Ich liebe den technischen Fortschritt und finde ihn wunderbar (wobei “Wunder” im Sinn des 3. Clarkeschen Gesetzes zu verstehen ist: „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden”). Vom Auto bis zum Smartphone, von Staubsaugern bis zu Computern und, jawohl, dem Internet: ohne die Errungenschaften, die uns die Technik – und hinter ihr: die Wissenschaft – gebracht haben, wäre mein Alltag, und vermutlich nicht nur meiner, ziemlich mühselig. Aber ich bin auch ein Nostalgiker: Ich liebe meine alte Leica aus dem Jahr 1952, beispielsweise, obwohl an ihr absout nichts automatisch funktioniert. Oder handgefertigte, akustische Instrumente. Oder meine alte, wenn auch kaum noch brauchbare mechanische Schreibmaschine. Selbst der Mac-Laptop, auf dem ich diese Zeilen schreibe, hat schon gute acht Jahre auf der Tastatur und ist damit ein Fossil. Und darum will ich hier mal ein Plädoyer für veraltete Technik schreiben – genauer gesagt: dafür, dass wir uns dieser alten Techniken auch weiterhin erinnern. Denn manchmal ist sie der modernen Technologie sogar überlegen.
Ein Notizblock, beispielsweise, funktioniert fast immer, während mich meine diversen digitalen und sonstigen Rekorder bei Interviews schon mehrfach im Stich gelassen haben. Die beste PowerPoint-Präsentation ist nutzlos, wenn man den falschen Adapter eingepackt hat; die Kollegin mit der Flipchart hingegen konnte ihren Vortrag ohne Straucheln durchziehen. Navigationssysteme sind was Feines – vorausgesetzt, sie wurden mit den richtigen Koordinaten gefüttert; ein Stadtplan hilft einem selbst dann noch weiter, wenn er ein paar Jahre alt ist.
Dass ich gerade jetzt wieder auf solche Gedanken komme, ist natürlich kein Zufall: Die Meldung über die 120 Jahre alten Tonaufnahmen mit Otto von Bismarcks Stimme hat mich wieder an ein Gedankenspiel erinnert, mit dem ich HiFi-Freunde ab und zu ärgere: Nehmen wir mal an, ein(e) weit in der Zukunft lebende(r) ArchäologIn fände eine alte Schellackplatte, ohne weiteren Kontext oder gar eine Gebrauchsanleitung. Aus der runden Form und dem kleinen Loch im Zentrum würde sie/er wohl sehr schnell folgern können, dass dieses Objekt ein “Rotationskörper” sein soll – kurz: Es dreht sich. Dass auf jeder Seite eine Rille eingegraben ist, ließe sie/ihn vielleicht vermuten, dass dies eine Art Führungsfurche für ein Objekt sein sollte, das durch diese Scheibe angetrieben oder besser: gesteuert wurde. Aus den Dimensionen der Rille kann er/sie schließen, dass das Objekt an der Kontaktstelle eine harte Spitze haben musste. So, nun geht der praktische Versuch los: Er/sie nimmt einen spitzen Gegenstand, setzt ihn in die Rille und dreht die Scheibe – und zu seinem/ihrem Erstaunen wird er/sie Töne vernehmen! (Vorausgesetzt, dass die Menschen in jener fernen Zukunft noch einen Gehörsinn haben, versteht sich). Selbst wenn’s nur Fragmente einer Platte waren, die zusammengefügt werden mussten, würde das Szenario noch plausibel sein.
Und in der Tat: Die Vinylplatten, die ich auf meinem Retro-Plattenspieler manchmal auflege, laufen auch mit Kratzern und Dellen noch gut genug, dass ich etwas hören kann – meine CDs hingegen werden vom Spieler nicht mal mehr als solche erkannt, wenn die Registraturdatei eine Macke hat (oder, wie ich fürchte, einfach aus Altersgründen das Material an der Stelle korrodiert ist). Wer noch VHS-Bänder hat, wird bald vor dem Problem stehen, dass es keine Spieler mehr zu kaufen gibt. In einer Schublade habe ich noch ein Archiv meiner ersten Korrespondentenjahre herumliegen, aber leider auf 3 1/2-Zoll-Disketten – den letzten Computer, der das passende Laufwerk dazu hatte, musste ich vor drei Jahren ausrangieren. Und selbst wenn ich die Disketten noch irgendwo laufen lassen könnte – ob das Format WordPerfect, das ich damals benutzte, noch von irgend einer Software unterstützt wird, bezweifle ich. Meine Skripte aus meiner Studienzeit, vor etwa drei Jahrzehnten auf einer billigen Brother-Reiseschreibmaschine runtergehackt, sind noch heute einwandfrei lesbar.
Eine Zeitung aus Papier oder ein gebundenes Buch mögen den Kindle- und iPad-Generationen wie Steinzeit-Produkte erscheinen – aber sie funktionieren auch im tiefsten U-Bahntunnel, sind unabhängig von Netzspannung oder Batterieladezustand, sind ultraportabel und bis zu einem gewissen Grad sogar wasserfest. Kindles, MP3-Spieler, Smartphones – alles feine Sachen, die ich selbstverständlich auch benutze oder (im Fall des Kindle) zumindest zeitweise benutzt habe. Aber wenn wir darüber die alten Technologien vergessen, die selbst Jahrhunderte überdauern können, würden wir uns selbst ein Bein stellen. Und wenn ich diesen Text auf meiner Schreibmaschine getippt hätte, anstatt mit der verflixten MovableType-Software kämpfen zu müssen, dann hätte ich ihn nur einmal schreiben müssen – so ist er mir bei einem Browser-Aufhänger (ein acht Jahre alter Laptop und eine ziemlich bescheuerte Blogplattform kriegen das im verein ganz leicht hin) zumindest teilweise erst mal verloren gegangen …
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