Boy-Flächen, wie wir sie in den letzten Folgen beschrieben hatten, sind zwar seit Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt, aber erst seit Ende der 70er hat man analytische Formeln. Die wurden ursprünglich in Zusammenhang mit einem anderen Problem entdeckt, nämlich der Eversion (Umstülpung) der Sphäre, oft popularisiert unter dem Schlagwort “Turning the sphere inside out”.
Dabei geht es um die unterschiedlich orientierten Einbettungen der Sphäre in den 3-dimensionalen Raum R3.
Wenn man sich die Sphäre als Einheitssphäre {(x,y,z): x2+y2+z2=1} im R3 denkt, dann hat man ja neben der offensichtlichen Einbettung (x,y,z) ——> (x,y,z) auch noch die Einbettung (x,y,z) ——> (x,y,-z), bei der sozusagen “innen” und “außen” vertauscht werden, die Sphäre wird “umgestülpt”.
Nun sind bekanntlich alle Abbildungen der Sphäre in den R3 homotop zueinander, d.h. zu je zwei Abbildungen f,g:S2 —-> R3 gibt es eine stetige Abbildung F:S2 x [0,1] —-> R3 mit F(x,0)=f(x),F(x,1)=g(x) für alle x. (Die Existenz einer solchen “Homotopie” folgt z.B. aus π2R3=0, vgl. TvF 192.)
Mit anderen Worten, je 2 Abbildungen der Sphäre in den R3 lassen sich stetig ineinander verformen, insbesondere gilt dies für die beiden oben erwähnten Einbettungen der Sphäre in den R3, die offensichtliche Einbettung und die Umstülpung. Tatsächlich kann man eine Homotopie in diesem Fall leicht angeben: F((x,y,z),t)=(x,y,(1-2t)z).
Freilich hat man bei dieser Homotopie zum Zeitpunkt t=0,5 keine Einbettung, noch nicht einmal eine Immersion: die Sphäre wird zu diesem Zeitpunkt einfach platt in die 2-dimensionale Ebene gedrückt.
Die interessantere und schwierigere Frage ist dann: gibt es zwischen den beiden Abbildungen eine “reguläre Homotopie”, d.h. eine Homotopie, die zu jedem Zeitpunkt eine Immersion ist?
Man kann versuchen, obige Homotopie ein wenig abzuwandeln, damit zu keinem Zeitpunkt die Sphäre völlig plattgedrückt wird. Aber man wird dabei trotzdem “Spitzen” produzieren, wie das unten verlinkte Video zwischen Minute 1:30 und 2:30 veranschaulicht. Es ist offenbar nicht so einfach, eine reguläre Homotopie zwischen der offensichtlichen Einbettung und der Umstülpung zu produzieren und insofern überraschte es, als Stephen Smale in seiner Dissertation 1957 einen allgemeinen Satz bewies, aus dem folgte, dass es eine solche reguläre Homotopie doch geben muß. Arnold Shapiro beschrieb 1961, wie man Smales Umstülpung explizit realisiert, Anthony Phillips gab eine etwas andere Konstruktion an und schrieb darüber 1966 auch einen populärwissenschaftlichen Artikel mit solchen Bildern:
In den 70er Jahren wird die Umstülpung dann auch in einem Video populärwissenschaftlich erklärt (u.a. mit Pugh und Smale):
(Die im Video verwendeten Modelle wurden übrigens kurz nach Erstellung des Films aus der Uni Berkeley gestohlen und sind nicht wieder aufgetaucht.)
Formeln, die sich wirklich für eine Realisierung im Computer verwenden liessen, hatte man damals aber noch nicht, diese fand erst Bernard Morin 1978.
Der Zusammenhang mit der Boy-Fläche: Die von Morin berechnete Homotopie hatte die Eigenschaft, dass zum Zeitpunkt t=0,5 jeweils antipodale Punkte der Sphäre auf den selben Punkt im R3 abgebildet werden.
Die projektive Ebene ist ja (vgl. TvF 155) per definitionem die Fläche, die man erhält, indem man jeweils antipodale Punkte der Sphäre identifiziert. Eine Immersion der Sphäre, welche jeweils antipodale Punkte auf denselben Bildpunkt abbildet, gibt also eine Immersion der projektiven Ebene, eine Boy-Fläche. Morins reguläre Homotopie lieferte damit also zum Zeitpunkt t=0,5 eine explizite Formel für die Boy-Fläche.
Wie wir letzte Woche beschrieben hatten, wurden später noch viele weitere (und in mancher Hinsicht bessere) Formeln zur Beschreibung von Boy-Flächen (Immersionen der projektiven Ebene in den R3) gefunden, manche davon (Apérys Parametrisierung durch Polynome 4. Grades) ebenfalls im Zusammenhang mit der Eversion der Sphäre.
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