Spät-veröffentlichtes: Thurstons Kompaktifizierung des Teichmüller-Raums.

Man will die Selbstabbildungen von Flächen mittels hyperbolischer Geometrie verstehen. Man hat also eine Fläche S mit g Henkeln und eine Selbstabbildung f:S—>S, die stetig ist, und auch eine stetige Umkehrabbildung hat. (D.h. f ist ein Homöomorphismus. Mittels einer kleinen Homotopie kann man f und f-1 sogar differenzierbar machen, o.B.d.A. kann man also annehmen, f sei ein Diffeomorphismus.)

Sei g ≥ 2. Wir wissen, daß es auf der Fläche S hyperbolische Metriken gibt. Die meisten Selbstabbildungen f:S—>S sind keine Isometrie einer hyperbolischen Metrik: wenn g eine hyperbolische Metrik ist, dann ist die mit f zurückgezogene Metrik f*g eine andere hyperbolische Metrik.
Man kann aber dese hyperbolischen Metriken, besser gesagt den Raum aller hyperbolischen Metriken benutzen, um f besser zu verstehen: man schaut sich an, wie f* auf dem Raum aller hyperbolischer Metriken (dem sogenannten Teichmüller-Raum) wirkt.

Wir hatten (u.a. in TvF 149) begründet, daß der Teichmüller-Raum der hyperbolischen Metriken 6g-6-dimensional ist.

f* ist eine (stetige) Selbstabbildung dieses 6g-6-dimensionalen Teichmüller-Raums. Es stellt sich heraus, daß man diese Abbildung besser verstehen kann, wenn man eine passende Kompaktifizierung (siehe TvF 154 für allgemeines über Kompaktifizierungen) des Teichmüller-Raums findet, auf der f* ebenfalls noch stetig ist.
Die Konstruktion einer solchen Kompaktifizierung war der wesentliche neue Beitrag in Thurstons Arbeit “The Geometry and Dynamics of Diffeomorphisms of Surfaces”.
Thurstons Arbeit zeigt, nebenbei bemerkt, den gelegentlichen Nutzen von Prokrastination: die veröffentlichte Version (von 1988) hat im Vergleich zur Erstfassung (von 1976) eine um mehrere Seiten längere Einleitung, in der eine Reihe verschiedener Anwendungen und auch inzwischen gefundene alternative Ansätze anderer Autoren erwähnt werden. Während die Bibliographie des ursprünglichen Preprints nur eine Referenz aufwies (zu einer Arbeit von Nielsen aus dem Jahr 1940) waren es 1988 dann schon 67 Referenzen.
Nikolai Ivanov referierte die Arbeit in den “Math Reviews” so:

The preprint version of this paper appeared about 1976. Now, after twelve years, it has finally been published. Let us hope that the other equally famous papers by the author will be published in the near future also. Over the years this paper has become a classic. The theory announced in it was given a fairly complete exposition in the proceedings of a seminar at Orsay (cf. work of \n A. Fathi\en, \n F. Laudenbach\en, \n V. Poénaru et al\en., in Travaux de Thurston sur les surfaces} [Astérisque, 66-67, Soc. Math. France, Paris, 1979; MR0568308 (82m:57003)]). Recently another exposition appeared [\n A. J. Casson\en and \n S. A. Bleiler\en, Automorphisms of surfaces after Nielsen and Thurston, Cambridge Univ. Press, Cambridge, 1987; MR0964685 (89k:57025)]. The latter book is especially appropriate for beginners.
I think that there is no need now to describe the contents of this paper in detail: the measured foliation concept, the classification of diffeomorphisms, the construction of a natural boundary of the Teichmüller space. All this constitutes by now the core of two-dimensional topology and is widely known, not just to the experts in the field. The ideas of this paper have been extended and applied to several important questions. Some points of this exciting development are briefly discussed in the preface added to the original preprint. This preface ends with a list of references to papers influenced by the one under review. This list is useful, but surely incomplete; several important papers are omitted. Also, some papers listed as preprints have already been published. Except for the addition of the preface and the bibliography, the original version has remained unchanged.

Wie konstruiert Thurston nun die Kompaktifizierung des Teichmüller-Raums?

Zunächst betrachtet er den Raum der gemessenen (geodätischen) Laminierungen. Laminierungen einer Fläche hatten wir in TvF 141 beschrieben, ein Beispiel ist das Bild unten. Allgemein handelt es sich um Überdeckungen einer Teilmenge der Fläche durch disjunkte (geodätische) Kurven.

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Quelle

Bei einer gemessenen Laminierung hat man zusätzlich noch ein Maß auf transversalen Kurven.
Es stellt sich nun heraus, daß der Raum der gemessenen Laminierungen 6g-6-dimensional ist.
Bzw. wenn man zwei gemessene Laminierungen μ1, μ2 identifiziert falls (für die transversalen Maße) gilt μ1=λμ2 für ein λ>0, dann bekommt man eine 6g-7-dimensionale Sphäre, die man mit PML(S) bezeichnet.
Zumindest von den Dimensionen paßt es also zusammen: einen 6g-6-dimensionalen Raum kann man durch eine 6g-7-dimensionale Sphäre vervollständigen, so daß das Ergebnis eine 6g-6-dimensionale (kompakte) Kugel ist.
Aber man will natürlich, daß f* auch auf dieser Vereinigeung noch stetig wirkt (z.B. um später den Brouwerschen Fixpunktsatz anweden zu können) und dafür sollte man diese Vereinigung auf eine ‘natürliche’ Weise konstruieren.

Diese ‘natürliche’ Konstruktion in Thurstons Arbeit besteht darin, beide Räume als Teilmengen eines bestimmten (unendlich-dimensionalen) projektiven Raumes aufzufassen.

Letzte Woche hatten wir n-dimensionale projektive Räume beschrieben: Die bekam man, in dem man auf einer n-dimensionalen Sphäre jeweils gegenüberliegende (“antipodale”) Punkte identifiziert. Oder äquivalent: indem man auf Rn+1 – {0} jeweils Punkte x,y identifiziert, für die y=λx mit &lambda aus R ist. (Würde man Punkte x,y nur dann identifizieren, wenn y=λx mit &lambda>0, dann bekäme man die n-dimensionale Sphäre.)

Thurston betrachtet nun einen unendlich-dimensionalen projektiven Raum:
Sei K die (unendliche) Menge aller geschlossenen Kurven auf der Fläche S (wobei wir homotope Kurven als gleich ansehen). Dann betrachte man den von dieser Menge K erzeugten reellen Vektorraum RK (d.h. ein Punkt im Vektorraum ist ein Tupel, wo jeder Kurve k eine reelle Zahl zugeordnet wird). Und dann identifiziert man Vektoren, die durch Multiplikation mit einem λ aus R einander entsprechen, man bekommt einen unendlich-dimensionalen projektiven Raum.

In diesen unendlich-dimensionalen projektiven Raum bettet Thurston nun sowohl den Teichmüller-Raum als auch PML(S) ein:
– jeden Punkt im Teichmüller-Raum, also jede hyperbolischen Metrik g auf S, bildet er auf das Tupel in RK ab, dessen Eintrag bei der Kurve k die Länge lg(k) dieser Kurve in der hyperbolischen Metrik g ist.
Die Abbildung g —> lg(k) ist injektiv, denn durch die Längen aller Kurven ist die hyperbolische Metrik eindeutig bestimmt.
– für gemessene Laminierungen μ1 definiert er eine Schnittzahl mit Kurven k, die die übliche Schnittzahl zweier Kurven auf naheliegende Weise verallgemeinert (d.h. wenn die Laminierung nur aus einer Kurve besteht, bekommt man die übliche Schnittzahl).
Jede gemessene Laminierung μ wird dann auf das Tupel in RK abgebildet, dessen Eintrag bei der Kurve k die Schnittzahl von μ mit k ist.
Und auch diese Abbildung ist injektiv und beide Abbildungen bleiben injektiv, wenn man mit der Projektion von RK – {0} auf den projektiven Raum verknüpft.

Theorem 3 aus Thurstons Arbeit besagt dann, daß die Vereinigung aus dem (Bild des) Teichmüller-Raums und dem (Bild von) PML(S) in diesem unendlich-dimensionalen projektiven Raum gerade die Kompaktifizierung des (Bildes des) Teichmüller-Raums in diesem projektiven Raum ist.

Angewandt wird diese Kompaktifizierung des Teichmüller-Raums bei der Klassifikation der Selbstabbildungen von Flächen, dazu nächste Woche.


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