Beweis des Brouwerschen Fixpunktsatzes in zwei Zeilen.


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Wir hatten letztes mal erwähnt, daß Homologie vor allem deshalb nützlich ist, weil sie ein Funktor ist: nicht nur hat man zu jedem Raum seine Homologiegruppen, man hat auch zu jeder stetigen Abbildung f:X—>Y einen Homomorphismus zwischen den entsprechenden Homologiegruppen.


“Geometry and Topology”

Eine Anwendung, die wir vor 2 Wochen diskutiert hatten, war der Jordansche Kurvensatz. Eine andere Anwendung auf ein leicht zu formulierendes Problem ist der Brouwersche Fixpunktsatz, den wir in dieser Reihe früher schon ausführlich behandelt hatten.

Brouwerscher Fixpunktsatz: “You are here”

In TvF 32 hatten wir mal über das Stadtplanproblem (“You are here”) geschrieben:

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“You are here” ist ein Projekt zweier Stockholmer Künstler. Sie zeichnen einen Stadtplan Stockholms auf den Fußboden und bringen dann einen roten Punkt “You are here” an derjenigen Stelle an, wo der Standpunkt dem Punkt im Stadtplan entspricht.

Es stellt sich natürlich die Frage, ob es wirklich einen Punkt geben muß, dessen Lage auf dem Stadtplan punktgenau mit seiner Lage in der Wirklichkeit übereinstimmt.

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Mathematisch formuliert sich diese Frage so:
– man hat ein Gebiet D (hier die Stadt Stockholm),
– jeder Punkt dieses Gebiets entspricht einem Punkt auf der Karte, und
– jeder Punkt der Karte entspricht wieder einem Punkt im Gebiet D (dadurch daß man die Karte innerhalb der Stadt Stockholm auf den Boden gezeichnet hat).

Für jeden Punkt x im Gebiet D nennen wir f(x) denjenigen Punkt (ebenfalls in D) der das Bild dieses Punktes in der auf den Boden gezeichneten Karte ist.

Man hat also eine Abbildung f:D–>D und sucht einen Punkt x mit f(x)=x.

Die Lösung dieses Problems liefert der

Brouwerscher Fixpunktsatz: Jede stetige Abbildung f:Dn—->Dn hat (mindestens) einen Fixpunkt.

Der Satz hatte noch allerlei andere Anwendungen, z.B. Preisgleichgewichte (TvF 34) oder Elite-Universitäten (TvF 42).

In TvF 36 hatten wir einen konstruktiven kombinatorischen Beweis des Brouwerschen Fixpunksatzes skizziert und in TvF 33 hatten wir den Satz mit Hilfe der Fundamentalgruppe bewiesen – dieser Beweis funktionierte allerdings nur für n=2.

Beweisidee

Die Grundidee des Beweises für n=2 war wie folgt:

Angenommen, f:D2—>D2 habe keinen Fixpunkt.
Für jedes x sind also f(x) und x zwei verschiedene Punkte.
Damit hat man dann wie im Bild eine eindeutige Gerade durch x und f(x)

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und kann sich ihre Schnittpunkte mit dem Einheitskreis S1 ansehen. Denjenigen Schnittpunkt, der auf der Seite von x liegt, nennen wir F(x).
Für jeden Punkt x in der Kreisscheibe bekommen wir also einen Punkt F(x) auf dem Einheitskreis (dem Rand der Kreisscheibe).
Damit haben wir eine Abbildung der Kreisscheibe auf den Einheitskreis F:D2 –> S1 konstruiert.
Für Punkte x, die schon auf dem Einheitskreis liegen, gilt nach Konstruktion natürlich F(x)=x.

Den Widerspruch zur Annahme (daß f keine Fixpunkte hat) erhielt man dann, in dem man mit Hilfe der Fundamentalgruppe zeigte, daß es keine stetige Abbildung F:D2 –> S1, mit F(x)=x für alle x auf dem Einheitskreis, geben kann.

Wenn man sich die Beweisidee oben anschaut, stellt man fest, daß dieselbe Idee zunächst auch in höheren Dimensionen funktioniert. D.h. wenn man im obigen Ansatz jeweils D2 durch Dn und S1 durch Sn-1 ersetzt, erhält man daß der (n-dimensionale) Brouwersche Fixpunktsatz äquivalent ist zu folgender Aussage:

Es gibt keine stetige Abbildung F:Dn –> Sn-1, so dass F(x)=x für alle x aus Sn-1.

Funktorieller Beweis

Diese Aussage läßt sich jetzt leicht beweisen, einfach indem man benutzt, daß Homologie ein Funktor ist.

Zunächst, bezeichnen wir mit I:Sn-1 –> Dn die Abbildung I(x)=x (die “Inklusion” des Randes in die Kreisscheibe), dann bedeutet die zweite Hälfte der obigen Aussage gerade F(I(x))=x für alle x, also

FI=id,

wobei id:Dn—>Dn die Identität bezeichnet, also id(x)=x.

Warum kann es solche Abbildungen F und I mit FI=id nicht geben? Der Beweis in 2 Zeilen:

Die Homologie der Kreisscheibe ist 0. Deshalb müssen beide Abbildungen konstant 0 sein, die Verknüpfung kann also nicht die Identitätsabbildung sein. Das liefert den gewünschten Widerspruch, weshalb es eine solche Abbildung F:Dn–>Sn-1 nicht geben kann (und beweist damit den Brouwerschen Fixpunktsatz).

(Bemerkenswert vielleicht auch, daß man die algebraische Topologie hier zwar wieder mal benutzt hat, um zu zeigen, daß es eine stetige Abbildung mit bestimmten Eigenschaften nicht geben kann, daß man damit aber letztlich ein positives Ergebnis bekommt, nämlich die Existenz eines Fixpunkts, also die Lösung des Stadtplanproblems.)


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Kommentare (2)

  1. #1 Michael
    25. Juni 2011

    Ich find die neue Richtung die du mit der Topologie Serie gehst richtig gut!

  2. #2 David
    28. Juni 2011

    Danke für diesen und die anderen tollen Artikel in diesem netten Blog.

    Ich hatte Dich vor vielen Jahren als Tutor in Analysis I in Tübingen, auch wenn ich Mathe nicht weiter gemacht habe, eine schöne Zeit!

    Gruss,

    David