Wie schon in verschiedenen Blogs berichtet wurde, hat der Abschlußbericht der Strukturkommission des Landes Brandenburg am Freitag ein vernichtendes Urteil über das “Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften” INTRAG der Viadrina gefällt und “nachdrücklich den künftigen Verzicht auf das Angebot des MA-Studienganges” empfohlen.
Darüber wird sicherlich in anderen scienceblogs noch geschrieben und diskutiert werden (einiges zur Vorgeschichte findet man bei Kritisch Gedacht, Gesundheits-Check, Astrodicticum Simplex und nicht zuletzt bei Esowatch), hier im Mathlog möchte ich heute nur mal kurz darauf eingehen, dass INTRAG-Direktor Harald Walach übrigens auch die Mathematik (speziell die Funktionalanalysis und die Nichtkommutative Geometrie) gerne für seine Theorie vereinnahmt.
Ein recht gutes Bild der Argumentationsweise vermittelt das Video eines Vortrages vom Sommer 2009 (also noch vor der Gründung des INTRAG) bei einer Veranstaltung “Entanglement and Mathematics” in Madrid.
Das Video läßt sich hier nicht direkt einbetten, man kann es sich aber ansehen auf https://www.upcomillas.es/sophiaiberia/Vid/Harald%20Walach.wmv (oder auf der Webseite des Seminars.)
In dem Vortrag geht es um Walachs These, es gäbe Quantenverschränkung nicht nur in Quantensystemen, sondern auch anderswo. (Nicht ganz klar, wo eigentlich). Diese Theorie nennt er Schwache Quantentheorie. Den mathematischen Hintergrund dazu soll die Nichtkommutativität liefern:
Weak Quantum Theory is an algebraic formalism and I’m not a mathematician so I can’t do with formulas but it is in fact modelled along the very same algebraic formalism that is used by Quantum Mechanics these days: it’s a C*-algebra for those of you that know the terminology. And what we have done or rather my physicists friends […] we have dropped all definitions, all precisions that are used in Quantum Mechanics to do the calculations and everything and have shrunk the whole formalism to its bare bones.
[…]
The very bare core means that the formalism handles what is called ‘Noncommutative Observables’ or noncommuting operators as it is done in quantum physics proper
[…]
We normally have in algebra that it’s commutative, so we say that 2 times 3 is the same as 3 times 2, it’s 6. It doesn’t matter whether you do this and this first. Now in real life it’s actually more complicated because we slaughter the cow first, then we pull the skin off and then we eat it. We don’t eat it, pull the skin off and then slaughter it. There is a definite sequence in all what we do in life and commutation, I feel, is one of the elements which are important here to take into account.
By quantum mechanics noncommutative elements are actually defined as complementary elements [..]
Nichts davon ist eigentlich falsch (außer dass es im letzten Satz natürlich ‘noncommuting’ statt ‘noncommutative’ heissen müßte), aber es ist alles, nun ja, irgendwie trivial und man fragt sich zunächst, was aus solcherart Allgemeinplätzen nun eigentlich folgen soll.
Er erklärt dann aber, wie sich diese Theorie nichtkommutierender Operatoren (komplementärer Observablen) auch außerhalb der Quantenphysik anwenden läßt:
Individual and community is an example of a pair of complementary variables. […] You could also frame it as separation and connectedness, that’s the same way of putting it. I feel, structure and freedom, a pair that we know from from education, is a complementary pair, […] form and content, something that we know from literature and poetry for instance, maybe law and justice, I’m not quite sure about that, they are relevant in a legal context [… ] maybe they fulfill the generic properties of complementary pairs being mutually exclusive, maximally incompatible but necessary at the same time to describe the situation.
Im Feuilleton einer Tageszeitung fände man es ja vielleicht ganz lustig, Recht und Gerechtigkeit mit Verweis auf die Quantenphysik als komplementäre Observablen zu bezeichnen. (Gut, soo originell wäre das auch wieder nicht.) Aber Walach scheint überzeugt, hier wirklich einen brauchbaren Zugang zur Erklärung von ‘Systemen’ (welchen eigentlich?) gefunden zu haben:
Suppose you have a system, this one here, and suppose in that system you have various elements. If these elements here, if the description of these elements here, that’s why I have squared them, is complementary to the description of the whole system, then entanglement ensues between all those elements, and not between the other ones, maybe.
In dem Stil geht es dann noch eine Weile weiter. Die letztendliche Schlußfolgerung ist jedenfalls, dass es eine nichtlokale Korrelation zwischen ‘mind’ und ‘body’ geben solle. (Die uns bekannten kausalen Zusammenhänge seien die zweiten Ableitungen dieser Korrelation.) Das klingt dann doch wieder richtig nach Mathematik und strenger Wissenschaft.
Wie er diese nichtlokale Korrelation aus dem Zuvorgesagten, der Nichtkommutativität oder der Unschärferelation ableitet habe ich, ehrlich gesagt, nicht so richtig verstanden. Wahrscheinlich mein Fehler.
Und offen bleibt dann im Schlußsatz leider auch die Frage nach falsifizierbaren Vorhersagen der Theorie:
If you use this as a potential viewpoint to look at nature you will discover different phenomena. That’s my prediction.
Kurz zusammengefaßt: hier wird – wieder einmal – Mathematik benutzt um einer ‘allumfassenden Welterklärung’ einen Anschein von Wissenschaftlichkeit und Objektivität zu verleihen. Man mag darüber streiten können, ob Walachs Thesen zu Komplementarität und Verschränkung brauchbare Metaphern für einen geisteswissenschaftlichen Diskurs sind (persönlich würde ich sagen: Nein), eine mathematische Rechtfertigung oder auch nur eine mathematische Formulierung seiner Theorie gibt es jedenfalls ganz offensichtlich nicht.
Siehe auch: Hogwarts an der Oder: Doktorarbeiten in Philosophie.
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