Alexander Grothendiecks Zugang zur Mathematik war der eines Theoriebauers statt eines Problemlösers. Auch an den Weil-Vermutungen, dem seit den 40er Jahren offenen schwersten Problem der algebraischen Geometrie über einen Zusammenhang zwischen der Topologie komplexer algebraischer Varietäten und den Anzahlen von Punkten der durch dieselben Gleichungen definierten Varietäten über endlichen Körpern, interessierte ihn nicht das schwere und berühmte Problem, sondern die zu suchende dahinterliegende versteckte Struktur.
Erich Kähler hatte Anfang der 30er Jahre die Differentialgeometrie mit den Arbeiten der italienischen Schule zur algebraischen Geometrie verbinden wollen und in diesem Zusammenhang auf komplexen Mannigfaltigkeiten Riemannsche Metriken betrachtet, für die eine geschlossene 2-Form ist. Dies ist insbesondere für die Fubini-Study-Metrik auf Untermannigfaltigkeiten des CPn der Fall, also auch für glatte projektive Varietäten. Für diese Kähler-Mannigfaltigkeiten funktioniert die von Lefschetz für das Studium der Topologie algebraischer Varietäten entwickelte Maschinerie. In der Sprache der deRham-Kohomologie kann man sie so formulieren, dass für jedes k (und d die komplexe Dimension der Mannigfaltigkeit) das Cup-Produkt mit ωd-2k einen Isomorphismus Hk–>Hd-k gibt (“schwerer Satz von Lefschetz”), und man zusammen mit der Poincaré-Dualität Hk–>(Hd-k)* eine symmetrische Paarung HkxHk–>Hd=R erhält, die auf dem Kern von ωd-2k+1 positiv definit ist. Ausformuliert gibt diese positive Definitheit die sogenannten Hodge-Riemann-Relationen, die in der komplexen und algebraischen Geometrie an vielen Stellen verwendet werden. Spezieller hat man diese Strukturen dann auch auf der Dolbeault-Kohomologie Hk,k.
Kähler hatte Ende der 50er Jahre auch versucht, Zahlentheorie und Geometrie zusammenbringen, indem er Varietäten über lokalen Ringen statt nur über Körpern betrachtete. Nach dem Erscheinen von Grothendiecks Arbeiten verfolgte er dieses Programm aber nicht weiter. Die Geometrie von Kähler-Mannigfaltigkeiten wurde aber zu einem wichtigen Ideengeber für die algebraische Geometrie. Die ursprünglich von Hodge für Kähler-Mannigfaltigkeiten entwickelte Theorie harmonischer Formen ließ sich durch Hironakas Auflösung der Singularitäten auf komplexe algebraische Varietäten übertragen, was zu Delignes Theorie der gemischten Hodge-Strukturen führte. In einer anderen Richtung entwickelten Goresky und MacPherson eine sogenannte Schnittkohomologie für algebraische Varietäten (mit Singularitäten), für die man analog zur Dolbeault-Kohomologie von Kähler-Mannigfaltigkeiten ebenfalls Poincaré-Dualität, den schweren Lefschetz-Satz und die Hodge-Riemann-Relationen hat.
Grothendiecks Ansatz zum Beweis der Weil-Vermutungen war nun, dass es für algebraische Varietäten ein solches Paket aus Poincaré-Dualität, schwerem Lefschetz-Satz und Hodge-Riemann-Relationen auch auf dem Vektorraum algebraischer Zykel modulo homologischer Äquivalenz geben sollte. Das wurden die sogenannten Standardvermutungen, mit denen Grothendieck insbesondere zeigen wollte, dass seine Kategorie der reinen Motive eine halbeinfache abelsche Kategorie ist und eine universelle Kohomologietheorie für Schemata gibt. Die Weil-Vermutungen ergeben sich dann als Anwendung.
Während für Grothendiecks Standardvermutungen heute nicht viel mehr Fälle bekannt sind als 1968 (abelsche Varietäten, Fahnenvarietäten, verschiedene spezielle Beispiele), wurden die Weil-Vermutungen 1974 von Deligne bewiesen. Er benutzte statt der Standardvermutungen explizitere Methoden der Zahlentheorie wie Modulformen und neben den Methoden aus Grothendiecks Eléments de Géométrie Algébrique noch zahlreiche andere Ingredienzien wie einen von Kazhdan und Margulis bewiesenen Satz über die Monodromiegruppen von Lefschetz-Büscheln, eine Methode Rankins für Abschätzungen von Ramanujans Tau-Funktion, Arbeiten Grothendiecks über gewisse L-Funktionen, die klassische Invariantentheorie der symplektischen Gruppen, Spektralsequenzen und einen Trick, der mit Tensorpotenzen Abschätzungen beweist. Grothendieck beschwerte sich später in Récoltes et Semailles bitterlich, dass seine Arbeit von seinen Schülern nicht fortgesetzt worden sei und diese die Schwierigkeiten einfach “umgangen” hätten.
Die Standard-Vermutungen über die Existenz von “Lefschetz-Paketen” auf dem Vektorraum algebraischer Zykel (und damit die Grundlegung für Grothendiecks Theorie der Motive) blieben also offen. Stattdessen fand man solche Pakete mit Poincaré-Dualität, schwerem Lefschetz-Satz und Hodge-Riemann-Relationen aber in verschiedenen anderen mathematischen Strukturen. Zum Beispiel sind in der geometrischen Darstellungstheorie die Soergelschen Bimoduln eine zentrale Struktur. Die Soergelschen Bimoduln eines Coxeter-Systems bilden eine monoidale Kategorie, deren Grothendieck-Gruppe mit der Hecke-Algebra übereinstimmt. Elias und Williamson zeigten 2014 die Existenz eines Lefschetz-Pakets auf den Soergelschen Bimoduln und bewiesen damit eine Vermutung Soergels über die Existenz unzerlegbarer Bimoduln, deren Klassen der Kazhdan-Lusztig-Basis in der Hecke-Algebra entsprechen. Daraus folgt die Positivität der Koeffizienten der Kazhdan-Lusztig-Polynome sowie ein algebraischer Beweis der zuvor von Beilinson-Bernstein, Brylinski-Kashiwara und später Soergel mit anderen Methoden bewiesenen Kazhdan-Lusztig-Vermutung, einer Charakterformel für Darstellungen höchsten Gewichts. Man bekommt auch die Unimodalität der Strukturkonstanten der Kazhdan-Lusztig-Basis für die Hecke-Algebra.
Wenn das Coxeter-System von einer halbeinfachen Lie-Gruppe kommt, entsprechen die Soergelschen Bimoduln der äquivarianten Schnittkohomologie der zugehörigen Schubert-Varietät und das Lefschetz-Paket entspricht der klassischen Hodge-Theorie. Eine andere Situation, wo man ein Analogon zur Hodge-Theorie hat, ist die kombinatorische Schnittkohomologie von Polytopen, das ist die Schnittkohomologie der zum Polytop zugeordneten torischen Varietät. Die klassischen Dehn-Sommerville-Gleichungen für die Anzahlen d-dimensionaler Seiten des Polytops wurden hier von Stanley mittels Poincaré-Dualität interpretiert. Für diese Schnittkohomologie bewies Peter McMullen 1993 die Existenz von Lefschetz-Paketen und vereinfachte damit Stanleys Beweis der g-Vermutung für polytopale Sphären. Die g-Vermutung formuliert Bedingungen für den f-Vektor (den Vektor aus den Anzahlen d-dimensionaler Seiten eines Polytops für d=0,1,,…) für polytopale Sphären. In ihrer allgemeinen Form für simpliziale Sphären (und sogar Homologiesphären) wurde die g-Vermutung Ende 2018 von Adiprasito bewiesen, wobei er für den Beweis des schweren Lefschetz-Satzes die Hodge-Riemann-Relationen durch eine noch stärkere Bedingung (Hall-Laman-Relationen) ersetzen mußte. Eine Anwendung war der Beweis der Grünbaum-Kalai-Sarkaria-Vermutung, die für den f-Vektor eines d-dimensionalen Simplizialkomplexes die Ungleichung
behauptete.
In der Konvexgeometrie kennt man seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Brunn-Minkowski-Ungleichung für das Volumen von Minkowski-Summen und als weitreichende Verallgemeinerung die Alexandrow-Fenchel-Ungleichungen, deren Beweis von 1938 einen elementaren Fall von Hodge-Riemann-Relationen verwendet. Aus den Alexandrow-Fenchel-Ungleichungen folgt, dass die gemischten Volumina konvexer Körper eine log-konkave (und damit unimodale) Folge bilden. Stanley hatte das in den 1980er Jahren benutzt, um die Log-Konkavität von in der Kombinatorik vorkommenden Folgen zu beweisen. 2011 bewies June Huh die Log-Konkavität des chromatischen Polynoms von Graphen, indem er seine Koeffizienten als Betti-Zahlen eines Hyperbenenkomplements interpretierte, diese wiederum algebraisch als gemischte Vielfachheiten von Idealen berechnete und deren Log-Konkavität dann aus den Alexandrow-Fenchel-Ungleichungen für die gemischten Volumina zugeordneter Gitterpolytope folgerte.
Das chromatische Polynom P(k) eines Graphen an der Stelle k gibt die Anzahl der Färbungen des Graphen mit k Farben. Zum Beispiel gibt der Vierfarbensatz die Ungleichung P(4)≥1 für planare Graphen.
Planare Graphen unterscheiden sich von beliebigen Graphen dadurch, dass man zu ihnen einen dualen Graphen definieren kann: die von Kanten eingeschlossenen Flächenstücke der Ebene geben die Knoten des dualen Graphen, Kanten zwischen Flächenstücken werden Kanten des dualen Graphen.
In seiner Dissertation von 1932 war es Hassler Whitney gelungen, diese schon lange bekannte Dualität ebener Graphen rein kombinatorisch zu formulieren und daraus eine neue Charakterisierung ebener Graphen herzuleiten. Ausgehend von den dualen Begriffen Baum-Kreis arbeitete er dann in der 1935 im American Journal of Mathematics veröffentlichten Arbeit “On the abstract properties of linear dependence” die genauen Axiome für die Existenz eines kombinatorischen Duals in beliebigen Mengensystemen heraus – den Begriff des Matroids.
Ein Matroid besteht aus einer endlichen Menge E und einer Menge von Teilmengen, unabhängige Mengen genannt, mit
und den Eigenschaften: wenn
und
, dann ist
, und wenn
und
kleiner als
ist, dann gibt es ein Element
, so dass
.
Das klassische Beispiel eines Matroids sind die Spalten einer gegebenen Matrix mit dem üblichen Begriff linearer Unabhängigkeit. Jede Teilmenge linear unabhängiger Spalten ist ebenfalls linear unabhängig, und zu einer Menge aus p und einer anderen aus p+1 linear unabhängigen Spalten kann man eine Spalte aus der zweiten Menge finden, die zusammen mit den p Spalten der ersten Menge linear unabhängig ist – das ist eine Variante des Austauschlemmas von Steinitz.
Whitney bewies in seiner Arbeit elementare Eigenschaften solcher Matroide, insbesondere dass alle maximalen unabhängigen Mengen dieselbe Kardinalität haben. Weiter definierte er zu jedem Matroid M ein duales Matroid M*, dessen maximal unabhängige Mengen gerade die Komplementärmengen der maximal unabhängigen Mengen aus M sind.
Das Matroid eines Graphen besteht aus der Menge der Kanten des Graphen, wobei eine Teilmenge von Kanten als unabhängig definiert wird, wenn sie kreisfrei ist. Analog zu Kuratowskis Charakterisierung ebener Graphen kann man beweisen, dass ein Graph genau dann ein ebener Graph ist, wenn sein duales Matroid das Matroid eines Graphen ist. Zum Beispiel haben K5 und K3,3 kein kombinatorisches Dual und können deshalb nicht in die Ebene eingebettet werden.
Rota definiere 1964 ein charakteristisches Polynom von Matroiden, das im Fall von Graphen dem chromatischen Polynom entspricht. June Huhs Beweis der Log-Konkavität des chromatischen Polynoms war tatsächlich ein Beweis für über C definierte Vektormatroide (d.h. Matroide zu Spalten einer gegebenen Matrix) gewesen. Weil man Vektormatroide über einem Körper der Charakteristik 0 als Vektormatroide über C realisieren kann, folgt die Log-Konkavität auch für deren charakteristische Polynome, und weil Matroide von Graphen stets als Vektormatroide über Körpern der Charakteristik 0 realisiert werden können, erhielt Huh damit sein Resultat. In einer 2012 in Mathematische Annalen veröffentlichten Arbeit dehnten Huh und Katz dieses Resultat zunächst auf Vektormatroide über beliebigen Körpern aus. Ihr Beweis benutzte Schnittheorie auf torischen Varietäten und Hodge-Riemann-Relationen.
Eine allgemeinere Vermutung von Heron-Rota-Welsh besagte, dass das charakteristische Polynom jedes endlichen Matroids log-konkav sein sollte. Nach den Arbeiten von Huh und Katz war der naheliegende Ansatz für diese Vermutung, einen „Kohomologiering“ von Matroiden zu betrachten, in dem die Hodge-Riemann-Relationen erfüllt sein sollten. Dieser Ring war der für Vektormatroide von Concini und Procesi und für allgemeine Matroide von Feichtner und Yuzvinsky konstruierte Chow-Ring, das ist der Quotient des von den nichttrivialen, abgeschlossenen Untermengen F erzeugten Polynomrings R[xF] modulo gewisser linearer und quadratischer Relationen. Zu jeder submodularen Funktion c auf der Potenzmenge von E kann man ein Element im Chow-Ring und durch Multiplikation mit L(c) einen „Lefschetz-Operator“ auf dem Chow-Ring definieren. Weiterhin hat man eine Bilinearform P(x,y)=deg(xy), wobei der Grad festgelegt wird durch die Bedingung deg(xF1…xFd) für maximale aufsteigende Ketten nichttrivialer, abgeschlossener Untermengen. Huh und Katz erkannten, dass die Log-Konkavität des charakteristischen Polynoms aus den Hodge-Riemann-Relationen für den Chow-Ring (mit Lefschetz-Operator L und Bilinearform P) folgen würde, und (in Retrospekt) dass sie mit diesem Ansatz 2012 die Log-Konkavität für Vektormatroide über beliebigen Körpern bewiesen hatten.
Es war dann die Erkenntnis von Adiprasito, dass man für den Beweis neben den Hodge-Riemann-Relationen auch kombinatorische Versionen des schweren Lefschetz-Satzes und der Poincaré-Dualität formulieren sollte, also ein Analogon des Lefschetz-Pakets, und dass ein kombinatorischer Beweis des schweren Lefschetz-Satzes McMullens (für einfache Polytope) alle drei Eigenschaften beweisen und sich auf Matroide übertragen lassen sollte. (Mit einem ähnlichen Ansatz bewies Adiprasito dann auch die g-Vermutung.) Diesen kombinatorisch formulierten schweren Lefschetz-Satzes und die Hodge-Riemann-Relationen bewiesen Adiprasito, Huh und Katz dann mit rein kombinatorischen Methoden, ohne noch (wie in den vorherigen Arbeiten von Huh und Katz) Bezug auf zu den Matroiden assoziierte Objekte der algebraischen Geometrie zu nehmen. Sie betrachteten Ordnungsfilter von Teilmengen von E und definierten einen „Flip“, mit dem sie den trivialen Fall des leeren Filters mit induktiv größeren Filtern in Beziehung setzen konnten. Damit konnten sie die Koeffizienten des charakteristischen Polynoms als Produkte von Klassen im Chow-Ring interpretieren und so den schweren Lefschetz-Satz und die Hodge-Riemann-Relationen beweisen.
Insbesondere erhielten sie damit die Log-Konkavität des charakteristischen Polynoms beliebiger Matroide. Die Arbeit „Hodge theory for combinatorial geometries“ wurde 2018 in den Annals of Mathematics veröffentlicht.
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