In Korea (und auch in anderen Ländern) ist heute der Tag des Baumes. Bis 2005 war das ein offizieller Feiertag, inzwischen nicht mehr, aber jedenfalls werden heute nachmittag wie jedes Jahr vor unserem Institut neue Bäume gepflanzt.

In der Mathematik kennt man Bäume als Graphen ohne Kreise. Trotz ihrer Einfachheit eine erstaunlich nützliche mathematische Struktur, unter anderem weil man auf Bäumen eine partielle Ordnung hat. image_thumb_5032

Auf Kreisen hat man zwar keine Anordnung, auch keine partielle, aber eine zirkuläre (zyklische) Anordnung. So etwas gibt es offenkundig nur auf 1-dimensionalen Objekten, es würde keinen Sinn machen, auf einer Fläche eine Anordnung definieren zu wollen. (Zum Beispiel kann man leicht beweisen, dass es auf der komplexen Zahlenebene keine mit der Multiplikation verträgliche Anordnung gibt.)
Jedenfalls kann man (darum wird es nächste Woche gehen) die zyklische Anordnung auf dem Kreis benutzen, um eine einfache kombinatorische Formel für die Eulerklasse zu geben. Eigentlich zwar für Kreisbündel, aber Tangentialbündel von Flächen lassen sich auf diese reduzieren.

Curvature2-3N
Bildquelle

Das Tangentialbündel einer Fläche war ja ein 2-dimensionales Vektorraumbündel, seine Strukturgruppe ist die lineare Gruppe GL(2,R). Zu einem Atlas mit Kartenwechseln φiφj-1:
dibujo20100210_manifold_atlas_charts_definition
sind die Kartenwechsel des Tangentialbündels gerade die punktweisen Differentiale D(\phi_i\phi_j^{-1}):U_i\cap U_j\rightarrow GL(2,\mathbb R).

Wenn man auf der Fläche eine Metrik hat, kann man sich den Einheitskreis in jedem Tangentialraum ansehen und bekommt so ein Kreisbündel über der Fläche:
circbuns

Wenn man keine Metrik hat oder benutzen will, kann man das Kreisbündel auch definieren, indem man benutzt, daß der Kreis ja dasselbe ist wie die Menge der Geraden durch den Nullpunkt des \mathbb R^2:
lines_1
In TvF 254 hatten wir beschrieben, dass P^1\mathbb R, die Menge der Geraden durch den Nullpunkt, gerade einem Kreis entspricht.
Lineare Abbildungen bilden natürlich eine Gerade durch den Nullpunkt wieder in eine Gerade durch den Nullpunkt ab. Wir bekommen also eine wohldefinierte Wirkung von GL(2,R) auf dem Kreis P^1\mathbb R.
Man kann diese Wirkung auch in Formeln beschreiben: wenn man P^1\mathbb R mit \mathbb R\cup\left\{\infty\right\} identifiziert (jede Gerade ist eindeutig bestimmt durch ihren Anstieg, die y-Achse entspricht Anstieg \infty), dann wirkt die Matrix (\begin{array}{cc}  a&b\\  c&d\end{array}) auf \mathbb R\cup\left\{\infty\right\} durch die “gebrochen-lineare Transformation”
f(x)=\frac{ax+b}{cx+d}.

Man kann also statt des Bündels der Vektorräume das entsprechende Bündel der projektiven Räume betrachten, d.h. man nimmt in jeder Faser die Menge der Geraden durch den Nullpunkt. Das liefert statt des Vektorbündels ein Kreisbündel.

Die Euler-Klasse des Kreisbündels entspricht gerade der Euler-Klasse des Vektorbündels. (Beide werden ja mit Hilfe der Euler-Klasse in H^2(BSO(2))\simeq H^2(BGL(2,\mathbb R)) definiert.) Damit liegt es dann nahe, das einfachere Kreisbündel zur Berechnung der Eulerklasse zu nutzen und tatsächlich gibt es für die Euler-Klasse von Kreisbündeln eine überraschend einfache Berechnungsmöglichkeit, die sozusagen die zirkuläre Ordnungsstruktur auf dem Kreis ausnutzt, also rein kombinatorisch ist – dazu nächste Woche.

Die Wirkung von GL(2,R) auf dem Kreis P^1\mathbb R gehört eigentlich in die projektive Geometrie. (Die Wirkung faktorisiert über die projektiv-lineare Gruppe PGL(2,R)=PSL(2,R).) Projektiv-lineare Abbildungen sind dadurch charakterisiert, dass sie das Doppelverhältnis aller 4-Tupel von Punkten erhalten.

Das höherdimensionale Analogon ist die Wirkung von PGL(n+1,R) auf P^n\mathbb R, also z.B. von PGL(3,R) auf der projektiven Ebene, das Thema der klassischen projektiven Geometrie.

Man kann auch projektive Strukturen auf Flächen definieren als einen Atlas (mit Karten in der projektiven Ebene), dessen Kartenübergänge in PGL(3,R) sein sollen. Projektive Strukturen auf Flächen sind ein Forschungsgebiet mit Verbindungen zu zahlreichen Gebieten, hier eine kurze Einführung von Goldman.

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Kommentare (3)

  1. #1 Jay
    Wien
    5. April 2013

    “Auf Kreisen hat man zwar keine Anordnung, auch keine partielle, aber eine zirkuläre (zyklische) Anordnung.”
    Ist das nicht dasselbe, wie “Mein Freund hat zwar keine Haare, aber schwarze Locken”?

  2. #2 Thilo
    5. April 2013

    Naja, unter einer Ordnung versteht man in der Mathematik eigentlich, dass man sagen kann, dass ein Element kleiner ist als ein anderes. (und a>b soll natürlich b>a ausschließen, wenn a,b unterschiedliche Elemente sind) in diesem Sinne ist eine Anordnung auf einem Kreis keine Ordnung https://en.wikipedia.org/wiki/Cyclic_order

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