Letzte Woche hatten wir mit Morse-Theorie die Klassifikation der Flächen bewiesen.

Kann man mit Morse-Theorie auch die 3-dimensionale Mannigfaltigkeiten klassifizieren? Im Prinzip ja, aber …


Was bekommt man, wenn man die Morse-Theorie auf eine 3-dimensionale Mannigfaltigkeit anwendet?

Also, man hat eine 3-dimensionale Mannigfaltigkeit M und eine Morse-Funktion f:M—R.
Nach einem Satz von Smale kann man die Morse-Funktion so wählen, dass es nur ein lokales Minimum und Maximum gibt und dass die kritischen Punkte “geordnet” sind, d.h. die kritischen Punkte vom Index i jeweils den Funktionswert i haben.
Soll heißen, im Minimum xmin ist f(xmin)=0), im Maximum xmax ist f(xmax)=3), in den kritischen Punkten vom Index 1 ist f(x)=1, in denen vom Index 2 ist f(x)=2.

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Wenn man sich jetzt zum Beispiel f-1(1,5) anschaut, dann ist das eine Fläche (denn 1,5 ist ein regulärer Wert) und diese Fläche zerlegt die 3-Mannigfaltigkeit in 2 Hälften.

Die untere Hälfte erhält man durch Ankleben einer Anzahl von 1-Henkeln an einen 0-Henkel (d.h. einen 3-Ball). Die Anzahl der 1-Henkel entspricht gerade der Anzahl der kritischen Punkte vom Index 1. Jedenfalls bekommt man einen Henkelkörper. (Das Bild zeigt einen Henkelkörper mit 3 1-Henkeln.)

Wie sieht die obere Hälfte aus? Nun, aus Symmetriegründen – weil man ja f durch -f ersetzen kann und dadurch eine neue Morsefunktion bekommt, deren kritische Punkte vom Index 0 bzw. 1 gerade den kritischen Punkten von f vom Index 3 bzw. 2 entsprechen – muß auch die obere Hälfte ein Henkelkörper sein.

Wir haben also zwei Henkelkörper, die entlang einer Fläche verklebt sind:


Eine solche Zerlegung einer 3-Mannigfaltigkeit in zwei Henkelkörper nennt man Heegard-Zerlegung.

Abbildungsklassen und Heegard-Zerlegungen

Man bekommt also alle 3-Mannigfaltigkeiten, indem man für die Henkelkörper verschiedenen Geschlechts alle Möglichkeiten einer Verklebeabbildung zwischen den Randflächen durchgeht.
Homotope Homöorphismen liefern dieselbe 3-Mannigfaltigkeit (tatsächlich ist die 3-Mannigfaltigkeit schon durch das sogenannte Heegard-Diagramm eindeutig festgelegt), man bekommt also eine Liste der 3-Mannigfaltigkeiten, indem man die Liste der Elemente der Abbildungsklassengruppen (d.h. der Homotopieklassen von Homöomorphismen) der verschiedenen Flächen durchgeht.

Für Henkelkörper von Geschlecht 0 und 1 geht das noch recht einfach.
Für die Sphäre hat man nur eine Abbildungsklasse, die Identität, und durch Verkleben zweier 3-Bälle mittels der Identitätsabbildung der Randsphäre bekommt man die 3-Sphäre.
Für den Torus entsprechen die Abbildungsklassen den Elementen von SL(2,Z), vgl. TvF 142, und man kann sich überlegen, daß man durch Verkleben zweier Volltori entweder (im Fall der Identitätsabbildung) S2xS1 oder (sonst) die verschiedenen Linsenräume (einschließlich Sphäre und projektiver Raum) bekommt.

Für Henkelkörper vom Geschlecht 2 und größer wird es dann aber schwieriger, weil die Beschreibung der Abbildungsklassen der Fläche dann komplizierter ist.

Man kann die Abbildungsklassengruppe zum Beispiel durch Erzeuger und Relationen beschreiben (TvF 137), das ist aber ziemlich kompliziert:

Quelle

Schöner ist da die geometrische Beschreibung der Abbildungsklassen (TvF 157), aber da stellt sich dann natürlich die Frage, wie man die entsprechenden 3-Mannigfaltigkeiten geometrisch beschreiben kann. Der Zusammenhang zwischen geometrischen Eigenschaften der Abbildungsklasse und der Geometrie der durch die entsprechende Heegard-Zerlegung gegebenen 3-Mannigfaltigkeit ist ein sehr aktives Forschungsgebiet, aber man bekommt natürlich oft keine exakten, sondern eher asymptotische Aussagen und nicht wirklich eine Klassifikation der 3-Mannigfaltigkeiten auf diese Weise.

Eindeutigkeit von Heegard-Zerlegungen

Die Liste der Heegard-Zerlegungen liefert einem eine Liste der 3-Mannigfaltigkeiten, aber diese Liste hat natürlich viele Redundanzen. Zum Beispiel haben wir die S3 einerseits bekommen durch Verkleben zweier 3-Bälle mittels der Identitätsabbildung der Sphäre, und andererseits durch Verkleben zweier Volltori mittels der Abbldung f(x,y)=(y,x) des Torus.

Allgemein, zu einer beliebigen Heegard-Zerlegung einer 3-Mannigfaltigkeit M, kann man die zusammenhängende Summe von M mit letzterem Beispiel betrachten. D.h. man die zusammenhängende Summe von M mit S3 (das ist dann wieder dieselbe 3-Mannigfaltigkeit M) und die zusammenhängende Summe der Heegard-Fläche mit T2 – die neue Heegard-Fläche hat also einen zusätzlichen Henkel. Diesen Prozess nennt man Stabilisierung und man kann damit also z.B. Heegard-Zerlegungen der S3 mit Heegard-Flächen beliebig grossen Geschlechts produzieren.

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