Die Debatte um das Video “Innocence of Muslims”, das durch den gewaltsamen Tod des US-Botschafters Chris Stephens in Libyen (unverdiente?) Aufmerksamkeit gefunden hat, hält auch bei uns in den ScienceBlogs weiter an. Gut. Und hier wird sie primär als eine Diskussion um die Meinungsfreiheit geführt, was ebenfalls immer gut ist. Aber ein Risiko dabei ist, dass Kritiker des Videos – genauer gesagt, zumindest aus meiner Sicht, Kritiker der damit bezweckten (und erreichten) Provokation – automatisch als “Gegner der Meinungsfreiheit” etikettiert werden.
Die Kommentarstränge sind, zumindest in meinen zwei Beiträgen, sind hoffentlich gerade noch kurz genug (hier und hier), dass jeder bei Interesse dort selbst nachlesen kann. Ich werde der Versuchung widerstehen, hier einzelne Kommentare heraus zu greifen, da dies die Diskussion nur weiter “off topic” führen würde, etwa so, als ob ich bestimmte Kommentatoren hier “vorführen” und/oder angreifen wollte. Nein! Jeder Kommentar dazu war und ist willkommen>
Schau’n wir also mal, was das Grundgesetz zum Thema Meinungsfreiheit zu sagen hat:
Artikel 5 Grundgesetz
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Den Hinweis, dass laut Absatz (2) diesem Grundrecht Schranken gesetzt werden, möchte ich zwar nicht versäumen, aber darauf will ich jetzt erst mal nicht hinaus. Meine Argumentation war ja, dass dieses Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht von der Verantwortung für das Geäußerte entbindet. Damit stoße ich offenbar auf Widerstand: Ein häufig vorgebrachtes Argument ist (leicht überspitzt, aber im Kern so artikuliert), dass Kritik an dem Video gleichbedeutend mit der Forderung nach Abschaffung der Meinungsfreiheit sei. Nehmen wir einfach mal as Arbeitshypothese an, dass dies stimmt: Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schließt jegliche Verantwortung und oder Haftung (letztere im juristischen Sinn gemeint) für die Folgen dieser Meinungsäußerung aus. Logisch, sonst müsste man ja aus Angst vor Konsequenzen mit seiner Meinung hinterm Berg halten, was einer Einschränkung der Meinungsfreiheit gleich kommt.
Da ist es ganz hilfreich, dass dieser Artikel auch gleichzeitig die Pressefreiheit verankert; mit anderen Worten: Pressefreiheit und Meinungsfreiheit sind zwei Facetten des gleichen kostbaren Edelsteins. Nach der Arbeitshypothese muss also auch gelten, dass die Pressefreiheit die Medien generell von den Konsequenzen ihrer Berichterstattung befreit. Ist das so? Dürfen Medien alles schreiben, und niemand kann sie dafür belangen? Natürlich nicht. Und würden wir akzeptieren, wenn die BILD-Zeitung jeder Rüge durch den Presserat mit dem schlichten Hinweis auf Presse- und Meinungsfreiheit missachten könnte?
Okay, hier muss ich die Sache selbst ein wenig relativieren: In der Tat werden Meinungsäußerungen in den Medien – also Kommentare und Leitartikel – presserechtlich ein wenig anders bewertet als Tatsachenbehauptungen. In anderen Worten: Wenn in einem Kommentar das Verhalten einer Partei als “kriminell” bezeichnet wird, hat das einen anderen Stellenwert als wenn diese gleiche Aussage in einem nachrichtlichen Stück auftaucht. Gegen letzteres darf man eine Gegendarstellung fordern. Aber das ist für die anstehenden Fragen erst mal zweitrangig.
Aber was ist eigentlich eine “Meinung”? Ist alles, was geäußert wird, automatisch “Meinung” und damit geschützt? Wie schon der obige Hinweis auf das Gegendarstellungsrecht zeigt: nein. Verleumdung ist strafbar, und in Deutschland kennen wir sogar den Straftatbestand der Volksverhetzung:
§ 130 Volksverhetzung
(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. Schriften (§ 11 Absatz 3), die zum Hass gegen eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder ihre Menschenwürde dadurch angreifen, dass sie beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden,
a) verbreitet,
b) öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,
c) einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht oder
d) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Buchstaben a bis c zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder2. eine Darbietung des in Nummer 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste verbreitet.
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.
(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.
(5) Absatz 2 gilt auch für Schriften (§ 11 Abs. 3) des in den Absätzen 3 und 4 bezeichneten Inhalts.
(6) In den Fällen des Absatzes 2, auch in Verbindung mit Absatz 5, und in den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt § 86 Abs. 3 entsprechend.
Da ist also tatsächlich vom Schutz religiöser Gruppen die Rede, und davon, dass das “böswillige verächtlich machen” strafbewehrt sei. Bis zu fünf Jahre Haft – das ist kein Kavaliersdelikt.
Aber andererseits: Das Video wurde in den USA gemacht, und dort gelten andere Rechtsprinzipien. Der erste Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung schützt ganz generell jegliche Rede (“the freedom of speech”), und “Rede” wird juristsch sehr weit gefasst; auch pornografische Fotos und die Leugnung des Holocaust – um mal zwei Beispiele zu nennen – fallen darunter und sind geschützt. Aus US-Sicht fällt der Videoclip beziehungsweise der (angeblich existierende) Feature-Film “Innocence of Muslims” also automatisch unter die Redefreiheit. Ob er nun eine Meinung enthält (die ich bisher nicht erkennen konnte) oder nicht, ist dabei irrelevant. Das macht die Sache zumindest juristisch einfacher.
Im März 1991 flackerte (nicht nur) über die amerikanischen Fernsehschirme ein Videoclip, auf dem zu sehen war, wie sechs Polizisten auf den schwarzen Autofahrer Rodney King eindroschen; 13 Monate – und ein mit einem Freispruch für alle beteiligten Polizisten beendetes Gerichtsverfahren – später kam es zu schweren Unruhen in Los Angeles, bei denen 53 Menschen starben und Tausende verletzt wurden. Hätte man das Video also besser nicht zeigen sollen? Sind die Fernsehsender, ist der Nachbar George Holliday, der die Videoaufnahme gemacht hatte, für die Unruhen verantwortlich zu machen? Dumme Frage, natürlich nicht.
Ich war an dieser Stelle versucht, den nachrichtlichen und sozialen Nutzen des King-Videos – oder auch die (aktuell relevanteren) Aufnahmen aus dem Gefängnis Nr. 8 in Gldani (Georgien) – gegen den von “Innocence of Muslims” aufzuwiegen. Aber das kann eigentlich jeder für sich selbst entscheiden. Ich selbst würde dabei in die Waagschale werfen, dass sich die “Macher des Videos hinter Pseudonymen versteckt haben – was nur dann einen Sinn ergibt, wenn sie mit schlimmen Reaktionen gerechnet hatten, Aber vielleicht war es ja ein Video, das einfach gemacht werden musste? Dessen Notwendigkeit und Richtigkeit so offensichtlich war, dass die Macher gar nicht anders konnten als die Wahrheit über Mohammed zu verkünden … Dazu kann sich jeder gerne selbst ein Urteil bilden. Wie man hier auf Neil Gaimans Blog nachlesen kann, wurden selbst die DarstellerInnen über den Inhalt des Filmes belogen oder wenigstens im Unklaren gelassen.
Für Gewalt gibt es – außer Notwehr, vielleicht – nie eine gute Entschuldigung. Und das Recht auf Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Das will ich hier auch noch einmal festhalten. Nur eines kapier’ ich immer noch nicht ganz: Warum bestehen dann ausgerechnet die Verfechter des Grundsatzes, dass nichts die freie Meinungsäußerung einschränken darf, in ihren Kommentaren gerne darauf, dass ich die Sache – die, wie jeder nachlesen kann, eindeutig eine Meinung zur Sache ist – ganz anders hätte darstellen müssen…
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