statistischen Mechanik. In der Differentialgeometrie Riemannscher Mannigfaltigkeiten war das Volumenmaß bisher immer als aus der Metrik abegeleitet angesehen worden, aber nun sollte man es als ein eigenständiges grundlegendes Objekt betrachten. Ähnlich wie er die Gromov-Hausdorff-Metrik auf der Menge aller metrischen Räume definiert hatte, betrachtete Gromov auch eine Metrik auf der Menge aller metrischen Maßräume und entsprechend einen Konvergenzbegriff. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Konvergenzbegriffen ist, dass bei metrischen Maßräumen Nullmengen vernachlässigt werden. Er definierte auch ein Spektrum metrischer Maßräume und zeigt, dass man den obervablen Durchmesser gegen den ersten Eigenwert abschätzen kann.
Entropie war seit ihrer Definition 1872 stets verwendet worden, um die die Unumkehrbarkeit einer Entwicklung, den Übergang von einem unwahrscheinlichen zu einem wahrscheinlichen Zustand auszudrücken. Ihre sich aus der Arbeit von Otto und Villani ergebende Anwendung in der Differentialgeometrie für eine synthetische Definition von Nichtnegativität der Ricci-Krümmung kam als eine Überraschung. Dieser Ansatz ließ sich verallgemeinern: statt Konkavität des Entropiefunktionals brauchte man allgemeiner Abschätzungen für seine zweite Ableitung als synthetische Definition für untere Ricci-Krümmungsschranken. Das ließ sich dann sogar verallgemeinern auf metrische Maßräume: man ersetzt die untere Schranke für die zweite Ableitung durch die Ungleichung H(\mu_t)\le (1-t)H(\mu_0)+tH(\mu_1)-K\frac{t(1-t)}{2}W_2(\mu_0,\mu_1) für alle Geodätischen bzgl. der Wasserstein-Metrik W2 im Raum der Wahrscheinlichkeitsmaße.
Otto arbeitete eigentlich in der angewandten Analysis, zum Beispiel über Mikromagnetismus, die Entmischungsprobleme in diversen Materialien und die Ausbreitung von viskosen Flüssigkeiten. Beim Mikromagnetismus handelt es sich um ein Skalenproblem, das gelöst werden muss, bevor man magnetische Nanopartikel auf dünne Filme aufträgt, um sie als Informationsträger in digitalen Medien zu verwenden. Oft kann man dafür numerische Simulationen einsetzen, aber nicht immer. Otto hatte eine Theorie für dünne magnetische Schichten erstmals rigoros hergeleitet und damit auch Verhältnisse behandelt, die sich den aktuellen Rechenkapazitäten noch entzogen.
Unter seinen zahlreichen Forschungsthemen war auch ein Thema der Operations Research, mit dem sich Leonid Kantorowitsch, der Erfinder der linearen Optimierung, schon vor dem zweiten Weltkrieg beschäftigt hatten: das Transportproblem. Klassisch geht es darum, eine endliche Menge von Gütern zwischen verschiedenen Orten so zu transportieren, dass eine Kostenfunktion minimiert wird. Dieses Problem löst man mit linearer Optimierung. Allgemeiner bezeichnet man als optimalen Transport das folgende Problem: man hat zwei Massenverteilungen, die man sich als Wahrscheinlichkeitsmaße auf einem kompakten Raum X denkt und eine Kostenfunktion c:XxX—>R. Man sucht eine meßbare Abbildung T:X—>X, für die das Integral von c(x,Tx) minimiert wird.
Die klassische Kostenfunktion ist c(x,y)=d(x,y)2. Hier waren Existenz und Eindeutigkeit der minimierenden Abbildung T zunächst in den 80er Jahren für den Rn und dann in den 90er Jahren für allgemeine Riemannsche Mannigfaltigkeiten bewiesen worden.
Man hat sogenannte Wasserstein-Metriken auf der Menge aller Wahrscheinlichkeitsmaße und durch Arbeiten von Jordan, Kinderlehrer und Otto war in den 90er Jahren dieser Abstand im Sinne einer unendlich-dimensionalen Riemannschen Geometrie auf dem Raum der Wahrscheinlichkeitsmaße interpretiert worden. Otto konnte damit die Formel für die Entropie als einen Gradientenfluß für diesen metrischen Tensor interpretieren. 2000 entdeckten Otto und Villani dann die Konkavität der Entropie bei nichtnegativer Ricci-Krümmung. Man kann dann auch die Ricci-Krümmung und das Volumenmaß durch äquivalente Begriffe ersetzen und mit dieser Heuristik konnten Otto und Villani eine große Zahl von Ungleichungen der Analysis und Geometrie einheitlich herleiten wie etwa Konzentrationsungleichungen oder W1,2-Ungleichungen für logarithmische Normalverteilungen.

Auch zahlreiche andere Resultate der Differentialgeometrie konnten so auf metrische Räume verallgemeinert werden. Die allgemeinste synthetische Definition von unteren Ricci-Krümmungsschranken für meßbare Längenräume mittels optimalem Transport und entsprechend die allgemeinsten Versionen der bewiesenen Resultate gaben Lott und Villani in einer 2009 in Annals of Mathematics veröffentlichten Arbeit. Mit ihrer allgemeinen Definition bewiesen sie die Stabilität einer unteren Ricci-Krümmungsschranke unter der Gromov-Hausdorff-Konvergenz metrischer Räume. Ähnliche Resultate erhielt unabhängig auch Sturm.

Kommentare (2)

  1. #1 wereatheist
    17. Dezember 2021

    Abschnitte der 1. Seite sind redundant.
    Sieht für mich nicht beabsichtigt aus.

  2. #2 Thilo
    17. Dezember 2021

    Redundanz ist in Texten über Mathematik immer gut. In Fachzeitschriften soll man Wiederholungen ja vermeiden, aber hier geht das schon.