“die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist” (Rilke)
Die Klassifikation der Selbstabbildungen von Flächen – Thurstons Beweis.

In TvF 140 hatten wir begonnen, uns mit der Klassifikation der Selbstabbildungen von Flächen zu beschäftigen. In TvF 146 hatten wir diese Klassifikation für den Sonderfall des Torus besprochen. Es gab periodische Abbildungen, reduzible Abbildungen und schließlich noch den (häufigsten und chaotischsten) dritten Fall der sogenannten Pseudo-Anosov-Abbildungen. Thurstons Beweis der Klassifikation (im allgemeinen Fall) benutzt verschiedene Hilfsmittel aus den letzten Folgen und er geht i.W. wie folgt.

Sei Sg die (geschlossene, orientierbare) Fläche mit g Henkeln, g ≥ 2.

Kompaktifizierung des Teichmüllerraums

Wir hatten in TvF 149 gesehen, daß der Teichmüllerraum Tg der Fläche Sg, d.h. der Raum aller hyperbolischen Metriken, 6g-6-dimensional ist.

Jede Selbstabbildung f : Sg —> Sg gibt eine stetige Selbstabbildung des Teichmüllerraums f*: Tg —> Tg: für eine hyperbolische Metrik m ist die ‘mit f zurückgezogene’ Metrik f*m ebenfalls hyperbolisch.
Den Teichmüller-Raum kann man kompaktifizieren (TvF 156) und wenn sich f* zu einer stetigen Abbildung dieser Kompaktifizierung fortsetzen läßt (was natürlich zu beweisen ist), dann gibt es nach dem Brouwerschen Fixpunktsatz einen Fixpunkt und man kann sich anschauen, was dieser Fixpunkt über f aussagt.

In TvF 146 hatten wir die analoge Konstruktion für den Torus (g=1) und den Modulraum der flachen Metriken auf dem Torus gemacht. In diesem Fall war der Modulraum gerade die hyperbolische Ebene und die Kompaktifizierung erhielt man durch Hinzunehmen von P1R, dem ‘Kreis im Unendlichen’.

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Quelle

Die Kompaktifizierung des Teichmüller-Raums Tg der Fläche Sg (mit g ≥ 2) nach Thurston hatten wir letzte Woche besprochen. In diesem Fall mußte man PML(Sg), den Raum der (projektiven) gemessenen Laminierungen hinzunehmen.

Stetigkeit

Warum ist es hilfreich, sich die Kompaktifizierung des Teichmüller-Raums gerade so zu veranschaulichen, daß man Punkte aus PML(Sg) hinzunimmt?

Wenn f:Sg—>Sg ein Diffeomorphismus ist, dann induziert es eine Abbildung f*:PML(Sg)—>PML(Sg) – jede Laminierung wird durch f auf eine andere Laminierung abgebildet.

Wunderbarerweise passen f*: Tg —> Tg und f*:PML(Sg)—>PML(Sg) zusammen – sie geben zusammen eine stetige Abbildung.

(Letzte Woche hatten wir gesehen, daß man Tg und PML(Sg) beide in einen unendlich-dimensionalen projektiven Raum einbetten kann und daß die Vereinigung der beiden Bilder eine Kompaktifizierung
des Teichmüllerraums Tg gibt. Mittels der expliziten Beschreibung der beiden Einbettungen kann man beweisen, daß f* und f* zusammen eine stetige Abbildung geben.)

Die Kompaktifizierung ist eine abgeschlossene 6g-6-dimensionale Kugel.

Nach dem Brouwerschen Fixpunktsatz (TvF 32, TvF 33 ff.) muß jede stetige Abbildung einer abgeschlossenen Kugel (mindestens) einen Fixpunkt haben – dieser Fixpunkt kann im Inneren oder auf dem Rand liegen.

Was haben wir also? Zu unserer Abbildung f:Sg –> Sg haben wir eine stetige Abbildung f* des kompaktifizierten Teichmüllerraums und diese muß einen Fixpunkt haben – entweder im Teichmüllerraum selbst (d.h. es gibt eine hyperbolische Metrik m mit f*m=m), oder im Rand PML(Sg) (d.h. es gibt eine Laminierung, die von der Abbildung f auf sich selbst abgebildet wird).

Fixpunkte im Inneren

1.Fall: es gibt einen Fixpunkt im ‘Inneren’, also im Teichmüllerraum der hyperbolischen Metriken. Nach einem Satz von Hurwitz weiß man aber, daß eine hyperbolische Fläche (mit g Henkeln) höchstens 84(g-1) Isometrien haben kann. Insnesondere ist die Isometriegruppe endlich. Eine Abbildung, die eine hyperbolische Metrik auf sich abbildet (d.h. eine Isometrie dieser Metrik ist), muß also immer periodisch sein, sogar mit Periode höchstens 84(g-1).
in diesem 1.Fall bekommen wir also nur periodische Abbildungen.

Fixpunkte auf dem Rand

2.Fall: es gibt (mindestens) einen Fixpunkt auf dem Rand PML(Sg), also eine Laminierung, die von der linearen Abbildung f erhalten wird – und ein transversales Maß, dessen projektive Klasse erhalten wird, vgl. TvF 143. (Das Maß selbst wird also evtl. mit einer positiven Zahl λ multipliziert. Die Zahl λ sollte man sich als dehnungsfaktor vorstellen, um den f jeweils den Abstand zwischen Blättern vergrößert.)

Falls die Laminierung “rational” ist, kann man zeigen, daß f reduzibel sein muß. Falls die Laminierung nicht rational, aber λ=1 ist, kann man zeigen, daß f periodisch ist.

Der häufigtse Fall ist aber, daß die Laminierung nicht rational und λ nicht 1 ist. Dieser Fall ist der interessanteste und schwierigste und in diesem Fall hat Thurston bewiesen, daß es eine “stabile Laminierung” und eine andere “instabile Laminierung” gibt, so daß die Abbildung f jeweils Blätter auf Blätter abbildet und so, daß Abstände auf den Blättern der instabilen Laminierung um einen Faktor λ>1 vergrößert werden, während Abstände auf den Blättern der instabilen Laminierung um den Faktor 1/λ<1 verringert werden. Das sieht dann also so ähnlich aus wie bei der bekannten Katzenabbildung des Torus (TvF 143), wo die Katze in eine Richtung gedehnt und in eine andere Richtung gestaucht wird.
< Diese Abbildungen heißen Pseudo-Anosov (als Verallgemeinerung der oben abgebildeten Anosov-Abbildung des Torus) und ihre stabilen/instabilen Laminierungen sind ein sehr nützliches Hilfsmittel.

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Quelle

Man kann die stabilen/instabilen Laminierungen mit dem Computer berechnen: man starte mit einer beliebigen geschlossenen Kurve C, dann werden die Bildkurven f(C), f(f(C)), f(f(f(C))), f(f(f(f(C)))), … immer komplizierter wie im Bild oben und konvergieren letztlich gegen die stabile Laminierung. Entsprechend für f-1(C), f-1(f-1(C)), f-1(f-1(f-1(C))), f-1(f-1(f-1(f-1(C)))), … , diese konvergieren gegen die instabile Laminierung.

< Farb-Margalit, S.450

Fußnote: Dieser Artikel enthält ein umfangreiches Selbstplagiat.


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