Semiklassische Analysis untersucht Quantensysteme – also Operatoren P(h) – in ihrem semiklassischen Limes, wenn man h gegen Null gehen läßt, wenn also Quantenmechanik gegen klassische Mechanik konvergiert. Durch die Untersuchung dieses Grenzwerts kann man Informationen über das (nicht direkt berechenbare) Spektrum des Operators P(h) gewinnen. Quantenchaos nennt man die Untersuchung derjenigen Operatoren, für die der semiklassische Limes chaotisch (im Gegensatz zu integrabel) ist.
Ein typisches Beispiel wäre die Schrödinger-Gleichung, auf deren rechter Seite der Operator -h2Δ+V (für eine Potentialfunktion V) steht. Die Frage ist, wie das Verhalten für h gegen 0 schon von den Gesetzen der klassischen Dynamik bestimmt wird.
In der Mathematik interessiert man sich zum Stichwort Quantenchaos vor allem für den Laplace-Operator Δ=-div(grad) auf Mannigfaltigkeiten. Die Berechnung der Eigenwerte von Δ war schon lange mit der Frage nach dem “Hören der Form einer Trommel” popularisiert worden. Beim Quantenchaos geht es um “Wellen mit hohen Frequenzen”, also die Eigenfunktionen zu großen Eigenwerten, und darum ob sie auf der Mannigfaltigkeit gleichverteilt sind. Man stelle sich Schallwellen in einem Konzertsaal vor. In einem gut gestalteten Konzertsaal kann man jede Note von jedem Platz aus hören, die Schallwellen breiten sich gleichmäßig aus. Andererseits könnte es aber auch „Flüstergalerien“ geben, in denen sich der Klang auf einer kleinen Fläche konzentriert. In Abhängigkeit von der Geometrie der Mannigfaltigkeit will man die Existenz solcher Flüstergalerien ausschließen.
Wenn eine kompakte Mannigfaltigkeit negative Krümmung hat, dann ist der Fluß des semiklassischen Limes, also der geodätische Fluß der Mannigfaltigkeit, ein gleichmäßig hyperbolischer Fluß. Das ist die stärkste Form des Chaos. Dem Grenzwert für h gegen Null entspricht im Hinblick auf den Operator Δ, dass man den Eigenwert λ von Δ gegen Unendlich gehen läßt. Man möchte dann gern die räumliche Struktur der Eigenfunktionen für λ gegen Unendlich verstehen. Mathematisch heißt das: man betrachtet die Eigenfunktion ϕj (normiert auf ∥ϕj∥L2=1) zum Eigenwert λj von Δ, und dann das Wahrscheinlichkeitsmaß dμj(z)=|ϕj(z)|2dv(z), wobei dv(z) das Riemannsche Volumenmaß ist. Man will dann die schwach-*-Grenzwerte dieser Maße für λj→∞ verstehen, also bspw. ob die Maße dμj für j gegen Unendlich gegen die Gleichverteilung konvergieren (in der schwach-*-Topologie) oder ob sie etwa gegen die Gleichverteilung auf einer geodätischen Untermannigfaltigkeit konvergieren.
Unter der Annahme, dass der geodätische Fluss ergodisch ist, hatten Mitte der 80er Jahre Colin de Verdière (und unabhängig auch Zelditch und früher schon A. Shnirelman, der damals in der sowjetischen Erdölindustrie arbeitete, weil er nach der Promotion in Moskau keine Stelle bekam) Gleichverteilung der Eigenfunktionen im semiklassischen Limes (bezüglich des ergodischen Maßes) bewiesen für eine dichte Menge von ϕ’s – das nannte man Quantenergodizität. Die Beweise waren recht elementar und ließen sich auf viele Systeme anwenden.
In der Theorie dynamischer Systeme gibt es eine stärkere Version von Ergodizität, die als eindeutige Ergodizität bezeichnet wird: es soll für das dynamische System nur ein eindeutiges ergodisches Maß geben. Das bedeutet anschaulich, dass die Bahnen des dynamischen Systems gleichverteilt sind. Dagegen können ergodische Maße bspw. auch auf Untermannigfaltigkeiten (Nullmengen) konzentriert sein. Entsprechend bezeichnete man als “eindeutige Quantenergodizität” den Fall, dass die dμj tatsächlich gegen die Gleichverteilung konvergieren und es keine Ausnahme-Eigenmoden ϕj gibt, wo zum Beispiel eine starke Lokalisierung entlang geodätischer Untermannigfaltigkeiten auftritt.
Auf Basis von Berechnungen für einige arithmetisch definierte Flächen (wo die ϕj‘s Hecke-Eigenfunktionen und tatsächlich Theta-Lifts waren und sie Siegels Theorie der Thetafunktionen anwenden konnten) hatten Rudnick und Sarnak 1994 die Vermutung aufgestellt, dass das es solche Ausnahmen in negativer Krümmung nicht gibt. Für negativ gekrümmte Mannigfaltigkeiten (für die laut Anosov der geodätische Fluss ergodisch ist) sollten also die Wahrscheinlichkeitsmaße dμj gegen die Gleichverteilung konvergieren.
Rudnick und Sarnak popularisierten diese Frage auch mit dem Beispiel von Billards, wo man starke numerische Evidenz hatte.
Viele mechanische Systeme, in denen Impuls und Energie erhalten werden, lassen sich auf Billards reduzieren. Die Ergodizität von Billards, die in den 60er Jahren von Jakow Sinai mathematisch formuliert und im 2-dimensionalen bewiesen worden war, bewies in höheren Dimensionen 2009 Nándor Simányi.
Wenn man Billards als klassische dynamische Systeme betrachtet, dann sind Billards in einer Ellipse vollständig integrabel, während man bei anderen Rändern Hyperbolizität des dynamischen Systems hat und in diesen Fällen die bekannten Methoden der hyperbolischen Dynamik auch zum Studium von Billards verwenden kann. Auf solchen (bspw. stadionförmigen) Billardtischen ist die Bewegung also chaotisch, d.h. kleine Änderungen der Anfangsbedingungen können zu einer qualitativen Veränderung der weiteren Entwicklung des Systems führen.
Andererseits kann man auch auf dem Billardtisch den Laplace-Operator Δ betrachten. Ein klassisches Gesetz von Hermann Weyl, das die Asymptotik der Eigenwerte (der “Frequenzen von Wellen”) des Laplace-Operators in Abhängigkeit von der Geometrie der zugrundeliegenden Riemannschen Mannigfaltigkeit beschreibt, läßt sich auch auf Billardtische anwenden. Und nicht nur die Eigenwerte, auch die Dichten der “Hochfrequenz-Zustände” (d.h. der Eigenfunktionen zu großen Eigenwerten des Δ-Operators) hängen dann von der Form des Billardtisches ab.
Für den ellipsenförmigen Billardtisch (auf dem die Bewegung der Billardkugel integrabel ist) sind die Dichten der “Hochfrequenz-Zustände” nicht gleichmäßig verteilt.
Für den stadionförmigen Billardtisch (auf dem die Bewegung der Billardkugel chaotisch ist) sind die Dichten der “Hochfrequenz-Zustände” gleichmäßiger verteilt. Also scheint chaotische Dynamik eine gleichmäßige Verteilung der Dichten der “Hochfrequenz-Zustände” zu implizieren, für Billardtische wie für den geodätischen Fluss auf Mannigfaltigkeiten. Das wurde durch numerische Arbeiten auch hervorragend bestätigt, Beweise im mathematischen Sinne fehlten aber zunächst.
Einen Beweis zumindest in einer speziellen Situation fand Elon Lindenstrauss 2003, veröffentlicht 2006 in Annals of Mathematics. Er betrachtete arithmetische hyperbolische Flächen. Für diese hat man eine reiche arithmetische Struktur, nämlich die mit dem Laplace-Operator Δ kommutierenden Hecke-Operatoren und diese kann man auf die Maass-Wellenformen F (Eigenfunktionen von Δ, die in den Spitzen nur polynomiell wachsen) anwenden. Er bewies dann die Behauptung, dass IF(z)I2dxdy/y2 gegen die Gleichverteilung 3/π dxdy/y2 konvergiert, bis auf die Möglichkeit dass für eine Folge solcher Wellenformen ein Teil der Masse in die Spitzen entkommt. Insbesondere hatte er damit die Vermutung für geschlossene arithmetische Flächen bewiesen. Ohne die Arithmetizitätsannahme blieb die Vermutung offen.
In Lindenstrauss’ Arbeit ging es vor allem um Maßstarrheitssätze. Der geodätische Fluss einer hyperbolischen Fläche läßt sich beschreiben als Wirkung von Diagonalmatrizen auf SL(2,R)/Γ. In einer früheren Arbeit hatten Bourgain und Lindenstrauss gezeigt, dass die schwach-*-Grenzwerte der dμj dort positive Entropie bzgl. des geodätischen Flusses haben. Mit den von ihm bewiesenen Maßstarrheitssätzen für Wirkungen von Diagonalmatrizen auf (SL(2,R)xL)/Γ (für S-arithmetische Gruppen L über R, C oder Qp) folgerte Lindenstrauss daraus die Vermutung zur eindeutigen Quantenergodizität für kompakte, arithmetische, hyperbolische Flächen. (Für diese Anwendung benötigte er den Fall L=SL(2,Qp).)
Nach Marina Ratners Arbeiten, in denen Ende der 80er Jahre die invarianten Maße für von unipotenten Elementen erzeugte Wirkungen auf lokal homogenen Räumen G/Γ klassifiziert worden waren, eröffneten diese Arbeiten weitere Entwicklungen insbesondere auch für den schwierigeren Fall von Wirkungen halbeinfacher Elemente. So klassifizierten Einsiedler, Katok und Lindenstrauss in einer ebenfalls 2006 in Annals of Mathematics veröffentlichten Arbeit “Invariant measures and the set of exceptions to Littlewood’s conjecture” die invarianten Maße für die Wirkung positiver Diagonalmatrizen auf SL(n,R)/SL(n,Z), womit sie zum Beispiel eine Vermutung Littlewoods über diophantische Approximation “fast” (bis auf eine Ausnahmemenge der Hausdorff-Dimension 0) beweisen konnten.
Aufbauend auf Lindenstrauss’ Arbeit konnte Kannan Soundararajan in seiner 2010 in Annals of Mathematics veröffentlichten Arbeit “Quantum unique ergodicity for SL(2,Z)\H“ die Vermutung dann auch für die (nichtkompakte) Modulfläche H2/SL(2,Z) beweisen (zuvor mit Holowinsky für holomorphe Wellenformen und in dieser Arbeit dann im allgemeinen Fall), indem er die bei Lindenstrauss im nichtkompakten Fall übriggebliebene Möglichkeit des Entkommens von Masse ausschloß. Der Beweis beruhte auf einer Abschätzung der Hecke-Eigenwerte einer Maass-Wellenform.
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