Seltsame Attraktoren und Schmetterlingseffekte.

Letzte Woche hatten wir über ‘Modulare Knoten’ geschrieben, d.h. periodische Flußlinien des geodätischen Flusses auf (dem Tangentialraum) der Modulfläche.
Nächste Woche werden wir darüber schreiben, daß man auf der Modulfläche überraschenderweise dieselben periodischen Flußlinien bekommt wie im Lorenzattraktor – ‘Modulare Knoten’ = ‘Lorenz-Knoten’.

Heute deshalb zunächst (auch wenn das eigentlich nicht in diese Reihe gehört) kurz zur ‘Herkunft’ des Lorenz-Attraktors.

Vor Lorenz verstand man nur Lösungen von Differentialgleichungen, die zu einer von zwei Klassen gehören: entweder pendelten sie sich auf einen Fixpunkt ein (“ultimately settled down to some sort of steady state behavior”, Bild links) oder auf einen Grenzzykel (d.h. einen periodischen Orbit, Bild rechts) – d.h. der Attraktor ist ein Punkt oder eine geschlossene Kurve.


stabiles Gleichgewicht

Grenzzykel des van-der-Pol-Oszillators

Andererseits kannte man natürlich Naturphänomene wie Zyklone und Antizyklone, die sich ständig in neuen Mustern organisieren. Deren Differentialgleichungen hielt man für nicht analysierbar – die Zyklone wurden als zufällig, chaotisch oder “turbulent” angesehen und die Differentialgleichungen wurden mit statistischen Methoden (oder durch Suche nach expliziten Lösungen) untersucht.
Lorenz meinte, daß man auch solche Differentialgleichungen analysieren und einer numerischen Integration zugänglich machen könne und schrieb deshalb seine Arbeit “Deterministic nonperiodic flow”, veröffentlicht 1963 in J. Atmospheric Sciences:

Bekannt ist Lorenz heute besonders für eine spezielle, sehr einfache Gleichung mit einem komplizierten Attraktor:

Übrigens kommen in der Arbeit keine Schmetterlinge und auch keine Seemöwen vor – letztere dann aber im Schlußabsatz eines Artikels für die New York Academy of Sciences:

One meteorologist remarked that if the theory were correct, one flap of a sea gull’s wings would be enough to alter the course of the weather forever.

Jedenfalls sind ‘seltsame’ (d.h. fraktale) Attraktoren typisch für chaotische Differentialgleichungs-Systeme.

Die Wortschöpfung “seltsamer Attraktor” geht auf eine Arbeit von Ruelle und Takens aus dem Jahr 1971 zurück. Ruelle (dessen Buch “Wie Mahematiker ticken” wir gerade hier besprechen) erzählt, daß er 1971 einen bedeutenden Chemiker fragte, ‘ob er es für möglich hielte, eine chemische Reaktion ausfindig zu machen, die chaotisch von der Zeit abhängt. Er soll geantwortet haben, daß ein experimenteller Chemiker, der bei der Untersuchung einer chemischen Reaktion zu chaotischen Aufzeichnungen käme, diese Daten in der Überzeugung wegwerfen würde, das seine Experimente nicht erfolgreich waren.’

Die Bezeichnung ‘Schmetterlingseffekt’ wird gelegentlich als erfolgreichste Metapher der Wissenschaftsgeschichte bezeichnet, sie löste einen Hype aus, der vor allem in den frühen 90er Jahren teilweise absurde Formen annahm, z.B. äußerten Peitgen et al. 1992 in “Chaos” die Hoffnung “das wunderbare Schauspiel des Klimas auf unserem Planeten durch das Sinnbild seltsamer Attraktoren ebenso verstehen zu können wie die menschliche Hirntätigkeit” (na ja, hoffen darf man natürlich immer), die baden-württembergische Kultusministerin Schultz-Hector forderte damals gar, den ‘Schmetterlingseffekt’ im Mathematikunterricht zu behandeln…

Aus Geometer-Sicht der interessante Punkt: chaotische Systeme zeichnen sich dadurch aus, daß die Attraktoren nicht einfach Punkte oder Kreise sind, sondern komplizierte Fraktale – eben ‘seltsame Attraktoren’. Die fraktale Dimension des Attraktors ist ein Maß für die Chaotizität des Systems.

Daß der Lorenz-Attraktor wirklich der Attraktor der Lorenz-Gleichung ist, letzterer also wirklich so aussieht, wie es Lorenz’ Bilder und numerische Rechnungen nahelegen, wurde übrigens erst 2002 von Tucker bewiesen.

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Die Frage nach der Topologie von Knoten im Lorenz-Attraktor untersuchten zuerst Joan Birman und Robert Williams in der 1983 in Topology veröffentlichten Arbeit Knotted periodic orbits in dynamical systems I :Lorenz’s equation, dazu nächste Woche.

Quellen:
Lorenz: Deterministic nonperiodic flow
Lorenz: The predictability of hydrodynamic flow
Tucker: A rigorous ODE solver and Smale’s 14th problem
Birman-Williams: Knotted periodic orbits in dynamical systems
Ghys: Knots and Dynamics

Noch ein Video zum Schmetterlingseffekt:

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Kommentare (1)

  1. #1 Boone24BETH
    13. August 2010

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