Algebra is the offer made by the devil to the mathematician. The devil says: `I will give you this powerful machine, it will answer any question you like. All you need to do is give me your soul: give up geometry and you will have this marvellous machine.’ (Atiyah)
Jordanscher Kurvensatz: jede geschlossene Kurve zerlegt die Ebene in zwei Gebiete
Letzte Woche hatten wir gesehen, wie man den Jordanschen Kurvensatz leicht beweisen kann, wenn man einmal die Maschinerie der Homologiegruppen kennt.
Wie man die Homologiegruppen eines Raumes X definiert, hatten wir vor 2 Wochen beschrieben.
Man beginnt (diese Idee geht auf Poincaré zurück) mit ‘Ketten’, das sind formale Summen von ‘singulären Simplizes’ (d.h. von stetigen Abbildungen des Standard-n-Simplex in den Raum X). Es gibt dann Zykel (Ketten ohne Rand) und Ränder – letztere bilden eine Untergruppe Bn der Zykel Zn. Die Homologie ist die Quotientengruppe Hn(X)=Zn/Bn.
Anstatt, wie es heute getan wird, mit der Gruppe Hn(X)=Zn/Bn zu arbeiten, benutzte man nach Poincaré (und noch mindestens bis in die 20er Jahre) die Elementarteilertheorie, um aus den die Untergruppe Bn in Zn definierenden Gleichungen gewisse Zahlen (als Invarianten des Raumes X) zu gewinnen – die sogenannten Betti-Zahlen und die Torsions-Zahlen.
Man hatte also noch nicht die algebraische Maschine, sondern arbeitete direkt mit den geometrisch definierten Zykeln, und mit den Betti- und Torsions-Zahlen.
Ein paar historische Anmerkungen über die Anfänge der Homologietheorie, wie man sie in Band 6 von Poincaré’s gesammelten Werken findet:
Poincaré arbeitete in “Analysis Situs” (veröffentlicht 1895 in CRAS) nicht mit Ketten von Simplizes, sondern mit Ketten von Untermannigfaltigkeiten. In seiner nächsten Arbeit, 1899 in Rend.Palermo, ging es dann aber schon um Simplizialkomplexe und deren simpliziale Homologie. In diesem Zusammenhang fragte er dann auch, ob sich jede Mannigfaltigkeit triangulieren läßt. (Er diskutierte aber nicht, ob verschiedene Triangulierungen einer Mannigfaltigkeit kombinatorisch äquivalent sein müssen – das ist die später von Steinitz und Tietze formulierte sogenannte Hauptvermutung, von der man inzwischen weiß, daß sie nicht zutrifft – allerdings ist die Homologie trotzdem unabhängig von der gewählten Triangulierung.)
Überhaupt scheint es damals bei Definitionen noch einiges Hin und Her gegeben zu haben. So hatte Poincaré in seiner ersten Arbeit den Poincaré-Dualitätssatz (für n-dimensionale geschlossene, orientierbare Mannigfaltigkeiten stimmen die k-te und die (n-k)-te Betti-Zahl überein, für jedes k) bewiesen. Nachdem Poul Heegard dann Widerlegungen zu diesem Beweis veröffentlichte, stellte Poincaré in einem kurzen CRAS-Artikel klar, daß seine Definition von Betti-Zahlen mit Bettis ursprünglicher Definition nicht identisch ist und daß Poincaré-Dualität nur mit seiner Definition gilt. (In Bettis ursprünglicher Definition waren Ränder immer von der Form z1+…+zk, wobei die z1,…,zk paarweise verschieden zu sein hatten. D.h. es gab in Bettis Definition keine ganzzahligen Koeffizienten.)
Betti hatte die (von Poincaré später so genannten) Betti-Zahlen 1871 definiert, sie waren dann von Picard in seinen Arbeiten über komplexe algebraische Flächen verwendet worden.
Etwas kurios wirkt auch, daß die von Betti und Poincaré definierten Betti-Zahlen per Definition um 1 größer waren als nach der später üblich gewordenen Definition. D.h. sie definierten die m-te Betti-Zahl als die größte Zahl Pm, so daß es (modulo Rändern) Pm-1 linear unabhängige Zykel gibt. In heutiger Notation also bm=Pm-1.
Die Erkenntnis, daß man statt mit diesen Zahlen besser direkt mit den Gruppen arbeiten sollte, geht auf Emmy Noether zurück. Die einzige schriftliche Quelle dazu ist wohl ihre Notiz “Ableitung der Elementarteilertheorie aus der Gruppentheorie” von 1925 (siehe
, untere Hälfte), wo es zum Schluß heißt:
Der Gruppensatz erweist sich so als der einfachere Satz; in den Anwendungen des Gruppensatzes – z.B. Bettische und Torsionszahlen in der Topologie – ist somit ein Zurückgehen auf die Elementarteilertheorie nicht erforderlich.
(Mit “Gruppensatz” ist die Klassifikation der endlich erzeugten abelschen Gruppen gemeint.)
Man weiß natürlich nicht, inwieweit Emmy Noether tatsächlich vorhergesehen hat, daß man mit Gruppen sehr viel effektiver topologische Sätze beweisen kann als mit Zahlen.
Was ist der Vorteil der algebraischen Maschine? Der Punkt ist, daß man zu jeder stetigen Abbildung zwischen topologischen Räumen einen Homomorphismus zwischen ihren Homologiegruppen bekommt. (In der Sprache der Kategorientheorie: Homologie ist ein Funktor von der Kategorie der topologischen Räume und stetigen Abbildungen in die Kategorie der abelschen Gruppen und Gruppen-Homomorphismen.)
Zum Beispiel letzte Woche im Beweis des Jordanschen Kurvensatzes hatten wir benutzt, daß die Inklusion einer Kurve K in die Ebene R2 einen Homomorphismus zwischen den Homologiegruppen gibt (und daß diese Homomorphismen in eine lange exakte Sequenz paßt) um die 0-te Bettizahl, und damit die Anzahl der Zusammenhangskomponenten, von R2-K zu berechnen. Es wäre sicherlich schwierig (mindestens beim formalen Aufschreiben) diesen Beweis nur mit dem Begriff der Betti-Zahlen, ohne die Homologiegruppen und die Homomorphismen zwischen ihnen, zu führen.
Umgekehrt kann es aber natürlich auch oft hilfreich sein, sich die eigentliche Definition von Homologiegruppen durch Zykel zunutze zu machen. Einen Überblick über geometrische Interpretationen der Ergebnisse der algebraischen Topologie gibt der von Gromov letztes Jahr veröffentlichte Preprint Manifolds: Where do we come from? What are we? Where are we going?, der zwar im 1. Kapitel etwas polemisch beginnt:
For more than half a century, starting from Poincaré, topologists have been laboriously stripping their beloved science of its geometric garments.
“Naked topology”, reinforced by homological algebra, reached its to-day breathtakingly high plateau with the following Serre [Sn+N–>SN]-Finiteness Theorem. (1951)
[…]
The proof by Serre (a geometer’s nightmare) consists in tracking a multitude of linear-algebraic relations between the homology and homotopy groups of in finite dimensional spaces of maps between spheres and it tells you next to nothing about the geometry of these maps. (See [Podkorytov] for a “semi-geometric” proof of the fi niteness of the stable homotopy groups of spheres and section 5 of this article for a related discussion. Also, the construction in [Gaifullin] may be relevant.)
aber im 4. Kapitel dann eine geometrischere Definition von Homologiegruppen gibt, mit der man zum Beispiel das Schnittprodukt und den Thom-Isomorphismus besser verstehen kann.
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