Wie ist ein Ring definiert, wann kann man Grenzprozesse vertauschen, was sind lineare Ordnungen und wozu benötigt man das Zornsche Lemma in der Linearen Algebra.
fragt der Klappentext zu 12 x 12 Schlüsselkonzepte zur Mathematik:
Das von Oliver Deiser, Caroline Lasser, Dirk Werner und Elmar Vogt (letzterer übrigens mein damaliger Diplomarbeitsbetreuer) verfaßte Buch schließt eine Lücke zwischen den zahlreichen Lehrbüchern und Studienratgebern:
es vermittelt in einem Crash-Kurs die Inhalte eines Mathematikstudiums, also die wichtigen Begriffe, ein paar prägnante Beispiele und zu jedem Gebiete die wichtigsten Sätze und kurze Anmerkungen zu den Querverbindungen mit anderen Gebieten.
Also kein klassiches Lehrbuch, sondern sozusagen eine Hilfe, um im Studium zwischen all den technischen Details den Überblick zu behalten.
Eine ähnliche Zielstellung verfolgte “Was ist Mathematik?” von Courant-Robbins (1941). (Damals war der Stoff eines Mathematikstudiums natürlich noch überschaubarer, weshalb man in einem solchen Buch die einzelnen Themen entsprechend ausführlicher behandeln konnte. Detaillierte Beweise, wie es bei Courant-Robbins noch der Fall war, findet man in “12×12 Schlüsselkonzepte” natürlich nicht mehr, allenfalls werden Beweisideen angedeutet, um die Beziehung einer Theorie zu anderen Themengebieten herzustellen.)
Aus dem Klappentext:
Das Buch will seinen Lesern helfen, sich in der Fülle der grundlegenden mathematischen Definitionen zurechtzufinden und exemparische mathematische Ergebnisse einzuordnen und ihre Eigenheiten verstehen zu können. Es behandeln hierzu je zwölf Schlüsselkonzepte der folgenden zwölf Themengebiete der Mathematik.
[…]
Ein besonderes Augenmerk liegt auf einer knappen und präzisen, dabei aber nicht zu formalen Darstellung. Dadurch erlauben die einzelnen Beiträge ein fokussiertes Nachlesen ebenso wie ein neugieriges Kennenlernen.Das Buch ist geschrieben für Studierende der Mathematik ab dem ersten Semester und möchte ein treuer Begleiter und eine zuverlässige Orientierungshilfe für das gesamte Studium sein.
Noch ein kurzer Abriß der 12 Kapitel, die jeweils in 12 Abschnitte unterteilt sind:
Grundlagen
Im ersten Abschnit “Die Sprache der Mathematik” lernt man zunächst, was Definitionen, Sätze, Lemmas, Propositionen und Korollare sind und warum man nicht sagen darf: “Die Vektoren (1,0,0), (0,1,0) und (0,0,1) sind die Basis des R3.”
Das Gerüst aus Definitionen, Sätzen und zugehörigen Beweisen bleibt ohne Anschauung nackt und unverstanden. Novizen wie erfahrene Mathematiker durchlaufen deswegen ständig den folgenden zweiteiligen Prozess: Neuen in der präzisen mathematischen Sprache definierten Begriffen wird eine individuelle abstrakte Anschauung zugeordnet, die durch das Betrachten von Beispielen und Gegenbeispielen, durch das Durchführen von Berechnungen und spielerischen Experimenten und vor allem durch das Studium von Beweisen entwickelt und oft auch korrigiert wird. Sollen nun eigene Beweise notiert werden, so wird die Anschauung in eine formale Form übersetzt, die andere Mathematiker lesen können. Diese beiden zueinander inversen Tätigkeiten bereiten Anfängern oft große Schwierigkeiten. Zum Aneigungsprobem “Ich verstehe diesen Begriff nicht” tritt das Übersetzungsproblem “Ich weiß nicht, wie ich das aufschreiben soll”. Der klassische Weg der Begegnung dieser Schwierigkeiten besteht im selbständigen und selbstkritischen Bearbeiten von Übungsaufgaben, die den Lernenden auffordern, ein bereits bekanntes Stück Mathematik erneut zu entdecken und zu formulieren.
Weiter geht es in diesem ersten Kapitel dann erst mal um die grundlegenden Konzepte der Mathematik: Junktoren, Quantoren, Beweise, Menge und Element, Mengenoperationen, Relationen, Funktionen, Äquivalenzrelationen, partielle und lineare Ordnungen, um Existenz und algorithmische Berechenbarkeit (es gibt nichtkonstruktive Existenzbeweise etwa für die Existenz transzendenter Zahlen, andererseits effektive Algorithmen etwa für die Berechnung des ggT, und es gibt Begriffe, um die Effektivität von Algorithmen zu beschreiben), und um Strukturen und strukturerhaltende Abbildungen.
Zahlen
Da geht es natürlich erst mal um die verschiedenen Zahlbereiche. Im Abschnitt über Quaternionen erfährt man, daß es wegen wegen der Existenz reeller Eigenwerte keine Multiplikation auf R3 geben kann und daß Kervaire und Milnor bewiesen haben, daß es Divisionsalgebren nur in Dimensionen 1,2,4,8 gibt. Im Abschnitt über infinitesimale Größen lernt man die Grundbegriffe der Nichstandard-Analysis und im Abschnitt über p-adische Zahlen das Lokal-Global-Prinzip. Und im Abschnitt über Zufallszahlen lernt man, daß es keinen präzisen Begriff von Zufallszahlen gibt, wohl aber gleichverteilte Folgen in [0,1], etwa xn=frac(nα) für irrationales α oder die in Matlab und Maple zur Erzeugung von Zufallszahlen verwendete Folge der Mersenne-Twister.
Zahlentheorie
Vieles weniger bekanntes auch für den fortgeschrittenen Mathematiker findet sich im Kapitel über Zahlentheorie. Auch hier beginnt man natürlich mit den elementaren Grundlagen wie Teilbarkeit, Primfaktorzerlegung und Sätzen über Zahlenkongruenzen, kommt dann aber recht schnell auf verschiedene Primzahltests und das RSA-Verfahren und erklärt den Zusammenhang zwischen Primzahlverteilung und Nullstellen der Zeta-Funktion. Das Quadratische Reziprozitätsgesetz als Ausgangspunkt der algebraischen Zahlentheorie wird besprochen, dann Kettenbrüche und die Approximierbarkeit irrationaler Zahlen, was wiederum Anwendung bei der Lösung der Pellschen Gleichung als einem Beispiel diophantischer Gleichungen findet. Nach einigen weiteren diophantischen Gleichungen kommen natürlich auch noch elliptische Kurven vor und schließlich gibt es einen sehr ausführlichen Abschnitt über Zahlkörper, in dem zum Beispiel der Zusammenhang zwischen der Fermat-Gleichung und der Klassenzahl bestimmter Körpererweiterungen dargestellt wird.
Diskrete Mathematik
Nach einer kurzen Einführung in ‘kombinatorisches Zählen’ (Binomialkoeffizienten) und die Grundbegriffe der Graphentheorie wird die Bestimmung von Hamilton-Kreisen als Beispiel für ein NP-schweres Problem vorgestellt. Weitere Themen sind Suchverfahren für aufspannende Bäume, der Satz von Ramsey als verallgemeinertes Schubfachprinzip und seine Anwendung auf die Existenz monotoner Teilfolgen, Anwendungen bipartiter Graphen auf Min-Max-Probleme, der Greedy-Algorithmus für Matroide, Netzwerke und Flüsse, kürzeste Wege (der Dijkstra-Algorihmus) und verschiedenes über planare Graphen wie die Eulersche Polyeder-Formel, den Vierfarbensatz, den Satz von Kuratowski und die von Robertson-Seymour bewiesene Wagner-Vermutung.
Lineare Algebra
Dieses Kapitel gibt natürlich den Standard-Stoff der gleichnamigen Grundstudiumsvorlesungsreihe wieder: Vektorräume, Lineare Gleichungen, euklidische und unitäre Vektorräume, Orthogonalität, Dualität, Eigenwerte und schließlich Singulärwertzerlegung und die Jordansche Normalform.
Algebra
Hier werden natürlich zunächst die algebraischen Strukturen wie Gruppen, Ringe, Körper, auch Normalteiler, Quotientengruppen und Ideale, mit vielen Beispielen eingeführt. Die Klassifikation der endlich erzeugten abelschen Gruppen wird ausführlich besprochen und als fortgeschritteneres Thema gibt es noch die Anwendung von Körpererweiterungen auf Konstruktionen mit Zirkel und Lineal sowie die Galoistheorie und die Lösbarkeit algebraischer Gleichungen durch Radikale.
Elementare Analysis
Neben den üblichen Grundlagen über Konvergenz von Folgen und Reihen, differenzier- und integrierbare Funktionen, Taylor-Reihen, Vertauschbarkeit von Grenzprozessen werden Beispiele und Eigenschaften von Fourier-Reihen und Fourier-Transformationen besprochen. (Alles im R1 bis auf den letzten Abschnitt, der Kurven im Rd behandelt.)
Höhere Analysis
Um Differenzierbarkeit, Mittelwertsatz, Taylor-Formel oder auch Lebesgue-Integration in mehreren Dimensionen diskutieren zu können, werden zunächst die Grundlagen über metrische und normierte Räume eingeführt. Auch Differentialgleichungen (der Satz von Picard-Lindelöf) und die Lyapunov-Methode zur Stabilitätsanalyse von Gleichgewichtspunkten werden kurz angerissen. Weiter werden der Gaußsche Integralsatz, holomorphe Funktionen und der Residuensatz, Verallgemeinerungen des Banachschen Fixpunktsatzes und eine Reihe von Anwendungen des Baireschen Kategoriensatzes (u.a. auf die Konstruktion nirgends differenzierbarer stetiger Funktionen) besprochen.
Topologie und Geometrie
Hier geht es zunächst um die Grundlagen der mengentheoretischen Topologie, vor allem die Bildung von Quotientenräumen wird an vielen Beispielen (u.a. Kegel, Möbiusbänder, Ankleben von Zellen) diskutiert. Weiter geht es mit verschiedenen Begriffen von Zusammenhang, Trennbarkeit (inkl. Anwendung auf den Tietze-Fortsetzbarkeitssatz und das Uryson-Lemma) und Kompaktheit (inkl. Satz von Tichonov und verschiedene Kompaktifizierungen). Zahlreiche Beispiele zur Geometrie von Flächen im R3 sollen vor allem den Begriff der Gaußkrümmung aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Weiter gibt es dann eine sehr kompakte Zusammenfassung des Wissenstandes zur Theorie der Mannigfaltigkeiten (mit Schwerpunkt auf dem 3-dimensionalen Fall) und anschaulich motivierende Einführungen in Homotopie- und Homologietheorie, die immerhin Hopfs Berechnung von π3S2 und die Hurewicz-Abbildung erwähnen. Im abschließenden Abschnitt geht es schließlich um nichteuklidische Geometrie, Axiomatik, Modelle und Symmetrien.
Numerik
Anhand eines auf Kahan zurückgehenden Beispieles eines sehr schlecht konditionierten linearen Gleichungssystems in 2 Variablen wird der Begriff der Konditon erläutert. Weiter geht es mit Gleitkommaarithmetik, Numerischer Stabilität und neuen Erklärungsansätzen, warum beim Gaußschen Eliminationsverfahren in der Praxis auftretende Matrizen fast immer gutartige Rechtsfaktoren haben. Andere Themen sind die schnelle Fouriertransformation und verschiedene bekannte Verfahren zur numerischen Berechnung von Intgralen, Nullstellen oder Lösungen von Differentialgleichungen, immer natürlich mit Fehlerabschätzungen.
Stochastik
Hier werden zunächst, weitgehend ohne Maßtheorie, die grundlegenden Begriffe wie Zufallsvariablen und bedingte Wahrscheinlichkeiten und die grundlegenden Sätze wie Null-Eins-Gesetze und das Gesetz der großen Zahlen erläutert. Dann gibt es einige Abschnitte zur Mathematischen Statistik, es geht um das Konfidenzintervall und um Testtheorie am Beispiel in Tüten abgefüllten Zuckers. In den letzten Abschnitten geht es schließlich um Markov-Ketten, Irrfahrten (Man kann sich im Empire State Building verlaufen, nicht aber in Manhattan) und die Eigenschaften der Brownschen Bewegung.
Mengenlehre und Logik
Das Schlußkapitel beginnt mit Mächtigkeiten von Mengen und dem Cantorschen Diagonalverfahren. Dann geht es um die Ansätze zu und Probleme bei der Axiomatisierung der Mengenlehre, insbesondere das Banach-Tarski-Paradox. Weiter geht es um Berechenbarkeit nach Turing und Unvollständigkeit nach Gödel, um transfinite Zahlen und schließlich um die Kontinuumshypothese und um einige abgeschwächte Versionen derselben, die man mit ZFC beweisen kann: zum Beispiel überabzählbare Borelmengen in R haben dieselbe Mächtigkeit wie R.
Nachtrag (29.9.): Ich hatte ganz vergessen zur Webseite des Buches zu verlinken: https://www.springer.com/spektrum+akademischer+verlag/mathematik/mathematik+%C3%BCbergreifend/book/978-3-8274-2297-2.
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