Manchmal gibt es schon merkwürdige Zufälle: Erst kommt mir eine Ankündgung für einen Kongress in Hamburg auf den Tisch, der den Titel “Die Untoten” trägt (eine genauere – und durchaus ernst zu nehmende – Beschreibung des Projekts, das von der Kulturstiftung des Bundes mitgetragen wird, findet sich hier) – und dann schaue ich auf die Titelseite der heutigen New York Times und sehe, dass der dort groß aufgemachte Nachruf auf Elizabeth Taylor von Mel Gussow geschrieben wurde – der seinerseits aber schon seit fast genau sechs Jahren nicht mehr unter den Lebenden weilt (wer den Times-Links nicht folgen kann und will: Hier eine kurze Zusammenfassung auf DRWissen). Die Untoten sind tatsächlich unter uns!

Zugegeben: Ich habe erst auch gestutzt. Ein Aufreger ist sowas allemal – obwohl es vermutlich nicht das erste Mal ist. Denn nicht nur in amerikanischen Redaktionen werden Nachrufe auf Prominente Personen bereits zu deren Lebzeiten vorbereitet und dann jeweils aktualisiert. Das ist ja auch sinnvoll: Nicht nur Prominente halten sich mit ihren Sterbegewohnheiten hartnäckig nicht an Redaktionsschlusszeiten, und manchmal muss der Nachruf dann in der sprichwörtlich letzten Minute ins Blatt gehoben werden. Da hilft es, wenn man nur noch ein paar aktuelle Ergänzungen (zum Beispiel Todeszeitpunkt und Ursache) einbauen muss. Besser als ein mit heißer Nadel gestricktes Bastelstück aus Archiv-Schnipsel ist es allemal, und sowohl der zu würdigenden Person als auch dem würdigenden Medium angemessener.

Die Frage ist nur: Warum hat die New York Times dann den Namen eines vor Jahren Gestorbenen als Autorenzeile vorangestellt? Und warum hat sie die Leistung der seit mindestens sechs Jahren an diesem Stück feilenden Kollegen sowie den Hinweis auf den Tod des Hauptverfassers in einer Fußnote verborgen?

Mel Gussow, the principal writer of this article, died in 2005. William McDonald, William Grimes and Daniel E. Slotnik contributed updated reporting.

Bestimmt wird es im Laufe des Tages oder der nächsten Tage ein Statement der New York Times dazu geben (bisher habe ich keines gefunden). Und es wird mit großer Sicherheit auf die journalistische Tradition verweisen, dem Hauptverfasser eines Textes die Autorenzeile zu geben (was zumindest bei deutschen Medien nicht selbstverständlich ist – in meiner eigenen Arbeit musste ich nur all zu oft erleben, dass sich Kolleginnen und Kollegen, die einen Satz oder eine Absatz aktualisierten, prompt als Ko-Autorin oder -Autor hinzu fügten. Fremde Federn und so …) Eine löbliche und an sich durchaus ethische Grundeinstellung. Aber ist sie es wert, dass man dafür seine Leser verwirrt? Denn Gussow war einer der Star-Autoren der NY Times, und sein Tod wurde im Blatt selbst groß gewürdigt. Dem normalen Leser, der mit solchen Interna des Zeitungmachens nicht vertraut sein muss – ich behaupte mal, ebenfalls aus praktischer Erfahrung, dass er/sie denkt, was heute im Blatt steht, wurde gestern geschrieben – kann dies nur entweder wie ein schlechter Scherz oder wie ein Irrtum vorkommen.

Aus der Sicht des Blattmachers/der Blattmacherin mag das By MEL GUSSOW absolut sinnvoll und nach den Prinzipien des Blattes auch das einzig Korrekte gewesen sein. Doch bei der Zielgruppe, für die ja all dies letztlich gedacht ist, musste dies völlig falsch ankommen. Was nur zeigt, dass es extrem wichtig ist, sich gelegentlich daran zu erinnern, für wen man das alles eigentlich macht – egal, was es ist.

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