Der folgende Artikel erscheint in Heft 2/2024 der Mitteilungen der DMV.

Unabhängigkeit

Wenn man zweimal würfelt, ist das Ergebnis des ersten Wurfes unabhängig vom Ergebnis des zweiten Wurfes. Die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten zahl im ersten Wurf ist P(A)=\frac{1}{6}, die Wahrscheinlichkeit einer (anderen oder derselben) konkreten Zahl im zweiten Wurf ist P(B)=\frac{1}{6}, und die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten beider Ereignisse ist P(A\cap B)=\frac{1}{36}=P(A)P(B).


Wenn man dreimal würfelt, also zufällig einen Vektor (w_1,w_2,w_3) mit Einträgen in \left\{1,\ldots,6\right\} generiert, und sich für die drei Ereignisse

A_1: w_1=w_2
A_2: w_2=w_3
A_3:w_1=w_3

interessiert, dann hat jedes dieser Ereignisse die Wahrscheinlichkeit P(A_i)=\frac{1}{6} und für die Durchschnitte gilt jeweils P(A_i\cap A_j)=\frac{1}{36}=P(A_i)P(A_j), die drei Ereignisse sind also paarweise unabhängig. Trotzdem sind sie nicht unabhängig, denn natürlich folgt A_3 aus A_1 und A_2, oder in Wahrscheinlichkeiten

P(A_1\cap A_2\cap A_3)=\frac{1}{36}\not=P(A_1)P(A_2)P(A_3).

(Das Beispiel ist aus dem Wahrscheinlichkeitstheorie-Buch von Achim Klenke.)

Ein Logo

Ich schreibe diesen Artikel am 30. April, dem Tag der Deadline für die Mitteilungen, nachdem ich am Vormittag meine Wahrscheinlichkeitstheorie-Vorlesung für den kommenden Freitag (mit dem Thema “Unabhängigkeit” und dem obigen Beispiel zum Einstieg) vorbereitet habe, und während in der Tagesschau die Berichterstattung über die Proteste bei Thyssenkrupp (wegen der fehlenden Transparenz beim Teilverkauf von Steel Europe) läuft – was mich dann auf die Idee für diesen Artikel bringt.

Das Logo von Thyssenkrupp, das man im Bericht der Tagesschau auf zahlreichen Fahnen sieht, ist naheliegenderweise zusammengesetzt aus den früheren Logos von Thyssn und Krupp, letzteres stellte den 1853 von Krupp nahtlos geschmiedeten und gewalzten Eisenbahnreifen dar und sah zuletzt so aus:

Ursprünglich eingetragen wurde es 1875 in dieser Form:

Borromäische Ringe

Im Krupp-Logo sind die drei Ringe unverschlungen, sie liegen jeweils übereinander. Als mathematisches Objekt gibt es aber auch die Borromäischen Ringe, wo zwar jeweils zwei, aber nicht alle drei Dinge unverschlungen sind.

Sie sind ein Beispiel einer Verschlingung mit drei Komponenten, also einer Einbettung der disjunkten Vereinigung dreier Kreise in die 3-Sphäre. Im {\em Knot Atlas} hat diese Verschlingung die Notation L6a4, bei Rolfsen 6_2^3. Sie sind eine hyperbolische Verschlingung, was hei\ss t, dass ihr Komplement in der 3-Sphäre eine hyperbolische 3-Mannigfaltigkeit ist. (Ihre Hyperbolizität wurde in den 70er Jahren von Robert Riley bewiesen, noch vor Thurstons Arbeiten, die letztlich zur Hyperbolizität aller Knoten mit Ausnahme der Torus- und Satellitenknoten führten.) Die Mannigfaltigkeit läßt sich einfach beschreiben als Vereinigung zweier idealer regulärer Oktaeder. Das Bild unten zeigt die Zerlegung des hyperbolischen Raumes durch diese Paare von Oktaedern, also die Fundamentalbereiche der universellen Überlagerung der Borromäischen Ringe.

Das bemerkenswerte an den Borromäischen Ringen ist, dass je zwei ihrer Komponenten unverschlungen sind. Die paarweise Verschlingungszahl ist jeweils Null und man kann je zwei Komponenten durch eine Isotopie in Standardform bringen. Trotzdem sind die Borromäischen Ringe in ihrer Gesamtheit nicht entwirrbar, es gibt keine Isotopie in die Standardform dreier unverschlungener Kreise. So ähnlich wie beim dreifachen Würfelwurf, wo je zwei der Ereignisse A_1,A_2,A_3 unabhängig waren, die drei in ihrer Gesamtheit aber nicht.

Analogien

Stefan Banach wird das Zitat zugeschrieben

A mathematician is a person who can find analogies between theorems; a better mathematician is one who can see analogies between proofs and the best mathematician can notice analogies between theories.
One can imagine that the ultimate mathematician is one who can see analogies between analogies.

(So wird er wohl bei Stanislaw Ulam zitiert, jedenfalls findet man dieses Zitat und ein ähnliches von Ulam, das auf Banach zurückgehen soll, an verschiedenen Stellen im Internet.)

Es gibt zu diesem Zitat eine Diskussion “Analogy between analogies” auf Mathoverflow (https://mathoverflow.net/questions/13832/analogies-between-analogies). Dort gibt J. D. Hamkins ein Beispiel einer Analogie zwischen Analogien

Let me give a very concrete analogy between analogies.

1:2 :: 2:4

is to

p:q :: kp:kq

as

x^2+2x+1 : 0 :: x : -1

is to

ax^2+bx+c : 0 :: x : (-b \pm\sqrt{b^2-4ac})/2a.

And this analogy is called generalization.

und H.-P. Stricker berichtet, dass ChatGPT-4 auf Eingabe dieses Beispiels so reagiert:

The analogy you’ve presented is a complex one, involving multiple layers of relationships. Here’s how you might describe it:

1. The first part of the analogy, 1:2::2:4,
is a simple proportional relationship. It represents a ratio where the second term is twice the first, and the fourth term is twice the third.

2. The second part, p:q::kp:kq, generalizes the first part, showing the same proportional relationship but with arbitrary constants p and q, and a scaling factor k.

3. The third part, x^2+2x+1:0::x:-1, introduces a quadratic equation and its solution. The equation x^2+2x+1=0 has a solution x=-1.

4. The fourth part, ax^2+bx+c:0::x:(-b\pm \sqrt{b^2-4ac})/2a, generalizes the third part, showing a general quadratic equation and its solutions using the quadratic formula.

So, the analogy is moving from a specific example to a general form, first in the context of simple ratios, and then in the context of quadratic equations. You might call this an analogy of analogies, where the structure of the analogy itself is mirrored at two different levels of abstraction.

In more formal terms, this could be described as a meta-analogy that explores the relationship between specific and general forms in both arithmetic ratios and algebraic equations.

Kurz: Eine künstliche Intelligenz ist bereits in der Lage, Analogien zwischen Analogien zu erkennen und ist damit (nach Banachs Definition) der ultimative Mathematiker.

Kommentare (15)

  1. #1 rolak
    1. Mai 2024

    ^^möge der Artikel zwischen deadline und print noch lektoriert werden…

    Er hat es verdient.

  2. #2 Nicker
    1. Mai 2024

    Der Analogie kommt im Denken eine herausragende Bedeutung zu. Man kann sogar behaupten, Der Unterschied zwischen einem Menschen und einer künstlichen Intelligenz liegt im Erkennen einer Analogie.

    Hier eine Definition :”Analogie – Beispiele: Beispiele für analoge Organe sind etwa die Grabstrukturen von Maulwurf und Maulwurfsgrille oder die Stromlinienform von Delfinen, Pinguinen und Haien.

  3. #3 Jolly
    1. Mai 2024

    @Nicker

    Der Unterschied zwischen einem Menschen und einer künstlichen Intelligenz liegt im Erkennen einer Analogie.

    Sie haben offensichtlich nicht bis zum (bitteren) Ende gelesen. Dort steht:

    Eine künstliche Intelligenz ist bereits in der Lage, Analogien zwischen Analogien zu erkennen

    Was nicht jeder Mensch kann. – Oder zielen Sie darauf ab, Maschine kann es, Mensch nicht?

  4. #4 Jolly
    1. Mai 2024

    @Nicker

    Hier eine Definition :”Analogie – Beispiele:

    Beispiele sind keine Definition. Die nennt man Beispiele, weil es sich um Beispiele handelt, auch in Abgrenzung zu Definitionen, bei denen es sich in der Regel um Definitionen handelt, nicht um Beispiele. Sie verstehen?

  5. #5 Nicker
    1. Mai 2024

    ” Eine künstliche Intelligenz ist bereits in der Lage Analogien zwischen Analogien zu erkennen”.

    Antwort: wenn da was steht, dann muss das nicht stimmen.

    Also, was ist eine Analogie. Ein Bezug von einer Sache zu einer anderen Sache. Dieser Bezug kann physikalischer Natur sein, kann sprachlicher Natur sein,
    kann gefühlsmäßiger Natur sein.
    Wenn die KI keinen Begriff bei ihrer Musterekennung hat, dann kann sie keinen Beizug herstellen.

    Was das Beispiel angeht, wir wollen doch nicht Erbsen zählen oder ?

    Begriffsbildung durch eine KI gibt es nicht.

  6. #6 Jolly
    1. Mai 2024

    Als mathematisches Objekt handelt es sich bei dem früheren Krupp-Logo um die Borromäischen Ringe.

    Bei Krupp ist nichts verschlungen:

    [Das Firmenzeichen] zeigt drei in pyramidaler Anordnung aufeinander gelegte (nicht miteinander verschlungene !) Doppelringe, die als Radreifen von Eisenbahnrädern gedeutet werden.

    Quelle

    Man kann es in der Originalzeichnung auch erkennen, das linke Rad ist ganz unten, darauf liegt das rechte, das obere ist oben!

  7. #7 Jolly
    1. Mai 2024

    @Nicker

    wenn da was steht, dann muss das nicht stimmen.

    Ich weiß, bei ihren Kommentaren gilt ja sogar verschärft: wenn da was steht, dann wird es meist nicht stimmen.

  8. #8 Nicker
    1. Mai 2024

    “dann wird es meist nicht stimmen.”
    Zumindest wurde hier die Einschränkung mit “meist ” getroffen.

    Übrigens, das Beispiel mit den Borromäischen Ringen und den 3 Würfeln finde ich sehr gut, weil die Tatsache, dass immer 2 Ringe nicht zusammenhängen beeindruckend ist.
    Und dass bei den Würfeln “die drei Ereignisse paarweise unabhängig sind.”
    Jetzt verrate uns noch, die Analogie zwischen den Würfeln und den Borromäischen Ringen, hat die eine Künstliche Intelligenz gefunden oder war da Thilo am Werke.

  9. #9 hto
    wo Geschäft der Sinn des Lebens im geistigen Stillstand ...
    2. Mai 2024

    “Ein Mathematiker ist eine Person, die Analogien zwischen Theoremen finden kann; Ein besserer Mathematiker ist jemand, der Analogien zwischen Beweisen erkennen kann, und der beste Mathematiker kann Analogien zwischen Theorien erkennen.
    Man kann sich vorstellen, dass der ultimative Mathematiker jemand ist, der Analogien zwischen Analogien erkennen kann.”

    Und doch ist die Welt, was die Analogien, Theoreme, Beweise, Theorien und Vorstellungskraft des Ultimativen betrifft, ein Ort der konfusionierten “Werteordnung” im “Tanz um den heißen Brei” der singular-wettbewerbsbedingten Symptomatik!? 😉

  10. #10 Thilo
    2. Mai 2024

    @Jolly (#6):
    Danke für den Hinweis, gerade noch rechtzeitig um es im Artikel für die Mitteilungen zu ändern. Hier im Artikel habe ich es jetzt auch korrigiert. Vielen Dank.

  11. #11 Nicker
    2. Mai 2024

    #9
    Die Mathematik hat nichts mit Wertvorstellungen zu tun, dafür ist die Ethik zuständig.
    Zur Auflockerung ein unethischer Witz:
    Ein Kannibale fährt auf einem Luxusliner mit. Der Ober bringt ihm die Speisekarte. Der Kannibale studiert sie, findet aber nichts Passendes.
    Da verlangt der Kannibale nach der Pssagierliste.

  12. #12 hto
    wo Wertvorstellungen entsprechend der wettbewerbsbedingten Symptomatik ...
    2. Mai 2024

    @Nicker: “Da verlangt der Kannibale nach der Pssagierliste.”

    Auweia, das passt zur derzeit sehr beliebten und absolut falsch BERECHNENDEN Propaganda der Überbevölkerung.

  13. #13 Nicker
    2. Mai 2024

    #12
    “Auweia, das passt zur derzeit sehr beliebten und absolut falsch BERECHNENDEN Propaganda der Überbevölkerung.”
    Du bist ein Opfer von Rassismus und Vorurteil geworden.
    Der Kannibale ist der einzige Veganer auf der Welt.

    Analog zu diesem Witz wäre jetzt ein Chinese oder Jolly gewesen, der in der Schweiz ein Nummernkonto einrichtet.

  14. #14 hto
    2. Mai 2024

    @Thilo

    Das (Foto?) der nahtlos geschmiedeten und gewalzten Eisenbahnreifen, passt faszinierend-inspirierend zum Bild der Zerlegung des hyperbolischen Raumes durch die Paare von Oktaedern. Danke 🙂

  15. #15 Bernd Nowotnick
    7. Mai 2024

    Mal einen Einwurf zu :“Ich schreibe diesen Artikel am 30. April, dem Tag der Deadline für die Mitteilungen, nachdem ich am Vormittag meine Wahrscheinlichkeitstheorie-Vorlesung für den kommenden Freitag (mit dem Thema “Unabhängigkeit” und dem obigen Beispiel zum Einstieg) vorbereitet habe, und während in der Tagesschau die Berichterstattung über die Proteste bei Thyssenkrupp (wegen der fehlenden Transparenz beim Teilverkauf von Steel Europe) läuft – was mich dann auf die Idee für diesen Artikel bringt.“
    – und zu „Borromäische Ringe“ als Beispiel einer Verschlingung mit drei Komponenten, also einer Einbettung der disjunkten Vereinigung dreier Kreise in die 3-Sphäre.:
    Es geht wohl um Gemeinsamkeiten bei Schwinger-Paaren, also Paare aus Elektronen und Positronen, den Antiteilchen der Elektronen, sowie den Beobachtern. Der Graph der Paarbildung (oder den drei Gemeinschaften) setzt sich dabei aus zwei Mengen (oder den verbundenen Gemeinschaften) zusammen, einer Sammlung von Objekten (Punkte oder Knoten) und einer Menge von Verbindungen (Kanten), die zwischen den Punkten verlaufen. Der Energie-/Informationsaustausch erfolgt über den Lorenzfaktor Ɣ bei Ea= Ɣ*mc^2. Ein Pfad besteht aus benachbarten Kanten, die eine Art Weg durch einen Graphen darstellen. Ein Graph heißt zusammenhängend, wenn es für jedes Paar von Punkten einen Pfad gibt, der sie verbindet, also man kann von jedem Punkt aus jeden anderen innerhalb des Graphs erreichen. Ein eulerscher Graph enthält einen Pfad, der alle Kanten genau einmal durchläuft und am Ende wieder zum Startpunkt der Raumzeit bzw. des Beobachters zurückkehrt.