Der folgende Artikel erscheint in Heft 2/2024 der Mitteilungen der DMV.
Unabhängigkeit
Wenn man zweimal würfelt, ist das Ergebnis des ersten Wurfes unabhängig vom Ergebnis des zweiten Wurfes. Die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten zahl im ersten Wurf ist , die Wahrscheinlichkeit einer (anderen oder derselben) konkreten Zahl im zweiten Wurf ist
, und die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten beider Ereignisse ist
.
Wenn man dreimal würfelt, also zufällig einen Vektor mit Einträgen in
generiert, und sich für die drei Ereignisse
interessiert, dann hat jedes dieser Ereignisse die Wahrscheinlichkeit und für die Durchschnitte gilt jeweils
, die drei Ereignisse sind also paarweise unabhängig. Trotzdem sind sie nicht unabhängig, denn natürlich folgt
aus
und
, oder in Wahrscheinlichkeiten
(Das Beispiel ist aus dem Wahrscheinlichkeitstheorie-Buch von Achim Klenke.)
Ein Logo
Ich schreibe diesen Artikel am 30. April, dem Tag der Deadline für die Mitteilungen, nachdem ich am Vormittag meine Wahrscheinlichkeitstheorie-Vorlesung für den kommenden Freitag (mit dem Thema “Unabhängigkeit” und dem obigen Beispiel zum Einstieg) vorbereitet habe, und während in der Tagesschau die Berichterstattung über die Proteste bei Thyssenkrupp (wegen der fehlenden Transparenz beim Teilverkauf von Steel Europe) läuft – was mich dann auf die Idee für diesen Artikel bringt.
Das Logo von Thyssenkrupp, das man im Bericht der Tagesschau auf zahlreichen Fahnen sieht, ist naheliegenderweise zusammengesetzt aus den früheren Logos von Thyssn und Krupp, letzteres stellte den 1853 von Krupp nahtlos geschmiedeten und gewalzten Eisenbahnreifen dar und sah zuletzt so aus:
Ursprünglich eingetragen wurde es 1875 in dieser Form:
Borromäische Ringe
Im Krupp-Logo sind die drei Ringe unverschlungen, sie liegen jeweils übereinander. Als mathematisches Objekt gibt es aber auch die Borromäischen Ringe, wo zwar jeweils zwei, aber nicht alle drei Dinge unverschlungen sind.
Sie sind ein Beispiel einer Verschlingung mit drei Komponenten, also einer Einbettung der disjunkten Vereinigung dreier Kreise in die 3-Sphäre. Im {\em Knot Atlas} hat diese Verschlingung die Notation , bei Rolfsen
. Sie sind eine hyperbolische Verschlingung, was hei\ss t, dass ihr Komplement in der 3-Sphäre eine hyperbolische 3-Mannigfaltigkeit ist. (Ihre Hyperbolizität wurde in den 70er Jahren von Robert Riley bewiesen, noch vor Thurstons Arbeiten, die letztlich zur Hyperbolizität aller Knoten mit Ausnahme der Torus- und Satellitenknoten führten.) Die Mannigfaltigkeit läßt sich einfach beschreiben als Vereinigung zweier idealer regulärer Oktaeder. Das Bild unten zeigt die Zerlegung des hyperbolischen Raumes durch diese Paare von Oktaedern, also die Fundamentalbereiche der universellen Überlagerung der Borromäischen Ringe.
Das bemerkenswerte an den Borromäischen Ringen ist, dass je zwei ihrer Komponenten unverschlungen sind. Die paarweise Verschlingungszahl ist jeweils Null und man kann je zwei Komponenten durch eine Isotopie in Standardform bringen. Trotzdem sind die Borromäischen Ringe in ihrer Gesamtheit nicht entwirrbar, es gibt keine Isotopie in die Standardform dreier unverschlungener Kreise. So ähnlich wie beim dreifachen Würfelwurf, wo je zwei der Ereignisse unabhängig waren, die drei in ihrer Gesamtheit aber nicht.
Analogien
Stefan Banach wird das Zitat zugeschrieben
A mathematician is a person who can find analogies between theorems; a better mathematician is one who can see analogies between proofs and the best mathematician can notice analogies between theories.
One can imagine that the ultimate mathematician is one who can see analogies between analogies.
(So wird er wohl bei Stanislaw Ulam zitiert, jedenfalls findet man dieses Zitat und ein ähnliches von Ulam, das auf Banach zurückgehen soll, an verschiedenen Stellen im Internet.)
Es gibt zu diesem Zitat eine Diskussion “Analogy between analogies” auf Mathoverflow (https://mathoverflow.net/questions/13832/analogies-between-analogies). Dort gibt J. D. Hamkins ein Beispiel einer Analogie zwischen Analogien
Let me give a very concrete analogy between analogies.
is to
as
is to
.
And this analogy is called generalization.
und H.-P. Stricker berichtet, dass ChatGPT-4 auf Eingabe dieses Beispiels so reagiert:
The analogy you’ve presented is a complex one, involving multiple layers of relationships. Here’s how you might describe it:
1. The first part of the analogy,
,
is a simple proportional relationship. It represents a ratio where the second term is twice the first, and the fourth term is twice the third.2. The second part,
, generalizes the first part, showing the same proportional relationship but with arbitrary constants
and
, and a scaling factor
.
3. The third part,
, introduces a quadratic equation and its solution. The equation
has a solution
.
4. The fourth part,
, generalizes the third part, showing a general quadratic equation and its solutions using the quadratic formula.
So, the analogy is moving from a specific example to a general form, first in the context of simple ratios, and then in the context of quadratic equations. You might call this an analogy of analogies, where the structure of the analogy itself is mirrored at two different levels of abstraction.
In more formal terms, this could be described as a meta-analogy that explores the relationship between specific and general forms in both arithmetic ratios and algebraic equations.
Kurz: Eine künstliche Intelligenz ist bereits in der Lage, Analogien zwischen Analogien zu erkennen und ist damit (nach Banachs Definition) der ultimative Mathematiker.
Kommentare (15)