Das Wort-Problem und algorithmische (Un)entscheidbarkeit.

Letzte Woche hatten wir ja im Zusammenhang mit Abbildungsklassengruppen von Flächen (d.h. der Gruppe der stetigen und stetig umkehrbaren Abbildungen f:S–>S einer Fläche S) die Frage nach der ‘Nützlichkeit’ von Gruppen-Präsentationen aufgeworfen.

Gruppen-Präsentationen

Eine Präsentation einer Gruppe besteht aus einer Angabe von ‘erzeugenden’ Elementen der Gruppe (d.h. jedes andere Gruppenelement entsteht durch Multiplikationen aus diesen Erzeugern) und ‘Relationen’, also Gleichungen zwischen Produkten von Erzeugern.

Ein einfaches Beispiel wäre Z2, die Gruppe der Paare ganzer Zahlen, mit 2 Erzeugern a=(1,0) und b=(0,1), und einer Relation a+b=b+a.

Auch für die Abbildungsklassengruppen von Flächen hatten wir letzte Woche Präsentationen (mit Dehn-Twists als erzeugenden Elementen) angegeben, die freilich viel komplizierter aussahen.

Wie nützlich sind solche Präsentationen? Wenn ich zwei Gruppenelemente als Produkte von Erzeugern dargestellt habe – kann ich entscheiden, ob es sich um unterschiedliche oder gleiche Elemente handelt? Im Fall von Z2 ist das offensichtlich nicht schwer – man kann aus der angegebenen Relation leicht herleiten, daß, zum Beispiel, a+a+a+b+b=a+b+a+b+a ist, und man kann auch leicht beweisen, daß zum Beispiel a+a+a+b+b und a+a+b unterschiedliche Elemente sind.

In den Abbildungsklassengruppen ist es sicher nicht so offensichtlich zu entscheiden, wann Produkte von Dehn-Twists das selbe Gruppen-Element geben.

Algorithmische Unentscheidbarkeit

Das Problem, aus einer gegebenen Gruppen-Präsentation heraus zu entscheiden, wann zwei Gruppen-Elemente gleich sind, heißt das Wort-Problem und man weiß tatsächlich schon seit langem (seit 1958), daß das Wort-Problem nicht für beliebige Gruppen algorithmisch lösbar ist.

In gewisser Weise gehört diese algorithmische Unentscheidbarkeit sicher in eine Reihe mit z.B. dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz und anderen Unbeweisbarkeitsphänomenen wie sie in Ruelle 12 diskutiert werden.

Glücklicherweise ist mit diesem Beweis der algorithmischen Unlösbarkeit des Wort-Problems für beliebige Gruppen die Geschichte aber noch nicht zu Ende.

Einzelfälle

Denn auch wenn es (bewiesenermaßen) keine solchen Algorithmen für alle Gruppen geben kann, gibt es sie im Einzelfall häufig doch.

Das erste Beispiel eines solchen Algorithmus für spezielle Gruppen hatte schon Max Dehn 1911 gefunden, nämlich für die Fundamentalgruppen von Flächen (TvF 31) – dabei benutzte er wesentlich die hyperbolische Geometrie der Flächen: geschlossene Flächen (mit Ausnahme der Sphäre und des Torus, deren Fundamentalgruppen aber leicht zu untersuchen sind) haben ja eine hyperbolische Metrik (TvF 69) und die Eigenschaften dieser ‘negativ gekrümmten’ Metrik benutzte Dehn bei der Konstruktion seines Algorithmus.

75 Jahre später wurden diese Ideen von Gromov aufgegriffen, der eine allgemeine Theorie der hyperbolischen Gruppen (‘negativ gekrümmten Gruppen’) entwickelte, für die man insbesondere das Wort-Problem algorithmisch lösen kann.

Sehr viele Gruppen sind hyperbolisch (in gewisser Weise sind fast alle Gruppen hyperbolisch) – die uns hier eigentlich interessierenden Abbildungsklassengruppen von Flächen allerdings nicht.
Ein Kriterium, mit dem man beweist, daß eine Gruppe nicht hyperbolisch ist, ist die Existenz von Untergruppen isomorph zu Z2. In den Abbildungsklassengruppen gibt es aber viele Untergruppen isomorph zu Z2: man nehme zwei disjunkte Kurven auf der Fläche, dann kommutieren die Dehn-Twists an den Kurven, die von den beiden Dehn-Twists erzeugte Untergruppe ist also isomorph zu Z2.

Es gibt aber eine noch allgemeinere Klasse von Gruppen, für die sich das Wort-Problem algorithmisch lösen läßt: die sogenannten automatischen Gruppen. Das sind, per Definition, Gruppen, die sich durch endliche Automaten beschreiben lassen, eine lesbare Einführung ist dieser Artikel von Farb.

Alle hyperbolischen Gruppen sind automatisch, es gibt aber noch mehr automatische Gruppen: insbesondere hat Lee Mosher 1995 bewiesen, daß die Abbildungsklassengruppen von Flächen automatisch sind. Man kann also doch algorithmisch entscheiden, ob verschiedene Hintereinanderausführungen von Dehn-Twists dieselbe Selbstabbildung der Fläche ergeben.


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Kommentare (1)

  1. #1 rolak
    15. Oktober 2010

    Es ist immer wieder verblüffend, wie beim Lesen über für mich völlig neue Dinge urplötzlich etwas längst Bekanntes auftaucht; sich Zusammenhänge auftuen, die nicht einmal ansatzweise erahnt waren. Sehr schön 🙂