Homologiegruppen und die Klassifikation der Flächen

Wir hatten letzte Woche über den Beweis der Klassifikation der Flächen geschrieben, also daß jede (zusammenhängende, geschlossene, orientierbare) Fläche eine zusammenhängende Summe von Tori (oder eine Sphäre) ist. Die Kaffeetasse, zum Beispiel, ist homööomorph zum Torus, wie wir in TvF 9 schon mal geschrieben hatten:

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Da wir ja in den letzten Wochen über verschiedene Anwendungen der Homologiegruppen in der Flächen-Topologie geschrieben hatten, paßt es hier zu erwähnen, daß es auch noch einen Beweis der Klassifikation der Flächen mittels Homologietheorie gibt. Der ist zwar nicht wirklich einfacher als der von letzter Woche, aber vielleicht trotzdem interessant.
(Den Beweis habe ich einem Vorlesungsskript von Jacob Lurie entnommen.)

In TvF 175 hatten wir über die Euler-Charakteristik X(S) einer Fläche S geschrieben. Die Euler-Charakteristik berechnet man mit Hilfe der Homologiegruppen durch die Formel
X(S)=dim H0(S)-dim H1(S)+dim H2(S).
Für zusammenhängende, geschlossene orientierbare Flächen ist dim H0(S)=1 und dim H2(S)=1, also X(S)=2-dim H1(S) ≤ 2.

Der Beweis der Klassifikation von Flächen ergibt sich nun aus folgenden zwei Behauptungen:

A Eine (zusammenhängende, geschlossene, orientierbare) Fläche S mit X(S)=2 ist eine Sphäre.

B Wenn S eine (zusammenhängende, geschlossene, orientierbare) Fläche mit X(S) < 2 ist, dann gibt es eine (zusammenhängende, geschlossene, orientierbare) Fläche S' mit X(S')=X(S)+2, so daß S die zusammenhängende Summe aus S' und einem Torus ist.

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zusammenhängende Summe mit einem Torus

Behauptung B (sozusagen der ‘Induktionsschritt’) läßt sich mit naheliegenden topologischen Argumenten beweisen, während man für Behauptung A (den ‘Induktionsanfang’) schweres Geschütz benötigt, nämlich das Riemann-Roch-Theorem aus der komplexen Analysis.

Induktionsschritt (Behauptung B)

Aus der Annahme X(S) < 2 folgt, daß dim H1(S) > 0, es gibt also eine geschlossene Kurve, die eine nichttriviale Homologieklasse repräsentiert.

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Diese Kurve kann eventuell Selbstschnitte haben.

Wir können sie aber in mehrere Kurven ohne Selbstschnitte zerlegen, von denen mindestens eine eine nichttriviale Homologieklasse repräsentiert.

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Wir schneiden jetzt die Fläche S entlang dieser Kurve auf und kleben in die beiden Randkurven der aufgeschnittenen Fläche jeweils eine Kreisscheibe. Die so entstandene Fläche nennen wir S’.
Die Kurve hat die Fläche nicht in zwei Komponenten zerlegt (denn sonst wäre sie der Rand einer der beiden Komponenten und damit trivial in der Homologie), also ist S’ zusammenhängend. S’ ist natürlich auch wieder kompakt und orientierbar.
S entsteht aus S’ dadurch, daß man zwei Kreisscheiben herausschneidet und deren Ränder verklebt. Damit bekommt man aber gerade die zusammenhängenden Summe der Fläche S’ mit einem Torus:

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Induktionsanfang (Behauptung A): Riemann-Roch

Das Riemann-Roch-Theorem ist eine Formel für die Dimension des Raumes der meromorphen Funktionen mit vorgegebenen Null- und Polstellen auf einer Riemannschen Fläche (d.h. einer komplex 1-dimensionalen Mannigfaltigkeit).
Die allgemeine Formel sieht recht abstrakt aus: für einen beliebigen positiven “Divisor” D (d.h. eine endliche Menge von Punkten auf der Fläche, und zu jedem Punkt eine zugehörige natürliche Zahl) betrachtet man die “Garbe” OD derjenigen Funktionen, die nur in den gegebenen Punkten Polstellen haben und zwar höchstens von der durch die zugehörige ganze Zahl angegebenen Ordnung. (Es gibt noch eine allgemeinere Fassung, die auch die Nullstellen berücksichtigt, aber die brauchen wir jetzt nicht.)

Das Riemann-Roch-Theorem sagt dann dim H0(S, OD)-dim H1(S,OD)=X(S)/2 + deg(D), wobei deg(D) die Summe der den Punkten des Divisors zugeordneten natürlichen Zahlen ist.
Was H1 in diesem Zusammenhang bedeutet (Stichwort Garbenkohomologie) müssen wir nicht wissen, wichtig ist nur: H0(S, OD) ist gerade der Raum derjenigen Funktionen, die in den gegebenen Punkten Polstellen haben höchstens von der durch die zugehörige ganze Zahl angegebenen Ordnung. Aus dem Riemann-Roch-Theorem folgt, daß die Dimension dieses Raumes mindestens X(S)/2 + deg(D) ist.
Wenn wir zum Beispiel den Divisor D betrachten, der aus einem Punkt und zugehöriger Zahl 1 besteht, dann ist deg(D)=1. Auf einer Fläche mit X(S)=2 ist dann also die Dimension des Raumes derjenigen Funktionen, für die der gegebene Punkt die einzige Polstelle (und von Ordnung 1) ist, mindestens X(S)/2+deg(D)=1+1=2.
Aus X(S)=2 folgt also insbesondere: es gibt auf dieser Fläche S meromorphe Funktionen mit nur einer Polstelle der Ordnung 1.
(Wir setzen als bekannt voraus, daß jede orientierbare Fläche eine komplexe Mannigfaltigkeit ist. Dazu nächste Woche.)

Eine solche meromorphe Funktion f:S–>C kann man dann aber auffassen als holomorphe Funktion von S nach

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(in der Polstelle hat f den Wert unendlich).
Wenn man zur komplexen Ebene C noch einen Punkt ‘unendlich’ hinzunimmt, bekommt man den (komplexen) projektiven Raum P1C, und dieser ist homöomorph zur Sphäre, wie man am besten mit stereographischer Projektion sieht:

Unsere meromorphe Funktion f:S–>C gibt also eine holomorphe Funktion f:S–>P1C, und weil die Polstelle Vielfachheit 1 hat, ist f biholomorph (was natürlich zu beweisen ist, aber das ist nicht schwer), also insbesondere ein Homöomorphismus zur Riemannschen Sphäre. QED


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Kommentare (1)

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    20. November 2019

    Topologie von Flächen CLXXIX – Mathlog
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