Barauflösungen, straffe Simplizes und Gruppenhomologie.

Wie man die Homologie asphärischer Räume nur aus der Fundamentalgruppe berechnet.

Letzte Woche hatten wir erklärt, daß der Torus und die hyperbolischen Flächen F “asphärisch” sind, d.h. daß πnF=0 für n≥2: alle Abbildungen von Sphären in die Fläche F lassen sich auf einen Punkt zusammenziehen.

In TvF 170 hatten wir mal Homologiegruppen definiert (und in den Wochen danach einige Anwendungen besprochen), im Wesentlichen war die n-te Homologiegruppe HnX eines Raumes X definiert als die Gruppe der n-dimensionalen Zykel (d.h. der formalen Summen von Simplizes, so daß Ränder sich zu 0 aufaddieren) modulo der n-dimensionalen Ränder. Das Bild unten zeigt einen 2-dimensionalen Zykel auf der Sphäre S2, dieser Zykel ist kein Rand. (Natürlich wäre er ein Rand, wenn man statt X=S2 die 3-dimensionale Kugel X=B3 betrachten würde.)

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cis.jhu.edu/education/introPatternTheory/additional/curvature/curvature25.html

H2S2 ist isomorph zu den ganzen Zahlen Z und der oben abgebildete Zykel repräsentiert den Erzeuger 1. Auch für die anderen (geschlossenen, orientierbaren, zusammenhängenden) Flächen ist H2F=Z, ebenso H0F=Z, während man H1F direkt aus der Fundamentalgruppe berechnen kann: H1F ist die Abelianisierung der Fundamentalgruppe. (Für die Fläche mit g Henkeln ist also H1F=Z2g.)

Tatsächlich ist es einer der wichtigsten Sätze der Algebraischen Topologie, daß man die Homologie asphärischer Räume direkt aus ihrer Fundamentalgrupe berechnen kann.
Im Prinzip folgt das aus einem allgemeineren Satz von Whitehead, im Falle von Räumen nichtpositiver Krümmung (z.B. also dem Torus oder hyperbolischer Flächen) kann man es sich aber auch anschaulich und direkt überlegen und darum soll es im folgenden gehen.

Straffziehen

In TvF 80 hatten wir mal erwähnt, daß auf einer Fläche mit Krümmung ≤ 0 jede Kurve homotop zu genau einer Geodäten ist, d.h. jede Kurve läßt sich (bei festgehaltenen Endpunkten) in eine (und nur eine) Geodäte ‘verformen’.
(Das selbe gilt auch für Kurven in höherdimensionalen Räumen mit Schnittkrümmung ≤ 0.)

Wie sieht das für Dreiecke statt Kurven aus? Zunächst muß man sagen, was in diesem Fall das 2-dimensionale Analog von Geodäten sein soll. Im euklidischen Raum ist das natürlich ein ebenes Dreieck und im hyperbolischen Raum ist es ein hyperbolisches Dreieck, aber in Räumen mit nichtkonstanter Krümmung ist es nicht ganz klar, was ein geodätisches Dreieck sein soll.

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https://www.learner.org/courses/mathilluminated/units/8/textbook/04.php
Tatsächlich hängt die Definition des Dreiecks mit Ecken A,B,C von der Reihenfolge der 3 Ecken A,B,C ab: man nimmt zunächst die Geodäte zwischen A und B, und anschließend die geodätische Verbindung von C zu jedem Punkt auf der Geodäte von A nach B. Das Ergebnis ist ein Dreieck, welches man als das straffe Dreieck mit Ecken A,B,C bezeichnet. (Und i.a. ist es anders als im euklidischen oder hyperbolischen Fall so, daß das konstruierte Dreieck von der Reihenfolge der Ecken abhängt, also ob man mit der Geodäte AB oder z.B der Geodäte AC begonnen hatte.)

Man kann das dann induktiv fortsetzen und straffe 3-Simplizes, 4-Simplizes etc. definieren. Nach Definition bilden die straffen Simplizes (engl.: straight simplices) einen Unterkomplex des Komplexes aller singulären Simplizes und man kann die Homologie dieses Unterkomplexes betrachten. Es stellt sich heraus, daß diese mit der in TvF 170 definierten singulären Homologie übereinstimmt. Warum?

Irgendein (zum Beispiel 3-dimensionaler) Simplex in einer Fläche kann etwa so aussehen

man kann ihn aber straffziehen, so daß man den straffen Simplex mit denselben Ecken bekommt:

(Die Bilder sind von Area 777.)

Wenn man jetzt irgendeinen Zykel hat, also eine Kombination von Simplizes, deren Ränder sich ‘aufheben’, dann kann man jeden der Simplizes straffziehen und bekommt (weil die Ränder simultan straffgezogen werden) wieder einen Zykel. Wenn der Zykel ein Rand einer Kette war, dann ist der straffgezogene Zykel der Rand der straffgezogenen Kette.
Außerdem kann man die Eckpunkte der Simplizes beliebig verschieben, man kann also o.B.d.A. annehmen, daß alle Simplizes ihre Ecken in einem festen Punkt x0 haben (und anschließend straffziehen). Insbesondere sind also die Homologiegruppen des Komplexes aller singulären Simplizes und die Homologiegruppen des Komplexes der straffen Simplizes mit Ecken in x0 zueinander isomorph.

Gruppenhomologie

Für einen Raum X nichtpositiver Krümmung ist also seine Homologie H*X dasselbe wie de Homologie des Komplexes der straffen Simplizes mit Ecken in x0. Letzterer hat aber eine einfache algebraische Beschreibung, die nur von der Fundamentalgruppe G:=π1X abhängt: ein straffer n-Simplex mit Ecken in x0 ist eindeutig bestimmt, sobald man die Homotopieklassen der Kanten, die die erste Ecke mit der 2.,3.,…,n+1-ten Ecke verbinden, kennt. Jeder straffe n-Simplex mit Ecken in x0 entspricht also einem n-Tupel von Elementen in G=π1X.
Man muß sich dann (was eine leichte Übungsaufgabe ist) noch überlegen, wie der Randoperator in dieser Beschreibung aussieht und bekommt damit die sogenannte Bar-Auflösung, deren Homologie man als Gruppenhomologie H*G der Gruppe G bezeichnet. Offensichtlich, nach Konstruktion, hängt diese nur von der Gruppe G ab.
Und weil H*G dasselbe ist wie die Homologie des Komplexes der straffen Simplizes mit Ecken in x0 und letztere mit der Homologie H*X übereinstimmt, liefert das also eine nur von der Fundamentalgruppe G abhängende Beschreibung der Homologie eines Raumes X mit Krümmung ≤ 0. (Dieselbe Konstruktion funktioniert mit einem ähnlichen Beweis sogar für alle asphärischen Räume X.)

Historisch hatte zuerst Heinz Hopf 1942 eine Formel für die 2.Homologie eines asphärischen Raumes X angegeben: wenn π1X sich mit Erzeugern F und Relationen R präsentieren läßt, dann kann man die 2.Homologie berechnen als ([F,F]∩R)/[F,R]. (Für beliebige Räumen berechnet diese Formel H2X/π2X, also sozusagen den Teil der 2.Homologie, der nicht von 2-dimensionalen Sphären kommt.) Daraus entwickelte sich dann bald die allgemeine Beschreibung von Gruppenhomologie (über die Barauflösung oder auch allgemein über injektive Auflösungen). Zur Geschichte der Gruppenhomologie bei Frei-Stammbach:

The paper Fundamentalgruppe und zweite Bettische Gruppe is legitimately regarded to be the beginning of homological algebra. It opened the way for the definition of the homology and cohomology of a group. This step was made independently at different places shortly after the paper had become known: in the USA in the circle around Samuel Eilenberg and Saunders MacLane, in Switzerland by Heinz Hopf and Beno Eckmann and in the Netherlands by Hopf’s former student Hans Freudenthal. Hopf’s own paper on this topic Über die Bettischen Gruppen, die zu einer beliebigen Gruppe gehören appeared in 1944/45. Following his work mentioned above, he had conjectured that its main result could be generalized to higher dimensions. Hurewicz had shown in the thirties that the homology groups of an aspherical connected space are completely determined by the fundamental group G. Hopf’s first work contained the algebraic details of this proposition for the second homology group. In the comprehensive sequel he now showed how one can treat higher dimensions similarly. From today’s point of view, one can describe his purely algebraic construction as a G-free resolution of Z. For Hopf, it arose as the algebraic analogue of the complex of the universal covering of an aspherical space X with fundamental group G (whose existence was proved by Eilenberg and MacLane at the same time and independently of Hopf). The Betti groups were then defined as the homology groups of the complex which resulted from the free resolution by trivializing the G-action (tensor product with Z over G). Hurewicz’s result mentioned above corresponds in this context to the fact that the Betti groups do not depend on the choice of a particular free resolution of Z. By his procedure, Hopf assigned Betti groups to a given group in a purely algebraic way; so the basis for the (co-)homology theory of groups and of homological algebra was established. In the following years, this theory earned broad appreciation only slowly, possibly due to the necessary complex algebraic machinery. But gradually it became an indispensable tool in quite a large range of mathematical areas.
Quelle


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